Saarbruecker Zeitung

Kanzlerkan­didaten-Duell im Potsdamer Promi-Wahlkreis

Annalena Baerbock und Olaf Scholz kämpfen nicht nur gegeneinan­der ums Kanzleramt, sondern auch ums Direktmand­at. Beide wollen Stimmen aus der Mitte.

- VON MARTINA HERZOG, BASIL WEGENER UND OLIVER VON RIEGEN

(dpa) Im Auftreten könnten die beiden kaum unterschie­dlicher sein. Die Grünen-Chefin und designiert­e Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock, die manchmal kaum schnell genug in Worte fassen kann, was ihr durch den Kopf geht – und SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz, der Journalist­en auch schon mal mit nordisch-knappen Ein-Wort-Antworten zu verblüffen sucht. Doch beide teilen nicht nur den Wohnort Potsdam, wo sie praktisch nur der Heilige See trennt. Sie kämpfen auch im gleichen Wahlkreis um das Direktmand­at bei der Bundestags­wahl am 26. September. Historisch ist das Duell der beiden einmalig.

Grünen-Chefin Baerbock, die der Parteivors­tand vergangene Woche als Kanzlerkan­didatin nominiert hat, will einen Neuanfang. „Mit dieser Bundestags­wahl endet eine politische Epoche und eine neue Zeit beginnt“, sagte Baerbock. Wo der politische Gegner sie angreifen wird, kann sich die Grünen-Chefin denken. Bei ihrer Kür zur designiert­en grünen Kanzlerkan­didatin nahm sie die Kritik vorweg: „Ja, ich war noch nie Kanzlerin, auch noch nie Ministerin. Ich trete an für Erneuerung. Für den Status quo stehen andere.“Ihre mangelnde Regierungs­erfahrung möchte sie als Chance für frischen Wind verstanden wissen.

Die Lage ihrer Partei könnte sich Baerbock fünf Monate vor der Bundestags­wahl kaum besser wünschen. In Umfragen liegt sie konstant über 20 Prozent. Im Vergleich zum Ergebnis der Bundestags­wahl 2017 wäre das mindestens eine Verdopplun­g. Erklärtes Ziel ist allerdings, der Union das Kanzleramt abzujagen.

Und die Grünen stellen in diesem Jahr tatsächlic­h eine ernst zu nehmende Gefahr für die von Affären gebeutelte Union dar, was diese auch einräumt. Ihre Top-Themen bleiben Klima- und Umweltschu­tz. Doch nur, wenn Wählerinne­n und Wähler die Ökopartei auch in anderen Politikber­eichen für kompetent halten, werden die Grünen die guten Umfragen in für sie erfreulich­e Wahlergebn­isse verwandeln können – auch in Potsdam und Umgebung.

Der dortige Bundestags­wahlkreis 61 ist ein Promi-Wahlkreis. So treten neben Baerbock und Scholz für die CDU die ehemalige Brandenbur­ger

Landeschef­in Saskia Ludwig und für die FDP Ex-Generalsek­retärin Linda Teuteberg an. Bei der Bundestags­wahl 2017 gewann die heutige Brandenbur­ger Wissenscha­ftsministe­rin Manja Schüle dort das einzige Direktmand­at der SPD in Ostdeutsch­land

– das würden nun auch gern die Grünen holen.

Die SPD ist seit mehreren Monaten wie festgetack­ert bei um die 15 Prozent in der Wählerguns­t. Wenn es nach den Genossen geht, müsste es bald losgehen mit der Aufholjagd. Die Haupthoffn­ung von Kanzlerkan­didat

Olaf Scholz und Co. auf einen Sieg im September entzündet sich an Amtsinhabe­rin Angela Merkel – beziehungs­weise der Lücke, die sie reißen wird, und der Erwartung, dass den Wählern der Mitte dies rechtzeiti­g dämmert und sie ihr Kreuz lieber bei dem erfahrenen Scholz machen als bei der Konkurrenz. Jetzt könnte es losgehen mit frischem Zulauf für die SPD oder reumütiger Rückkehr – nachdem mit Baerbock eine Kandidatin ohne Regierungs­erfahrung aufgestell­t ist und mit Armin Laschet jemand, dem viele die Erfahrung in den vergangene­n Wochen zumindest nicht so angemerkt haben.

Scholz ist präsent im Wahlkreis, ob er einen Wissenscha­ftspark besucht oder an einer Diskussion­srunde mit Hoteliers teilnimmt. Mit Scholz wissen die Leute, was sie haben. Seit August 2020 ist klar, dass er der SPD-Kandidat ist. Streit gab es darüber keinen. Das Äußerste, was sich Scholz an Gefühlsaus­brüchen in der Öffentlich­keit leistet, ist manchmal ein verschmitz­tes Grinsen – ansonsten: Berechenba­rkeit pur. Mit seinem jüngsten Bekenntnis zum ökologisch­en Umbau zu einer klimaneutr­alen Wirtschaft würde er auch prima passen für ein Rot-Grün-plusx-Bündnis. Es wird also spannend, wenn der Mann mit sprödem Charisma und Baerbock um jene Wähler der Mitte kämpfen, die Laschet das Regieren vielleicht nicht so zutrauen.

Brandenbur­gs SPD-Fraktionsc­hef Erik Stohn zeigt sich zuversicht­lich für Scholz. „Für uns ist ganz klar: Im Wahlkreis 61 setzen wir auf Gold und wollen natürlich den Wahlkreis mit Olaf Scholz gewinnen.“Beide Kanzlerkan­didaten, Baerbock wie Scholz, wissen für das Rennen um die Kanzlersch­aft, was Trainieren heißt: Scholz joggt gern, Baerbock war früher Leistungss­portlerin im Trampolins­pringen.

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FOTO: NIETFELD/DPA Annalena Baerbock tritt für die Grünen im heiß umkämpften Bundestags­wahlkreis 61 an.
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FOTO: NIETFELD/DPA Im Potsdamer Wahlkreis 61 kämpft auch Olaf Scholz (SPD) ums Direktmand­at.

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