Trotz Kinokrise: Die Besitzer des „Thalia“in Bous blicken nach vorne und investieren in ihr Kino.
Die Schließung der Kultureinrichtungen trifft auch die Kinos weiterhin hart. Wie geht man als Kinobetreiber damit um? Marion und Peter Martin vom „Thalia“in Bous resignieren nicht – sie investieren.
Nein, es soll nicht nur um Corona und die katastrophale Lage auch der Kinos gehen. Denn Peter Martin (58) und Marion Martin (51) von den Thalia Lichtspielen in Bous schauen nach vorne – so gut es eben geht. Wann die Kinos wieder öffnen können, ist unklar. Im Saarland durften sie dank „Modellregion“zwar für kurze Zeit wieder Publikum empfangen, aber die kommerziellen Kinos hatten sich geschlossen dagegen entschieden; nur das kommunale Kino Achteinhalb in Saarbrücken hatte den Versuch Mitte April gewagt: zu hoch war das Risiko, die teure Kino-Maschinerie mit Film- und Warenbestellung anlaufen zulassen, um dann eventuell doch wieder schließen zu müssen. Was genau so nun auch passiert wäre.
„Das alles macht einen schon mürbe“, sagt Peter Martin, „es geht halt nicht voran“. Aber der Kinobetreiber schaut in die Zukunft und spricht sogar von „Glück“. Dem Glück nämlich, „dass wir in unserem Kino immer schon Wert auf Luxus gelegt haben, mit viel Platz“. Denn Saal 1 des Thalia hatte in den Frühzeiten des Traditionskinos einst 450 Plätze, in den 1960ern wurde es zu einem Raum mit 141 Plätzen umgebaut, „mit viel Abstand und Holzbrüstungen zwischen den einzelnen Sitzgruppen“. Vor Corona ein schöner Komfort – jetzt in der Zeit der Pandemie möglicherweise ein Rettungsanker. „Die Abstandsregeln können wir sehr gut einhalten“sagt Martin, „das ist unser Glück – in dem Saal haben dann noch circa 100 Leute Platz“. Nur: Wenn die Kinos wieder Filme zeigen, die Besucherinnen und Besucher aber eventuell noch Masken tragen müssen, stört das den Verkauf von Snacks und Getränken, der für Kinos kein Neben-Geschäft ist, sondern Geschäfts-Basis. „Ja, das wird schwierig“, sagt Martin, „aber ich weiß, dass der Betrieb funktionieren wird. Die Menschen wollen zurück ins Kino“, das habe sich bei der Öffnung nach dem ersten Lockdown klar gezeigt.
Eine Herzenssache ist das Kino bei den Martins – und Familientradition dazu: Peter Martins Großvater hat 1924 das erste Kino in Bous gegründet – das Union Theater in der Kirchstraße mit knapp 300 Plätzen. 1947 führt Peter Martins Vater Herbert das Union weiter und baut 1957 in der Hauptstraße ein ganz neues Kino: die Thalia Lichtspiele, ein Premierenhaus. So hat das überschaubare Bous zeitweise sogar zwei Kinos mit insgesamt über 700 Plätzen. Doch bald flimmern die Fernseher in den Nierentisch-Wohnzimmern, das Kinopublikum bleibt öfter zuhause – das UT schließt 1962, und Mitte der 1960er Jahre bittet Herbert Martin im Thalia nicht nur zum Film, sondern auch zum Tanz, um den Saal zu füllen. Er verkleinert auf 141 Plätze mit viel Beinfreiheit und Service; Getränke werden per Knopfdruck an den Platz gebracht – es ist jener Umbau, der mithin den besonderen Charme des Thalia ausmacht und jetzt ein Trumpf sein könnte.
