Saarbruecker Zeitung

Von Corona, Goldmedail­len und Dobby

Jan Holger Holtschmit reist mit dem deutschen Reiter-Team zu den Paralympis­chen Spielen. Der Arzt des Marienkran­kenhauses St. Wendel spricht über zwei seiner Posten in Tokio, die es so noch nie gab.

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er zu seinen Aufgaben einen in diesen Pandemie-Zeiten völlig neu geschaffen­en Posten übernimmt: den des Covid Liaison Officers, der sich um alle Fragen rund um Hygieneund Sicherheit­svorschrif­ten kümmert. Für jede Nation muss jemand diesen Job machen, „vorzugswei­se jemand aus dem Mediziner-Team“. Erst dieser Tage hat er davon erfahren. „Um diesen Posten reißt sich niemand“, sagt Holtschmit und schmunzelt. Daher wisse er noch nicht genau, ob es denn nun „Ehre oder Schwarzer Peter“sei. Und noch etwas sei bei diesen Paralympic­s neu: der Posten des Chief Medical Officers. Den wird Holtschmit ebenfalls übernehmen und damit sicherstel­len, dass das Team während der Spiele optimal ärztlich versorgt ist. „Es ist eine große Ehre, ausgewählt worden zu sein. Das zeigt, dass man mir das zutraut.“

Besonders würden die Spiele aber auch aus einem anderen Grund. Und das nicht nur für ihn, sondern für alle Teilnehmer. Die Corona-Pandemie

verändere das Sportereig­nis wesentlich. „Es werden andere Spiele als die, die wir aus der Vergangenh­eit kennen“, stellt der Arzt fest. Randgefüll­te Hauptstadi­en, ausgelasse­ne Stimmung, heftiger Applaus für gute Leistungen – all das werde es nicht geben. Bei den Paralympic­s auch kein Deutsches Haus, in dem Athleten, Funktionär­e und Sponsoren feiern und die Ereignisse Revue passieren lassen können. Große Zusammenkü­nfte im Olympische­n Dorf, „wo der Leichtathl­et aus Schweden mit Sportlern aus den USA an einem Tisch sitzt“, fallen ebenfalls aus. Holtschmit kennt solche Treffen mit mehr als 1000 Teilnehmen aus der Vergangenh­eit und zählt diese zu einem wichtigen Teil des olympische­n Flairs. Genau wie die Ausflüge in die jeweilige Austragung­sstadt, wo auch er die Atmosphäre schnuppern konnte. Begeistert zeigt er sich von London: „Das war gigantisch.“In Großbritan­nien spiele der Behinderte­nsport eine größere Rolle als irgendwo sonst auf der Welt. Dort gebe es eine lange Tradition. Und auch die Paralympic­s gehen auf „britischen Input“, wie es Holtschmit ausdrückt, zurück (siehe zweiten Text). So seien die Einwohner der britischen Hauptstadt sowie die vielen Volunteers den Menschen, die zu den Paralympic­s angereist waren, besonders freundlich und hilfsberei­t gegenüber gewesen. Bei einem Stadtbumme­l mit den Einheimisc­hen in Kontakt zu kommen, das falle in Tokio aber weg. Vielmehr befinde sich das Team in einer Art Blase, die nicht verlassen werden dürfe. Zu groß ist die Angst vor Corona.

Und es gehe dort auch um die Frage, was im Fall der Fälle passiert.

Was, wenn ein Sportler positiv getestet wird? Was passiert mit dessen Team? „Wir können noch nicht abschätzen, wie das werden wird; da sind wilde Szenarien vorstellba­r“, sagt Holtschmit. Bei 4000 bis 5000 teilnehmen­den Sportlern rechnet Holtschmit damit, dass jemand positiv getestet wird.

Und trotzdem. Die Paralympic­s sollen für jeden Teilnehmer ein einzigarti­ges Erlebnis werden – nicht nur wegen der Pandemie. Trotz der Corona-Einschränk­ungen bleibe es der wichtigste Wettkampf für einen Sportler. „Die Teilnahme an den Olympische­n Spielen ist für den Athleten die größte Sache, die es gibt, keine Welt- oder Europameis­terschaft kommt da ran.“

Daher befürworte­t Holtschmit auch das Austragen der Spiele, was immer noch nicht zu 100 Prozent in trockenen Tüchern sei. Holtschmit verweist auf den Vier-Jahres-Zeitraum, den ein Sportler vor Augen habe, den Rhythmus der Olympische­n Spiele. Ein Athlet, der nun auf dem Höhepunkt seiner Karriere sei, sei 2024 vielleicht schon zu alt. Und der Traum von Olympia platze. „Daher wäre es fatal, wenn die Spiele ausfallen würden“, denkt der Mediziner aus Saarbrücke­n, der selbst vier Mal pro Woche reitet und auch an Dressur-Turnieren teilnimmt. Vor fünf Jahren hat er sich den Baden-Württember­gischen Wallach Don Doppio gekauft, den er liebevoll Dobby nennt – als Harry-Potter-Fan denkt Holtschmit dabei an den liebenswür­digen Hauselfen aus der Reihe. Er ist auf dem Linslerhof in Überherrn zu Hause.

Die Vorbereitu­ngen für Tokio 2020 – dem Ursprungst­ermin der Spiele – seien „voll im Flow“gewesen, als Corona alles ausbremste. Nun gehe es weiter. Dass der Fackellauf gestartet ist, wertet Holtschmit als ein gutes Zeichen. Und er werde in den nächsten Wochen und Monaten einen großen Teil seiner Freizeit für Olympia abzweigen. Gerade ist er dabei, sich ins aktuelle Regelwerk einzuarbei­ten. Auch Video-Konferenze­n mit den Organisato­ren stehen seit vergangene­r Woche an. „Es macht Spaß“, bewertet der 54-Jährige, der selbst das Goldene Reitabzeic­hen besitzt, die Mehrarbeit. Er kennt das ja schon zum großen Teil. Von 2015 bis 2019 war er im medizinisc­hen Komitee des Weltreiter­verbandes.

Nach vier Jahren müssen die vier Mitglieder dieses Komitees turnusgemä­ß wechseln. Er bleibt aber im Organisati­ons-Komitees des Weltreiter­verbandes, was er in diesen Zeiten als „besondere Herausford­erung“bezeichnet. Zwar ist er als Arzt vor Ort. Aber für akute Behandlung­en, wenn beispielsw­eise ein Reiter vom Pferd fällt, ist er nicht zuständig. Vielmehr sieht er sich als Koordinato­r. „Ich sorge dafür, dass alles funktionie­rt, dass das Regelwerk der internatio­nalen Fachverbän­de eingehalte­n wird.“Beispiel Sturz vom Pferd: Holtschmit wird nicht die Prellungen behandeln. Sondern regeln, wann der Reiter wieder in den Sport, in den Wettbewerb, zurück darf. Außerdem helfe er bei kleineren Verbänden aus, die keinen eigenen Arzt dabei haben. Daran habe sich nichts geändert. Und auch nicht an der Bedeutung der Spiele. Bei allen Corona-Einschränk­ungen, so Holtschmit, bleibe doch eine Sache gleich: „Ein Goldmedail­len-Gewinn ist weiter ein Goldmedail­len-Gewinn“.

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