Bitcoin macht Grafikkarten zu Mangelware
Computerzubehör ist derzeit nur schwer zu bekommen. Und wer kaufen will, muss tief in die Tasche greifen.
Die Computer-Gemeinde muss sich ein neues Wort merken: Skalper. Reiter verstehen darunter schützende Hüllen aus dickem Gummi, die dazu dienen, Hufballen und Fersen von Pferden zu schonen. Im Börsenjargon werden mit dem Begriff „Scalping“Marktmanipulationen bezeichnet. Die Skalper der Elektronik-Welt schonen nicht, sie schaden – bevorzugt den Portemonnaies anderer. Es sind Leute, die gefragte Elektroteile gezielt aufkaufen, um sie anschließend mit einem saftigen Aufschlag wieder zu verkaufen. Spekulationsspiele dieser Art laufen dann ab, wenn ein Produkt knapp wird. Das ist derzeit bei manchen Komponenten der Fall, ohne die kein Computer läuft oder das von ihm erwartete Rechentempo hinlegen kann.
Vor allem Grafikkarten und manche Mikrochips sind momentan ein begehrtes Gut, stärker nachgefragt als die Hersteller liefern können. Das Online-Fachmagazin Insight Digital berichtet, das die neue Mittelklasse-Grafikkarte RTX 3060 des Marktführers Nvidia beim Verkaufsstart Ende Februar 329 Euro kosten sollte – so lautete die Preisempfehlung des US-Konzerns. Saturn und Media-Markt hätten direkt nach dem Verkaufsstart 100 Euro mehr verlangt. Am Abend des ersten Verkaufstags sei die RTX 3060 bei allen Händlern ausverkauft gewesen. „Kurze Zeit später tauchen die ersten Ebay-Angebote für 750 bis 1000 Euro auf“, berichtet das Magazin. Die Skalper hatten zugeschlagen. Ähnliches spielte sich beim Nvidia-Topmodell RTX 3090 ab, dessen Preisvorschlag bei 1500 Euro liegt. Die meisten Online-Händler signalisieren, die Turbo-Grafikkarte sei ausverkauft. Und „die erhältlichen Exemplare kosten mitunter das Doppelte der Preisempfehlung“, hieß es in der Süddeutschen Zeitung. Bei der Konkurrenz von AMD ist es nicht anders. „Die AMD Radeon RX 6800 steht mit knapp 600 Euro auf der Preisliste des Herstellers, wird aber für mehr als 1200 Euro angeboten – und gekauft“, schreibt der Spiegel.
Diese Knappheit an Grafikkarten und Mikrochips hat mehrere Gründe. Durch Corona zerreißt das feingliedrige Liefernetz der Wirtschaft an immer mehr Stellen. Viele Firmen mussten wegen der Pandemie ihre Fabriken längere Zeit schließen oder die Produktion drosseln. Wegen des Digitalisierungsschubs, ebenfalls ausgelöst durch das Virus, ist jedoch die Nachfrage nach Halbleiter-Produkten stark gestiegen. Homeoffice sorgte für Massenbestellungen an Computern und Notebooks. Die Spiele-Gemeinde langweilt sich im Lockdown und will immer das Neueste für ihre Rechner. Außerdem benötigen viele Alltagsprodukte, zum Beispiel Autos, heute spürbar mehr Elektronik als noch vor wenigen Jahren. Die Autobauer hatten zudem doppeltes Pech. Ende März brannte eine Chipfabrik des japanischen Unternehmens Renesas Electronics aus. Die Produktion sollte einen Monat stillstehen – doch es könnte länger dauern, schreibt das Handelsblatt. In etlichen Autofabriken stehen tage- oder wochenweise die Bänder still.
Bei den Grafikkarten kommt der
Hype um Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum hinzu. Sie werden immer wertvoller. Neues virtuelles Krypto-Geld wie der Dogecoin heizen zudem die Nachfrage an. Der Kurs dieser jungen Währung, deren „Münzen“ein treu blickendes Hundegesicht prägen, ist binnen eines Jahres um den Faktor 70 explodiert, obwohl sie gegenüber dem Bitcoin (etwa 60 000 Dollar) mit dem Gegenwert eines Viertel-Dollar noch sehr günstig zu haben ist.
Für die Erzeugung solcher Währungseinheiten (Mining) wird eine Menge Rechenleistung benötigt. Superschnelle Grafikkarten machen das möglich. Im Gegenzug dafür gibt es virtuelles Geld.
Der Grafikkarten-Hersteller Nvidia will das Problem lösen, indem er die sogenannte Hash-Rate seines Zugpferds RTX 3060 mit einer speziellen Software halbiert, um sie für die Krypto-Miner uninteressant zu machen. Gleichzeitig kündigt der US-Konzern eine spezielle Mining-Karte an, die keinen Display-Port hat, sodass sie nicht an Monitore von Computern oder Notebooks angeschlossen werden kann. Damit will das Unternehmen die Märkte beruhigen und den Fans von Computerspielen eine ausreichende Zahl an Grafikkarten zu einem angemessenen Preis zur Verfügung stellen. Zumal diese ihre Platinen länger nutzen als die Kryptowährungs-Miner, die sie austauschen, sobald eine neue Grafikkarte mit einer höheren Leistung auf den Markt kommt.
Dass diese Strategie aufgeht, bezweifelt die Fangemeinde schneller Grafikkarten. Die künstliche
Halbierung der Leistung bei Nvidias RTX 3060 könne man mit einem Update umgehen, heißt es auf einschlägigen Webseiten. Auch in den nächsten Monaten würden sich daher die Kryptogeld-Schürfer und die Fans begehrter Videospiele wie Outriders oder Battlefield 6 die Turbo-Platinen aus den Händen reißen und die Preise nach oben treiben, schreiben Branchenkenner. Die Knappheit halte mindestens bis Mitte des Jahres an, berichtet AMD-Chefin Lisa Su.
Die einzige Hoffnung ist ein Kurseinbruch bei den Kryptowährungen. Wenn deren Wert in den Keller rauscht, lohnt sich ihr Mining nicht mehr und die Bitcoin-Schürfer verlieren die Lust an ihrem Tun. Dann könnte die Nachfrage nach Hochleitungsgrafikkarten abflauen und die Preise wieder ins Lot kommen. Bisher ist eine solche Entwicklung jedoch nicht zu erkennen – eher das Gegenteil.
Der Höhenflug der Kryptowährungen beflügelt die Nachfrage
nach Grafikkarten.