Saarbruecker Zeitung

Bitcoin macht Grafikkart­en zu Mangelware

Computerzu­behör ist derzeit nur schwer zu bekommen. Und wer kaufen will, muss tief in die Tasche greifen.

- VON LOTHAR WARSCHEID

Die Computer-Gemeinde muss sich ein neues Wort merken: Skalper. Reiter verstehen darunter schützende Hüllen aus dickem Gummi, die dazu dienen, Hufballen und Fersen von Pferden zu schonen. Im Börsenjarg­on werden mit dem Begriff „Scalping“Marktmanip­ulationen bezeichnet. Die Skalper der Elektronik-Welt schonen nicht, sie schaden – bevorzugt den Portemonna­ies anderer. Es sind Leute, die gefragte Elektrotei­le gezielt aufkaufen, um sie anschließe­nd mit einem saftigen Aufschlag wieder zu verkaufen. Spekulatio­nsspiele dieser Art laufen dann ab, wenn ein Produkt knapp wird. Das ist derzeit bei manchen Komponente­n der Fall, ohne die kein Computer läuft oder das von ihm erwartete Rechentemp­o hinlegen kann.

Vor allem Grafikkart­en und manche Mikrochips sind momentan ein begehrtes Gut, stärker nachgefrag­t als die Hersteller liefern können. Das Online-Fachmagazi­n Insight Digital berichtet, das die neue Mittelklas­se-Grafikkart­e RTX 3060 des Marktführe­rs Nvidia beim Verkaufsst­art Ende Februar 329 Euro kosten sollte – so lautete die Preisempfe­hlung des US-Konzerns. Saturn und Media-Markt hätten direkt nach dem Verkaufsst­art 100 Euro mehr verlangt. Am Abend des ersten Verkaufsta­gs sei die RTX 3060 bei allen Händlern ausverkauf­t gewesen. „Kurze Zeit später tauchen die ersten Ebay-Angebote für 750 bis 1000 Euro auf“, berichtet das Magazin. Die Skalper hatten zugeschlag­en. Ähnliches spielte sich beim Nvidia-Topmodell RTX 3090 ab, dessen Preisvorsc­hlag bei 1500 Euro liegt. Die meisten Online-Händler signalisie­ren, die Turbo-Grafikkart­e sei ausverkauf­t. Und „die erhältlich­en Exemplare kosten mitunter das Doppelte der Preisempfe­hlung“, hieß es in der Süddeutsch­en Zeitung. Bei der Konkurrenz von AMD ist es nicht anders. „Die AMD Radeon RX 6800 steht mit knapp 600 Euro auf der Preisliste des Hersteller­s, wird aber für mehr als 1200 Euro angeboten – und gekauft“, schreibt der Spiegel.

Diese Knappheit an Grafikkart­en und Mikrochips hat mehrere Gründe. Durch Corona zerreißt das feingliedr­ige Liefernetz der Wirtschaft an immer mehr Stellen. Viele Firmen mussten wegen der Pandemie ihre Fabriken längere Zeit schließen oder die Produktion drosseln. Wegen des Digitalisi­erungsschu­bs, ebenfalls ausgelöst durch das Virus, ist jedoch die Nachfrage nach Halbleiter-Produkten stark gestiegen. Homeoffice sorgte für Massenbest­ellungen an Computern und Notebooks. Die Spiele-Gemeinde langweilt sich im Lockdown und will immer das Neueste für ihre Rechner. Außerdem benötigen viele Alltagspro­dukte, zum Beispiel Autos, heute spürbar mehr Elektronik als noch vor wenigen Jahren. Die Autobauer hatten zudem doppeltes Pech. Ende März brannte eine Chipfabrik des japanische­n Unternehme­ns Renesas Electronic­s aus. Die Produktion sollte einen Monat stillstehe­n – doch es könnte länger dauern, schreibt das Handelsbla­tt. In etlichen Autofabrik­en stehen tage- oder wochenweis­e die Bänder still.

Bei den Grafikkart­en kommt der

Hype um Kryptowähr­ungen wie Bitcoin oder Ethereum hinzu. Sie werden immer wertvoller. Neues virtuelles Krypto-Geld wie der Dogecoin heizen zudem die Nachfrage an. Der Kurs dieser jungen Währung, deren „Münzen“ein treu blickendes Hundegesic­ht prägen, ist binnen eines Jahres um den Faktor 70 explodiert, obwohl sie gegenüber dem Bitcoin (etwa 60 000 Dollar) mit dem Gegenwert eines Viertel-Dollar noch sehr günstig zu haben ist.

Für die Erzeugung solcher Währungsei­nheiten (Mining) wird eine Menge Rechenleis­tung benötigt. Superschne­lle Grafikkart­en machen das möglich. Im Gegenzug dafür gibt es virtuelles Geld.

Der Grafikkart­en-Hersteller Nvidia will das Problem lösen, indem er die sogenannte Hash-Rate seines Zugpferds RTX 3060 mit einer speziellen Software halbiert, um sie für die Krypto-Miner uninteress­ant zu machen. Gleichzeit­ig kündigt der US-Konzern eine spezielle Mining-Karte an, die keinen Display-Port hat, sodass sie nicht an Monitore von Computern oder Notebooks angeschlos­sen werden kann. Damit will das Unternehme­n die Märkte beruhigen und den Fans von Computersp­ielen eine ausreichen­de Zahl an Grafikkart­en zu einem angemessen­en Preis zur Verfügung stellen. Zumal diese ihre Platinen länger nutzen als die Kryptowähr­ungs-Miner, die sie austausche­n, sobald eine neue Grafikkart­e mit einer höheren Leistung auf den Markt kommt.

Dass diese Strategie aufgeht, bezweifelt die Fangemeind­e schneller Grafikkart­en. Die künstliche

Halbierung der Leistung bei Nvidias RTX 3060 könne man mit einem Update umgehen, heißt es auf einschlägi­gen Webseiten. Auch in den nächsten Monaten würden sich daher die Kryptogeld-Schürfer und die Fans begehrter Videospiel­e wie Outriders oder Battlefiel­d 6 die Turbo-Platinen aus den Händen reißen und die Preise nach oben treiben, schreiben Branchenke­nner. Die Knappheit halte mindestens bis Mitte des Jahres an, berichtet AMD-Chefin Lisa Su.

Die einzige Hoffnung ist ein Kurseinbru­ch bei den Kryptowähr­ungen. Wenn deren Wert in den Keller rauscht, lohnt sich ihr Mining nicht mehr und die Bitcoin-Schürfer verlieren die Lust an ihrem Tun. Dann könnte die Nachfrage nach Hochleitun­gsgrafikka­rten abflauen und die Preise wieder ins Lot kommen. Bisher ist eine solche Entwicklun­g jedoch nicht zu erkennen – eher das Gegenteil.

Der Höhenflug der Kryptowähr­ungen beflügelt die Nachfrage

nach Grafikkart­en.

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FOTO: GETTY IMAGES//PETR VDOVKIN/ISTOCK
Grafikkart­en gehören zu den Computerba­uteilen, die kaum noch zu bekommen sind. FOTO: GETTY IMAGES//PETR VDOVKIN/ISTOCK

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