2003 feiert Herbert Martin seinen 80. Geburtstag als ältester aktiver Kinobetreiber des Saarlandes, dreht immer noch seine Runden zwischen Vorführraum und Kassenhäuschen. Doch zwei Jahre später stirbt er. Sohn Peter, sozusagen im Kino aufgewachsen, und seine Frau Marion beschließen, das Kino weiterzuführen – nach einer Bedenkzeit, die kurz ausfällt. „Wir standen damals in dem Saal, den mein Vater gebaut hat“, erzählt Peter Martin, der für seinen Kinotraum nach 20 Jahren Arbeit bei einer Versicherung seinen Job kündigte. „Wir beide dachten: Das ist so schön hier. Das muss einfach funktionierten – wenn man sich reinhängt.“
Das taten die Martins. 2013/14 investierten sie über eine Million Euro und bauten um, ein dreiviertel Jahr lang: Zum Hauptsaal mit seinem nostalgischen Flair kamen zwei Säle dazu: Kino 2 (120 Plätz) in roter Plüsch-Optik, Kino 3 (58 Sitzplätze) mit Ledersitzen. Ein Wagnis damals, als es mehr Kinoschließungen als Renovierungen oder gar Neubauten gab – nachvollziehbar, dass nicht jede Bank am Plan der Martins interessiert war. Doch die Rechnung ging auf, nicht zuletzt durch Sonderveranstaltungen, mit Reisefilmen etwa und Multi-Mediashows, mit sonntäglichen Musikfilmfrühschoppen und Live-Programmen auf der Bühne des Saals 1. Auf diese Termine in normaleren Zeiten hoffen die Martins, „das wollen wir forcieren, wenn es wieder weitergeht.“Auch die Speisekarte
des Bistros, das 2017 eröffnet wurde und sich über zwei Etagen des Alt- und Neubaus erstreckt, war gut angenommen worden.
Es lief also gut in dem Kino mit seinem historischen Kassenhäuschen von 1957 und der Mischung aus modernem Filmtheater und nostalgischer Kino-Anmutung. Bis Corona kam – mit Schließungen, Öffnungen, wieder Schließungen, Startverschiebungen und Abwandern von potenziellen Hits ins Streaming-Heimkino. Ein Anlass, alle Kinoträume zu bereuen und sich wieder an seinen alten Arbeitsplatz bei der Versicherung zurück zu wünschen? „Keinen einzigen Augenblick“, sagt Martin – und man glaubt ihm. Das Kino-Ehepaar
macht jetzt aus der aktuellen Not eine Tugend und nutzt die Zeit für Umbauten. „Saal 2 und 3 werden klimatisiert“, sagt Peter Martin, „schließlich werden die Sommer immer heißer“, und im Bistro wird angestrichen. „Wir treten die Flucht nach vorne an. Was soll man machen? Wir glauben ans Kino.“
Symbolisch wie finanziell willkommen war da im vergangenen Dezember der Kinoprogramm-Hauptreis des Saarlandes, dotiert mit 6000 Euro. Aber Martin gibt zu, dass durch die Kinoschließung „die Kassen leer sind. Das ist klar.“Und nach den Investitionen muss noch ein großer Betrag zurückgezahlt werden. „Ohne Kredite ging es nicht, weil es mit den Unterstützungsgeldern gedauert hat – aber die waren dann irgendwann da.“
Wie viele Kinos zurzeit öffnet das Thalia, das vier Festangestellte und 16 Mini-Jobber beschäftigt, am Wochenende zumindest ein bisschen, so weit wie erlaubt – für den Verkauf von Kinogutscheinen und der klassischen Kino-Nachos und Popcorn. „Überleben kann man davon natürlich nicht“, sagt Peter Martin – aber der Kontakt mit der Kundschaft, die vielen Komplimente und „Kopf hoch!“- oder „Weiter so“-Botschaften seien enorm aufmunternd. Das Thalia hat eben seine sehr treuen Fans (und allein fast 4000 Newsletter-Abonnenten), die gerne etwas tun für ihr Kino. „Zwei Stammkundinnen haben uns Accessoires mit Kinomotiven gebastelt, die wir verkaufen.“Die Einnahmen (sogar Spenden gibt es) gehen im Thalia an die Mini-Jobber, „die von der Politik ja ganz vergessen werden. Wir verstehen uns als Familie, bei der keiner zu kurz kommen soll.“Wenn die Kinos wieder öffnen, werden sich die Martins reinhängen wie immer, an ein zweites Standbein etwa ist nicht zu denken. „Wenn man uns fragt, was wir außer Kino noch machen“, sagt Peter Martin, „sagen wir immer: nichts. Wenn man sich so intensiv kümmert, hat man keine Zeit für einen weiteren Job. Aber dann funktioniert es auch.“www.kino-bous.de
„Die Kassen sind leer,
das ist klar.“
Peter Martin
Kinobesitzer und -betreiber