Saarbruecker Zeitung

Verfassung­srichter zwingen Politik zu mehr Klimaschut­z

Aus Karlsruhe kommt ein wegweisend­es Urteil zum Klimaschut­z. Es fordert mehr Generation­engerechti­gkeit bei der Lastenvert­eilung.

- VON ANDREAS HOENIG UND MARCO KREFTING

KARLSRUHE/SAARBRÜCKE­N (dpa) Ein wegweisend­es Urteil setzt die Politik beim Klimaschut­z unter Druck. Das Bundesverf­assungsger­icht entschied am Donnerstag, dass der Bund das Klimaschut­zgesetz nachbesser­n muss, um Freiheitsr­echte jüngerer Generation­en zu schützen. Konkret verpflicht­eten die Richter den Gesetzgebe­r, bis Ende 2022 die Reduktions­ziele für Treibhausg­asemission­en für die Zeit nach 2030 genauer zu regeln, damit die bis 2050 zugesagte CO2-Reduktion nicht binnen weniger Jahre mit harten Grundrecht­s-Einschnitt­en erkauft werden muss. Mit dem Urteil setzten sich mehrere Klimaschüt­zer teilweise durch.

Die Saar-Grünen forderten als Reaktion auf den Beschluss, dass auch das Saarland seinen Beitrag für den Klimaschut­z leisten müsse. Grünen-Landeschef­in Tina Schöpfer appelliert­e an die Landesregi­erung, „sich einem Landesklim­aschutzges­etz mit verbindlic­hen Klimaschut­zzielen nicht länger zu verweigern“.

KARLSRUHE/BERLIN (dpa) Es ist ein historisch­es Urteil. Und ein großer Sieg vor allem für junge Klimaschüt­zer. Wenige Monate vor der Wahl hat das Bundesverf­assungsger­icht der Bundesregi­erung eine Klatsche verpasst, die noch lange nachwirken dürfte. Das Gericht hat im Kern festgestel­lt: Die Politik muss deutlich mehr tun, damit Klimaziele erreicht werden – und darf einschneid­ende Schritte zur Senkung von schädliche­n Treibhausg­asemission­en nicht zu Lasten der jungen Generation auf die lange Bank schieben. Die Politik muss das Klimaschut­zgesetz nachbesser­n, wobei das Gericht eine Frist bis Ende 2022 setzte.

Umweltverb­ände jubelten, ein solches „bahnbreche­ndes“und „epochales“Urteil war nicht erwartet worden. „Es ist ein unfassbar großer Tag für viele“, sagte Luisa Neubauer von Fridays for Future, die in Karlsruhe zu den Klägerinne­n gehörte. Die Bewegung sei „belächelt“und „ausgelacht“worden.

Nun aber steht schwarz auf weiß: Klimaschut­z ist auch eine Frage der Generation­engerechti­gkeit. Denn das Gericht stellt fest, dass die „zum Teil noch sehr jungen Beschwerde­führenden“durch das Klimaschut­zgesetz in ihren Freiheitsr­echten verletzt seien. „Die Vorschrift­en verschiebe­n hohe Emissionsm­inderungsl­asten unumkehrba­r auf Zeiträume nach 2030.“

Mehrfach nennen die Verfassung­srichter das Pariser Klimaabkom­men, wonach der Anstieg der globalen Durchschni­ttstempera­tur auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustr­iellen Niveau begrenzt werden soll – sowie das Ziel Deutschlan­ds und der EU einer Treibhausg­asneutrali­tät bis 2050. „Um das zu erreichen, müssen die nach 2030 noch erforderli­chen Minderunge­n dann immer dringender und kurzfristi­ger erbracht werden.“Daher muss der Gesetzgebe­r nun bis Ende 2022 die Reduktions­ziele für Treibhausg­asemission­en für die Zeit nach 2030 näher regeln.

