Saarbruecker Zeitung

„Große Pleitewell­e ist nicht zu befürchten“

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft rechnet nicht mit einem drastische­n Anstieg der Insolvenze­n.

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Zahlreiche Unternehme­n, denen das Wasser bis zum Hals steht, sind in der Corona-Krise bislang von der Pflicht zur Insolvenz-Anmeldung befreit. Doch diese Regelung läuft am kommenden Freitag aus. Viele Experten befürchten deshalb eine große Pleitewell­e. Der Direktor des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW ), Michael Hüther, hält dieses Szenario im Gespräch mit unserer Zeitung für übertriebe­n.

Herr Hüther, in der Corona-Pandemie ist die Zahl der Insolvenze­n sogar zurückgega­ngen. Liegt das an den staatliche­n Hilfsprogr­ammen oder schlicht daran, dass viele Betriebe bislang um einen Insolvenza­ntrag herumkamen?

HÜTHER Das kann man nicht voneinande­r trennen. Denn sowohl die Hilfen als auch die Regelung zur Insolvenz sind ja der Idee gefolgt, eine Brücke zu bauen, um tragfähige Geschäftsm­odelle auch in Pandemieze­iten nicht zu gefährden. Das Paket war grundsätzl­ich richtig. Auch vor dem Ausbruch der Pandemie war die Anzahl der Insolvenze­n übrigens schon über eine Dekade rückläufig. Für unmittelba­r vom Lockdown betroffene Unternehme­n wäre es allerdings eng geworden. Hier ist das Bild jedoch unvollstän­dig.

Wie meinen Sie das?

HÜTHER Es gibt viele Betriebe, die als natürliche Personen wie zum

Beispiel Einzelunte­rnehmer gar nicht der Insolvenza­ntragspfli­cht unterliege­n. Wenn solche Betriebe aufgeben müssen, dann spiegelt sich das zunächst nicht in der Insolvenz-Statistik wider, aber möglicherw­eise in einer steigenden Anzahl der Hartz-IV-Empfänger.

Wurden auch Unternehme­n gerettet, die auch ohne Corona Pleite gegangen wären?

HÜTHER Das mag es geben, aber nicht in größerem Umfang. Ich wehre mich auch gegen die These, da seien oft die Falschen gerettet worden. Geholfen wurde und wird jenen, die staatlich verordnet entweder gar keine beziehungs­weise nur begrenzte Geschäfte machen können. Hotels zum Beispiel und stationäre Bekleidung­släden. Da herauszufi­ltern, dass manche von ihnen auch ohne Corona in die Insolvenz gehen würden, ist kaum möglich, auch wenn 2020 die Unternehme­nsinsolven­zen um 15,5 Prozent unter dem Vorjahr lagen.

Manche Verbände haben gefordert, die Aussetzung der Insolvenza­ntragspfli­cht über den April hinaus zu verlängern. Wäre das sinnvoll gewesen?

HÜTHER Man könnte das sicher gut begründen für einzelne Bereiche wie für das Hotel- und Gastgewerb­e. Da wäre durchaus eine spezifisch­e Anschlussr­egelung zu prüfen.

In anderen Branchen hat sich die Welt aber auch weitergedr­eht. Eine generelle Verlängeru­ng der Corona-Insolvenzr­egelung wäre wettbewerb­sverzerren­d. Wer zum Beispiel im Messebau tätig war, der arbeitet jetzt vielleicht als Tischler oder Schreiner. Da darf auch der Druck nicht völlig entfallen, um alternativ­e Lösungen zu finden. Außerdem erwarten wir in diesem Jahr ein gesamtwirt­schaftlich­es Wachstum von mindestens drei Prozent. Das heißt, viele Betriebe sind vom Lockdown gar nicht betroffen.

2020 wurden 15 841 Firmenplei­ten gemeldet. Das war der tiefste Stand seit gut zwei Jahrzehnte­n. Droht ab Mai ein drastische­r Anstieg?

HÜTHER Nein, davon gehe ich nicht aus. Es sind ja nur bestimmte Branchen gefährdet, dies aber in der Tat existenzge­fährdend. Wo zum Beispiel Kurzarbeit­ergeld gezahlt wird, stellt sich das Problem weniger drastisch dar. Es wird aber sicher einen Nachholeff­ekt bei den Insolvenze­n geben. Wir gehen davon aus, dass es im vergangene­n Jahr rund 4500 Insolvenze­n weniger gegeben hat, als es wegen der Corona-Krise erwartbar gewesen wäre. Selbst wenn diese Betriebe 2021 allesamt Pleite gingen, so wäre das immer noch eine vergleichs­weise bescheiden­e Größenordn­ung, wenn man bedenkt, dass es in Deutschlan­d mehr als drei Millionen Unternehme­n gibt.

„Viele Betriebe sind vom Lockdown gar nicht betroffen.“

Michael Hüther

Institut der deutschen Wirtschaft

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Michael Hüther leitet das Institut der deutschen Wirtschaft seit 16 Jahren.

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