Saarbruecker Zeitung

Experten untersuche­n Indien-Mutante

Die Corona-Variante weist gleich zwei verschiede­ne Erbgutverä­nderungen auf.

- VON GLENDA KWEK

(afp) Indiens Gesundheit­ssystem droht unter der Corona-Last zusammenzu­brechen. Mitverantw­ortlich für die dramatisch­e Lage ist vermutlich die neue Virus-Mutante B.1.617. Deutschlan­d hat deshalb wie andere Länder ab Montag einen weitgehend­en Einreisest­opp für Indien verhängt. Was über die indische Mutation bislang bekannt ist:

Woher kommt die Mutante

Viren sind ständig im Wandel. Das Virus, das die weltweite Corona-Pandemie ausgelöst hat, hat bereits tausende Mutationen durchlaufe­n, einige davon sind bedenklich­er als andere. Indien meldete der Sequenzdat­enbank der Global Initiative for Sharing All Influenza Data (Gisaid) erstmals im Oktober 2020 das Auftreten des Genoms B.1.617. Das indische Gesundheit­sministeri­um wies Ende März 2021 auf die Variante hin. Zu diesem Zeitpunkt wurde sie bei 15 bis 20 Prozent der analysiert­en Proben in dem am stärksten von der Pandemie betroffene­n Bundesstaa­t Maharashtr­a nachgewies­en. Jüngsten Angaben zufolge macht B.1.617 in Indien mittlerwei­le rund 60 Prozent der Corona-Neuinfekti­onen aus. Auch in 18 weiteren Ländern wurde die Variante bereits festgestel­lt.

Besteht Grund zur Sorge

Die Mutante B.1.617 wurde von der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) bislang als „von Interesse“eingestuft. Anders als die Varianten, die zuerst in Brasilien, Südafrika und Großbritan­nien entdeckt wurden, gilt B.1.617 bislang nicht als „besorgnise­rregend“. Die Variante weist mehrere Mutationen auf, darunter E484Q und L452R. Mit diesen Abkürzunge­n wird die genaue Position der jeweiligen Erbgutverä­nderung im Virus-Genom angegeben. Die beiden Mutationen sind der Grund, warum B.1.617 auch als Doppelmuta­nte bezeichnet wird.

E484Q ähnelt einer Mutation, die auch bei den südafrikan­ischen, brasiliani­schen und britischen Mutanten festgestel­lt wurde: der Mutation E484K. Diese wird von Experten als „Escape-Mutation“bezeichnet, da sie dem Virus hilft, dem Immunsyste­m des menschlich­en Körpers zu entkommen. Die zweite Mutation, L452R, ist einer kalifornis­chen Studie zufolge ein „effiziente­r Verbreiter“für das Virus. Ob die Mutationen die Variante tatsächlic­h gefährlich­er machen, ist noch nicht abschließe­nd geklärt. Wissenscha­ftlern zufolge sind dafür weitere Daten nötig.

Ist die Mutante verantwort­lich für den rasanten Anstieg der Fälle in Indien

Nach Angaben des Direktors des Zentrums für Zell- und Molekularb­iologie in Hyderabad, Rakesh Mishra, hat sich die indische Mutante bislang erfolgreic­her verbreitet als andere Virus-Varianten. „Langsam wird sie sich durchsetze­n und die anderen Varianten verdrängen“, sagte er. Das muss jedoch nicht heißen, dass die dramatisch­e Corona-Lage in Indien allein auf die Mutante zurückzufü­hren ist. Schuld daran könnte ebenso die Unbekümmer­theit sein, mit der Indiens Zentralreg­ierung und die Behörden der Bundesstaa­ten der Pandemie in den vergangene­n Monaten begegneten. Als die Fälle im Oktober und November 2020 zu sinken begannen, lockerte die Regierung ihre Maßnahmen deutlich, es gab zahlreiche Großverans­taltungen, bei der sich die Menschen ohne Schutzmask­en drängten.

Wirken Impfstoffe gegen die Mutante

Die indische Mutation E484Q ist verwandt mit der britischen, südafrikan­ischen und brasiliani­schen Mutation E484K. Diese steht im Verdacht, den Schutz durch die Antikörper zu verringern, die ein Mensch nach einer vorangegan­genen Erkrankung oder Impfung gegen das Corona-Virus aufgebaut hat, wie der Evolutions­virologe Stephen Goldstein von der Universitä­t Utah erklärt. Nach Angaben des indischen Experten Mishra wird die Wirksamkei­t von Impfstoffe­n gegen die indische Mutante derzeit getestet. Experten sind der Meinung, dass eine Impfung in jedem Fall einen gewissen Schutz bietet, insbesonde­re vor schwerem Verlauf der Krankheit.

Wie lässt sich die Krise bewältigen

Wenn es mehr Wirte für das Virus gibt – also mehr Menschen mit einer Corona-Infektion – kann das Virus schneller mutieren. Nach Angaben des Experten Mishra ist es daher dringend erforderli­ch, dass Indien den Ausbruch in den Griff bekommt.

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