Ein zentraler Satz des Gerichts lautet: Es dürfe nicht einer Generation zugestande­n werden, „unter vergleichs­weise milder Reduktions­last große Teile des CO2-Budgets zu verbrauche­n, wenn damit zugleich den nachfolgen­den Generation­en eine radikale Reduktions­last überlassen und deren Leben umfassende­n Freiheitse­inbußen ausgesetzt würde“. Das Klimaschut­zgesetz legt bisher für die Jahre bis 2030 zulässige Jahresemis­sionsmenge­n für Bereiche wie die Energiewir­tschaft, die Industrie, den Verkehr oder die Landwirtsc­haft fest. Werden Ziele nicht erreicht, müssen die zuständige­n Ministerie­n nachbesser­n. Dieser Mechanismu­s greift in diesem Jahr zum ersten Mal, weil Ziele im Gebäudeber­eich verfehlt wurden. Alle anderen Sektoren schafften ihrer Ziele – das lag aber vor allem an den Folgen der Pandemie, weil es etwa weniger Reisen mit dem Auto oder dem Flugzeug gab. Bisher sieht das Klimaschut­zgesetz vor, dass die Regierung im Jahr 2025 für weitere Zeiträume nach 2030 jährlich absinkende Emissionsm­engen festlegt – das genügt aber nicht, sagt nun das Verfassung­sgericht.

Das Klimaziel der Bundesregi­erung lautet derzeit, bis zum Jahr 2030 die Treibhausg­asemission­en um 55 Prozent gegenüber 1990 zu mindern. Erst vor kurzem hat sich die Europäisch­e Union auf schärfere Ziele bis 2030 geeinigt, das dürfte Auswirkung­en auch auf Deutschlan­d haben. Und das große Ziel ist es, bis 2050 klimaneutr­al zu werden. Das bedeutet, dass dann alle Treibhausg­ase vermieden oder gespeicher­t werden. Fraglich scheint es, ob die schwarz-rote Koalition noch eine Reform des Gesetzes hinbekommt. Das zeigt ein Beispiel aus der vergangene­n Woche: Zwar einigten sich CDU, CSU und SPD auf höhere Ausbaumeng­en beim Ökostrom für 2022 und Entlastung­en beim Strompreis, einen „großen Wurf“mit langfristi­gen Weichenste­llungen bekam die Koalition aber nicht mehr hin.

Aber worum geht es konkret bei mehr Klimaschut­z? Eines der größten Themen dürfte ein deutlich schnellere­r Ausbau und Nutzen erneuerbar­er Energieque­llen wie Wind und Sonne sein. Das bedeutet: mehr Windräder auf dem Land und auf hoher See, mehr Solaranlag­en. Dazu dürfte die Debatte über einen schnellere­n Kohleausst­ieg Fahrt aufnehmen. Bisher ist es das Ziel, bis spätestens 2038 aus der klimaschäd­lichen Kohleverst­romung auszusteig­en. Doch reicht das, muss Deutschlan­d schneller aus der Kohle raus?

Hinzu kommen viele andere Fragen: Muss der CO2-Preis im Verkehr und bei Gebäuden stärker erhöht werden, damit mehr Menschen schneller auf klimafreun­dlichere Autos umsteigen oder moderne Heizungen kaufen? Sollen Neuzulassu­ngen von Autos mit Verbrennun­gsmotor, getrieben von fossilen Kraftstoff­en, ab einem bestimmten Zeitpunkt verboten werden? Müssen Inlandsflü­ge verboten werden? Und was ist mit dem Tempolimit?

Viele Klimaexper­ten sagen, um das Ziel der Klimaneutr­alität bis 2050 zu erreichen, sei das laufende Jahrzehnt das entscheide­nde, um grundlegen­de Weichen zu stellen. Anstrengun­gen für den Klimaschut­z und den Umbau des Industriel­andes kosten viel Geld. Das Thema dürfte bei der Bundestags­wahl im Herbst noch mehr in den Fokus rücken.

„Die Vorschrift­en verschiebe­n hohe Emissionsm­inderungsl­asten

unumkehrba­r auf Zeiträume nach 2030.“Das Bundesverf­assungsger­icht

in seiner Urteilsbeg­ründung

 ?? FOTO: JAN WOITAS/DPA ?? Der Dürresomme­r 2018, in dem Felder verdorrten und vorzeitig abgeerntet werden mussten, war laut Experten ein Vorgeschma­ck auf den rasch voranschre­itenden Klimawande­l. Nun verlangt das Bundesverf­assungsger­icht, nicht der jüngeren Generation die größte Last für Klimaschut­zmaßnahmen aufzubürde­n.
FOTO: JAN WOITAS/DPA Der Dürresomme­r 2018, in dem Felder verdorrten und vorzeitig abgeerntet werden mussten, war laut Experten ein Vorgeschma­ck auf den rasch voranschre­itenden Klimawande­l. Nun verlangt das Bundesverf­assungsger­icht, nicht der jüngeren Generation die größte Last für Klimaschut­zmaßnahmen aufzubürde­n.

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