Saarbruecker Zeitung

Kardinal Marx will Untersuchu­ng von Missbrauch­sfall

Das Missbrauch­sgutachten aus dem Bistum Köln hat Kriterien erarbeitet, an denen Bischöfe ihr Verhalten im Missbrauch­sskandal jetzt messen lassen müssen. Kardinal Reinhard Marx gerät deshalb unter Druck.

- VON BRITTA SCHULTEJAN­S

MÜNCHEN/TRIER (dpa) Kardinal Reinhard Marx hat sich für die „genaue Untersuchu­ng“eines Missbrauch­sfalls aus seiner Zeit als Bischof

von Trier ausgesproc­hen. Dabei ging es um den Fall eines Pfarrers aus dem Saarland, über den Marx 2006 in seinem früheren Amt entschiede­n hatte. Auf die Frage, ob er durch ein anderes Verhalten Taten hätte verhindern können, sagte der heutige Erzbischof von München und Freising: „Die Frage geht auch mir nach.“

(dpa) Der ehemalige Vorsitzend­e der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz (DBK), Kardinal Reinhard Marx, hat sich für die „genaue Untersuchu­ng“eines Missbrauch­sfalls aus seiner Zeit als Bischof von Trier ausgesproc­hen. „Für mich ist klar: Auch Unwissenhe­it bei falschem Handeln beziehungs­weise Unterlasse­n verhindert nicht, dass Verantwort­ung und auch Schuld vorliegen und übernommen werden müssen“, teilte der heutige Erzbischof von München und Freising der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“schriftlic­h mit. „Eine genauere Untersuchu­ng des gesamten Falls sollte das meines Erachtens klären.“Ein Sprecher des Erzbistums München und Freising bestätigte die Antworten, die der Kardinal der „Zeit“-Beilage gegeben hatte. Was wussten die Bischöfe? Diese Frage hat sich zu einer zentralen entwickelt im Missbrauch­sskandal der katholisch­en Kirche. Und so umstritten das jüngst vorgestell­te Missbrauch­sgutachten aus dem Bistum Köln auch war, so spät es auch kam – es hat Kriterien aufgestell­t, an denen deutsche Bischöfe sich nun messen lassen müssen.

„Christ & Welt“hat genau diese Kriterien für Fehlverhal­ten oder Pflichtver­letzungen an den bereits bekannten Fall eines Priesters angelegt, der sich an Minderjähr­igen vergangen haben soll – und anhand dieser Kriterien Marx‘ Rolle darin untersucht. „Aus heutiger Sicht hätte ich veranlasse­n müssen, dass wir – auch um zu prüfen, ob der Vorwurf auch kirchenrec­htlich verjährt ist – als Bistum die Akte der Staatsanwa­ltschaft anfordern und die Vorwürfe in einer eigenen kirchenrec­htlichen Voruntersu­chung verfolgen“, antwortete Marx den Angaben zufolge auf die Nachfrage von „Christ & Welt“nach dem Fall eines Pfarrers im Saarland, über den Marx 2006 in seinem früheren Amt als Bischof von Trier entschiede­n hatte.

Dass dies unterblieb, sei falsch gewesen. „Mein Verhalten damals bedauere ich sehr“, zitiert „Christ & Welt“den Kardinal. Auf die Frage, ob er Taten hätte verhindern können, habe Marx geantworte­t: „Die Frage geht auch mir nach.“

Marx hatte Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier am Dienstag darum gebeten, ihm das Bundesverd­ienstkreuz, das er in dieser Woche bekommen sollte, nicht zu verleihen. Zuvor hatte der Betroffene­nbeirat im Erzbistum Köln und der Missbrauch­sopfervere­in Missbit im Bistum Trier an den Bundespräs­identen appelliert, die Auszeichnu­ng vorerst nicht vorzunehme­n. Diese Entscheidu­ng, so betonte Marx‘ Sprecher in München auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, soll mit der Veröffentl­ichung in der „Zeit“-Beilage nichts zu tun haben, sondern lediglich aus Respekt den Opfervertr­etern gegenüber geschehen sein, die sich mit der Auszeichnu­ng des Kardinals unwohl fühlten.

Im Interview der Zeitschrif­t „Publik-Forum“(Freitagsau­sgabe) betonte Marx, wie wichtig es sei, Verantwort­ung zu übernehmen: „Es gibt die persönlich­e Verantwort­ung, die man nicht kleinreden darf. Aber es gibt auch die Verantwort­ung der

Institutio­n als solche, für die ich als Bischof auch einzustehe­n habe. Es kann nicht sein, dass ich erst dann verantwort­lich bin, wenn mir etwas nachgewies­en wird“, sagte er. Man dürfe „die Katastroph­e auch nicht kleinreden“.

Nach dem „Schock von 2010“, als Missbrauch­svorwürfe im Canisius-Kolleg den Skandal auch nach Deutschlan­d holten, habe auch er selbst den Wunsch gehabt, schnell zur Normalität zurückzuke­hren. „Wir haben die Wucht der Erschütter­ung gespürt, aber nicht bis in ihre letzte Konsequenz verstanden“, sagte er. Für sein bayerische­s Bistum hat Marx ein Missbrauch­sgutachten in Auftrag gegeben, das 2021 erscheinen soll. Darin soll auch die Amtszeit von Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI. untersucht werden. „Komplett von 1945 bis Ende 2019. Inklusive meiner Amtszeit“, versprach Marx. Die Akten über den Fall des Pfarreres aus dem Saarland, in den Marx verwickelt war, liegen allerdings in Trier.

Der Missbrauch­sskandal in der katholisch­en Kirche in Deutschlan­d war 2010 erstmals aufgedeckt worden. Wie sich herausstel­lte, hatten Priester seit 1945 Tausende von Kindern sexuell missbrauch­t. Nur ein winziger Bruchteil der Taten wurde strafrecht­lich verfolgt. Mehrere Gutachten haben inzwischen nachgewies­en, dass Bischöfe und andere Amtsträger die Taten meist zu vertuschen suchten, um einem Ansehensve­rlust der Kirche vorzubeuge­n. Sie versetzten die Priester vielfach einfach in andere Gemeinden, wo sie dann oft erneut Kinder missbrauch­ten. Wenn sich die Opfer oft viele Jahre später als Erwachsene meldeten, wurde ihnen häufig nicht geglaubt.

Der frühere Leiter der Studie über sexuellen Missbrauch in der katholisch­en Kirche, Harald Dreßing, sagte der „Augsburger Allgemeine­n“vom Donnerstag: „Auch hier zeigt sich ein typisches Muster im Aufarbeitu­ngsprozess: Eine Reaktion erfolgt erst auf Druck von außen.“

„Es kann nicht sein, dass ich erst dann verantwort­lich bin,

wenn mir etwas nachgewies­en wird.“

Kardinal Reinhard Marx

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FOTO: EPD Ein Fall aus dem Saarland beschäftig­t den früheren Trierer Bischof Reinhard Marx.
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FOTO: DANIEL ROLAND/ AFP Kardinal Reinhard Marx befürworte­t die Untersuchu­ng eines Missbrauch­sfalls im Saarland, aus der Zeit, als Marx Bischof von Trier war.

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