„Ich traue den Umfragen nicht über den Weg“
Der FDP-Chef sieht seine Partei dennoch in einer günstigen Ausgangslage und hofft auf zweistellige Werte bei der Bundestagswahl.
FDP-Chef Christian Lindner kritisiert die mangelnden Vorbereitungen für einen elektronischen Impfpass und ruft Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock dazu auf, ihr Verhältnis zur Linkspartei zu klären.
Herr Lindner, nach dem Impfgipfel macht nun jedes Bundesland seine eigenen Regeln. Ist das sinnvoll?
LINDNER Das Durcheinander hätte man vermeiden können, wenn man in der Novelle des Infektionsschutzgesetzes gleich eine Regelung mit aufgenommen hätte. Geimpfte sollten ihre Grundrechte wieder verwirklichen können. Aus unserer Sicht sollten sie zum Beispiel von den Kontaktbeschränkungen der Haushalte und den Ausgangssperren ausgenommen werden. Maskentragen zum Beispiel bei Bahnfahrten ist allerdings zunächst weiter notwendig – da der Impfnachweis im Einzelfall kaum zu kontrollieren ist.
Braucht es die Verfassungsklage, diese starke Waffe, wirklich? Wenn das Impfen wirkt, ist die Diskussion doch bald vorbei…
LINDNER Jede staatliche Maßnahme muss am Maßstab des Grundgesetzes gemessen werden. Es kann nicht sein, dass Maßnahmen die Menschen in ihrer Freiheit einschränken, die andererseits weitgehend unwirksam sind. Die Ausgangssperre ist deshalb verfassungsrechtlich problematisch, weil diesem sehr scharfen Eingriff in die Grundrechte im Grunde genommen keine Wirksamkeit entgegensteht. Das Instrument braucht es nicht, wir haben wirksamere.
Die da wären?
LINDNER Vor allem die Begrenzung der Kontakte von Haushalten, die Intensivierung des Testens und die Beschleunigung des Impfens. Nach unserer Vorstellung müssten alle fünf Millionen Impfungen aus der Impfreserve jetzt verimpft werden, bei jedem Impfstoff sollte die Zeit zwischen den beiden Impfungen maximal gestreckt werden. Außerdem müssen die niedergelassenen Ärzte und die Betriebsärzte alle vollständig einbezogen werden. Die Fixierung allein auf die öffentlichen Impfzentren – mit der bisweilen doch schwerfälligeren Logistik – sollte aufgegeben werden.
Wie beurteilen Sie die Fortschritte
beim elektronischen Impfpass?
LINDNER Das ist ein Trauerspiel, es dauert leider wieder viel zu lang. Dafür fehlt mir jedes Verständnis. Es war bereits letztes Jahr abzusehen, dass dieses Thema kommen wird, wir haben hier auch auf Vorarbeiten gedrungen. Passiert ist nichts. Nun heißt der Zeitrahmen „eventuell Ende Juni“. Das ist zu spät. Jeder vierte Bürger ist zumindest schon ein Mal geimpft. Wir sollten uns dringend an den digitalen europäischen Impfpässen orientieren, die in anderen europäischen Ländern in Vorbereitung sind. Dann haben wir keine deutsche Bundes-Lösung, aber dafür eine schnelle Lösung.
Herr Lindner, ist es besser, selbst zu regieren, als falsch regiert zu werden?
LINDNER Die FDP ist eine Gestaltungspartei. Wir wollen etwas von unserem Programm umsetzen können, sonst müssten wir gar nicht erst antreten. Wir wollen die Bürger entlasten, nicht zusätzlich belasten. Die FDP gibt in diesem Wahljahr 2021 die politische Garantie ab, dass es mit uns keine höhere Belastung bei der Besteuerung der Einkommen der Beschäftigten, oder derer, die Verantwortung für Arbeitsplätze tragen, gibt. Darauf kann man sich bei uns verlassen, das hat man 2017 gesehen. Nur für Dienstfahrzeuge sind wir nicht zu haben.
Was haben Sie aus dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen 2017 für 2021 gelernt?
LINDNER Die FDP wird dann gerne in eine Regierung eintreten, wenn unsere Werte, Ideen und Vorhaben genauso respektiert werden wie wir unsererseits die Programme unserer Mitbewerber akzeptieren. Die Blaupause für solche Verhandlungen auf Augenhöhe waren die Verhandlungen der schwarz-gelben Regierung in NRW. Dort gibt es bis heute eine sehr faire Zusammenarbeit zwischen FDP und Union.
Das war ein Plädoyer für Armin Laschet?
LINDNER Auch Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz führt die Koalitionsverhandlungen mit den Partnern auf Augenhöhe. Dass Frau Merkel seinerzeit nur ihre bekannte Politik fortsetzen wollte, ergänzt allein um Zugeständnisse an die Grünen ist zu Recht gescheitert. Für die FDP war in dieser Konstellation nur die Rolle als Mehrheitsbeschaffer vorgesehen.
Machen Sie Ihre Zukunft als FDPChef auch vom Eintritt in eine Regierung abhängig?
LINDNER Ich trete auf dem Bundesparteitag wieder als Parteivorsitzender an. Mein Ziel ist es, die FDP in Regierungsverantwortung zu führen und das Land zu gestalten. Am besten schon 2021 und nicht erst im Jahr 2025.
Wie viel liberale Bürgerlichkeit steckt in den Grünen?
LINDNER Viele Grünen-Politiker treten bürgerlich auf, das inhaltliche Programm kann seine Verwandtschaftsbeziehung zur Linkspartei nicht leugnen. Vom bedingungslosen Grundeinkommen, das durch höhere Steuern vom Facharbeiter finanziert werden muss, über lenkende Eingriffe in jeden Teil von Wirtschaft und Gesellschaft findet sich vieles wieder, was auch den Applaus der Linkspartei finden würde.
Umfragen sehen die SPD nach wie vor bei 13 Prozent, die Grünen gewinnen in Massen ehemalige CDU- und frühere SPD-Wähler – was macht es mit der FDP, wenn das alte Parteiengefüge so in Bewegung ist?
LINDNER Ich traue den Umfragen gegenwärtig nicht über den Weg. Für die FDP ist die Ausgangslage dennoch günstig. Noch nie haben wir in zwei Bundestagswahlen hintereinander zweistellig abschneiden können. Das scheint jetzt möglich. Doch die Menschen haben im Moment so viele andere Sorgen als die Frage, was sie an einem Sonntag im September tun werden.
CDU-Chef Armin Laschet scheint an einem schwarz-gelben Bündnis auch im Bund Gefallen zu finden. Sie auch?
LINDNER Entscheidend ist für uns, dass eine schwarz-grüne und eine grün-rot-rote Mehrheit verhindert wird. Für dieses strategische Ziel wollen wir zweistellig und stärker als die AfD werden. Dann wird die FDP bei den Gesprächen über eine Regierungsbildung eine Rolle spielen. Und nur dann haben wir die Garantie, dass das Land aus der Mitte heraus regiert wird.