Saarbruecker Zeitung

Ein deutscher Koch und das Grauen in Myanmar

Seit 26 Jahren lebt Oliver Esser in dem südostasia­tischen Land. Einst half er dort sogar bei den Dreharbeit­en zum „Traumschif­f“. Seit dem Putsch ist nun nichts mehr wie vorher.

- VON CAROLA FRENTZEN

(dpa) Wenn Oliver Esser von jener Nacht erzählt, als das Militär in Myanmar gegen die demokratis­ch gewählte Regierung von Aung San Suu Kyi geputscht hat, ist ihm der Schock noch anzumerken. Der Deutsche spricht von „der

Hölle“und „totaler Fassungslo­sigkeit“, wenn auf die seit drei Monaten dauernde Schreckens­herrschaft der neuen Junta zurückblic­kt. Schon seit 26 Jahren lebt der im nordrhein-westfälisc­hen Hürtgenwal­d geborene Koch, Hotelier und Umweltschü­tzer im früheren Birma und kennt das Land und seine komplizier­ten politische­n Verhältnis­se wie seine Westentasc­he.

Seit vor drei Monaten seine glückliche Welt zwischen dem herrlichen Ngapali Beach im Westen und der früheren Hauptstadt Yangon wie ein Kartenhaus zusammenfi­el, kämpft er an der Seite der Menschen für die Rückkehr zur Demokratie. „Dieser Absturz ins Grauen in Myanmar seit dem 1. Februar 2021 ist wie das größte Unglück, das einer Familie passieren kann – und die Leute hier sind wie meine Familie“, sagt der 59-Jährige. „Alles, was über Jahre aufgebaut wurde – Hoffnungen, Ziele, die ganze Zukunft der Menschen – wird durch eine kleine Gruppe geldgierig­er Terroriste­n zerstört. Das schmerzt.“

In dem südostasia­tischen Land haben Generäle die Macht übernommen und die beim Volk beliebte Regierungs­chefin Aung San Suu Kyi unter Hausarrest gestellt. Seit dem Umsturz gehen Militär und Polizei mit brutaler Härte gegen jeden Widerstand vor. Mehr als 750 Menschen sind Schätzunge­n zufolge bereits getötet worden, Tausende sitzen in Haft.

Erst vor rund zehn Jahren waren nach jahrzehnte­langer Diktatur und Abschottun­g zaghafte demokratis­che Reformen auf den Weg gebracht worden. Als Hauptauslö­ser des Putsches gilt die Parlaments­wahl vom November, die Suu Kyi mit klarem Vorsprung gewonnen hatte. Beobachter glauben, dass die Friedensno­belpreistr­ägerin dem Militär wegen ihrer großen Popularitä­t zuletzt zu gefährlich geworden sei.

„Aung San Suu Kyi stand für Hoffnung, glückliche Menschen, Bildung, Umweltschu­tz“, sagt Esser, der seit 2002 am berühmten Strand Ngapali das „Oliver`s Laguna ECO Lodge Hotel“betreibt. „Aber ein Leben unter diesen Terroriste­n ist wie jeden Tag zu sterben, wie in ständiger Dunkelheit existieren zu müssen.“Darum würden die Massenprot­este sicher nicht abreißen: „Die

Menschen hier kämpfen bis zum Ende – sonst haben sie für immer verloren“, ist der Deutsche überzeugt, der sich als Mitglied der Hilfsorgan­isation „World Chefs Without Borders“für Entwicklun­gszusammen­arbeit und Umweltschu­tz einsetzt.

Esser erzählt von den Wochen vor dem Putsch. Anfang des Jahres seien die Corona-Zahlen stark zurückgega­ngen. Auch die Impfkampag­ne sei mit großen Schritten vorangesch­ritten. Das Leben wurde langsam wieder normal, Hotels und Restaurant­s öffneten. „Nach zwölf Monaten ohne Einnahmen tat es so gut, am 15. Januar endlich die Eröffnungs­zulassung für unser Hotel zu bekommen“, erzählt der abenteuerl­ustige Koch, der mit der Burmesin Khin Khet Khet Kaing verheirate­t ist und mit ihr einen Sohn hat. „Im Januar hatten wir noch Freude und große Hoffnung auf eine gute Zukunft.“

Dann kam der 1. Februar. „Um 5 Uhr morgens weckte uns ein Anruf aus der Hauptstadt“, erinnert sich Esser. So habe er von dem Putsch erfahren. „Alle hatten seit den Wahlen Angst davor – aber es war trotzdem der totale Schock.“Noch kurz zuvor habe der neue Junta-Chef Min Aung Hlaing gesagt, dass die Generäle niemals putschen würden, das sei illegal. „Sie haben wieder einmal nur gelogen und betrogen.“

Als kurz darauf die Proteste gegen die Junta losbrachen, waren Esser und andere Köche zunächst an vorderster Front dabei. Dann aber gab es das erste Todesopfer in der Hauptstadt Naypyidaw. Eine Studentin wurde per Kopfschuss niedergest­reckt. Danach habe er versucht, die Köche aus der Schusslini­e zu halten und sie ermutigt, für die Demonstran­ten zu kochen, „Milchreis,

Currys und vieles mehr“. Aber dann sei die Lage zunehmend eskaliert. „Es wurde immer schwerer, Essen in Mengen zu kochen und zu verteilen, denn wir mussten uns immer schnell wieder in Sicherheit bringen, um nicht erschossen oder festgenomm­en zu werden.“

Die Angst vor einer Festnahme sei seit Wochen ein ständiger Begleiter, sagt er. „Jeder hat Angst, vor allem davor, dass es dann wirklich passiert und sie Dich holen kommen.“Wie viele andere wechsle er deshalb immer wieder den Schlafplat­z.

Schon seit Wochen wohnt Esser mit seiner Familie nicht mehr in der eigenen Wohnung. „Das ganze Haus bis hoch in den fünften Stock wurde am 28. Februar mit irgendwelc­hen chemischen Waffen begast – das war ein totaler Schock für mich, die Augen taten weh, die Haut brannte wie Feuer, ich hatte stundenlan­g Kopfschmer­zen – und das alles, weil 50 friedliche Demonstran­ten in unserer kleinen Straße waren.“Die Realität 2021 ist ein krasser Gegensatz zu den Zeiten, als Esser einst Wolfgang Rademann bei der Organisati­on der Dreharbeit­en zum „Traumschif­f Myanmar“half.

Aber Esser gibt sich kämpferisc­h. Er sei sich bewusst, dass er jederzeit inhaftiert werden könnte, sagt er. „Aber man kann nicht gehört werden, wenn man nicht spricht, und man kann nicht ans Ziel kommen, wenn man den ersten Schritt nicht macht.“Und wenn es wirklich passieren sollte, „dann kann ich mit fast 60 Jahren auch im Gefängnis Leute zu Köchen ausbilden“.

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FOTO: THEINT MON SOE/DPA Seit dem Putsch am 1. Februar protestier­en die Menschen in Myanmar gegen die Militär-Junta. Hier stapelt ein Demonstran­t Säcke, um auf einer Straße eine Barrikade zu errichten.
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FOTO: ESSER/DPA Der Koch Oliver Esser stammt aus Nordrhein-Westfalen und lebt nun in Myanmar.

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