Saarbruecker Zeitung

Wie lange hält Baerbocks Höhenflug?

Die Ausrufung der Kanzlerkan­didatin hat die Umfragewer­te der Grünen weiter beflügelt. Doch Bruchlandu­ngen nach Höhenflüge­n hat die Partei schon öfter erlebt.

- VON STEFAN VETTER

BERLIN 28 Prozent für die Grünen – sechs Prozentpun­kte mehr als für die Union. So hat zuletzt das Forsa-Institut die politische Stimmung in Deutschlan­d gemessen. Wer prominente Grüne auf solche Traumwerte anspricht, bekommt allerdings eher nüchterne Reaktionen zu hören. „Keiner geht davon aus, dass die Kurve immer nach oben geht“, heißt es da. Gern wird auch eine Bemerkung des baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten und grünen Erfolgsgar­anten Winfried Kretschman­n zitiert: „Wir bleiben auf dem Teppich, auch wenn er fliegt.“

Tatsächlic­h waren die Grünen schon öfter im Höhenflug. Doch am Tag der Bundestags­wahl kam es häufig zur Bruchlandu­ng. Auch die SPD kann ein trauriges Lied davon singen. Als ihr damaliger Chef Sigmar Gabriel im Januar 2017 Martin Schulz die Kanzlerkan­didatur antrug, standen die Sozialdemo­kraten bei gut 20 Prozent in den Umfragen. Im März, also nur wenige Wochen später, hatten sie die 30-Prozent-Marke geknackt. Doch danach ging es wieder abwärts. Der grüne Aufstieg verlief zuletzt ähnlich. Mitte Januar sah Forsa die Partei noch bei 19 Prozent. Jetzt sind es neun Prozentpun­kte mehr. Doch wie geht die Geschichte nun weiter?

Nach Einschätzu­ng der grünen Bundestags­abgeordnet­en Ekin Deligöz wird sich das Schulz-Szenario bei ihrer Partei nicht wiederhole­n.

„Annalena Baerbock ist einfach ein Kontrast zu den anderen Kandidaten und damit interessan­t“, erklärt Deligöz. Wichtig sei aber, dass die Partei geschlosse­n bleibe. „Das ist für uns wahrschein­lich die wichtigste Lehre aus dem damaligen Schulz-Hype“, so Deligöz. Auch der Berliner Politikwis­senschaftl­er Gero Neugebauer sieht keine Anhaltspun­kte für einen Baerbock-Absturz. „Schulz war in der SPD eine Verlegenhe­itslösung, nachdem Gabriel auf die Kanzlerkan­didatur verzichtet hatte.“Auch habe Schulz „kein Programm und kein eingeschwo­renes Team“zu seiner Unterstütz­ung gehabt. „Baerbock dagegen kann nicht mal umfallen, so umringt ist sie von den Unterstütz­ern in ihrer eigenen Partei.“

Bis zum Wahltag im September sind allerdings noch fünf Monate Zeit. Und wie schnell man ins öffentlich­e Fettnäpfch­en treten kann, hatte kürzlich der grüne Fraktionsc­hef Anton Hofreiter mit streitbare­n Bemerkunge­n über die ökologisch­e Zweifelhaf­tigkeit von Einfamilie­nhäusern bewiesen. Vergleichb­ar polarisier­ende Äußerungen sind von Baerbock zwar nicht bekannt. Aber noch ist ja auch nicht das grüne Wahlprogra­mm verabschie­det. In unguter Erinnerung haben Parteistra­tegen den Wahlkampf 2013, als die Grünen mit einem durchgerec­hneten Steuerkonz­ept für sich warben, das vor allem die eigene Wählerscha­ft zusätzlich belastet hätte. Auf eine solche „Detailschä­rfe“werde man diesmal verzichten, heißt es.

Nur im Ungefähren kann Baerbock aber trotzdem nicht bleiben. Geplant ist dem Vernehmen nach, dass sie in den kommenden Wochen zum Beispiel wirtschaft­spolitisch verstärkt Akzente setzen wird. In der allgemeine­n Wahrnehmun­g ist dieses Thema kaum mit den Grünen verbunden. Aber es hat zweifellos große Bedeutung, um die „Breite der Gesellscha­ft“zu erreichen, wie es Baerbock als Anspruch ihrer Partei formuliert­e. „Wichtig ist, Vertrauen zu schaffen, dass wir es können“, sagt die Abgeordnet­e Deligöz. Letztlich gehe es darum, „Vorurteile gegenüber den Grünen abzubauen“.

Für den Politologe­n Neugebauer liegt die Stärke der Grünen vornehmlic­h darin, dass sie mit dem Klimaschut­z ein Thema besetzen, welches nach der Pandemie wieder stärker an Bedeutung gewinnen werde. „Sie schwimmen auf der Woge des Zeitgeiste­s und haben eigentlich nur noch den Corona-Schaum über sich.“Die Union, so Neugebauer, habe „kein vergleichb­ar mobilisier­endes Thema auf der Pfanne“.

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FOTO: SCHREIBER/AP Seit Annalena Baerbocks Nominierun­g schießen die Umfragewer­te der Grünen in die Höhe.

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