Saarbruecker Zeitung

Ein Denkzettel aus Karlsruhe für die Koalition

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Das Bundesverf­assungsger­icht füllt mit seinem bahnbreche­nden Urteil zum Klimaschut­zgesetz eine politische Leerstelle: Weil die Politik nicht in der Lage war, beim Klimaschut­z auch die Freiheitsr­echte der Jüngeren und Jüngsten zu achten und zu schützen, gestaltet das Gericht die Politik nun selbst: Die nächste Regierung wird verpflicht­et, bis Ende 2022 verbindlic­he Regeln und Maßnahmen festzulege­n, wie nach 2030 der Ausstoß der Treibhausg­ase reduziert werden muss, um bis zum Jahr 2050 Klimaneutr­alität zu erreichen. Nicht die ehrgeizige­n Klimaziele an sich beanstande­n die Karlsruher Richter, sondern den nicht ausreichen­d definierte­n Weg dorthin in den zwei Jahrzehnte­n bis 2050.

Das Klimaschut­zgesetz von 2019 legt nur bis 2030 konkrete jährliche Obergrenze­n für die CO2-Emissionen der Sektoren Energie, Verkehr, Gebäude und Landwirtsc­haft fest. Sollten diese Wirtschaft­sbereiche die jährlichen Grenzen verfehlen, greift die Pflicht zum Nachbesser­n. Für die Zeit danach gibt es aber keine solchen Festlegung­en. Zudem bleibt in dieser Zeitspanne ein zu großer Rest an Treibhausg­asen übrig, der bis 2050 weiter reduziert werden muss. Das wird nur mit noch mehr Einschränk­ungen des Bewegungsr­adius und anderer persönlich­er Freiheiten gelingen können, wie die Richter zu Recht erklären. Mit 250 Stundenkil­ometern über eine Autobahn zu rasen, jederzeit nach Mallorca in den Urlaub zu jetten oder auf Fleisch nie zu verzichten – das sind Möglichkei­ten, die künftigen Generation­en häufiger verwehrt sein dürften.

Das Urteil ist ein Denkzettel für die Politik und die Parteien, die bei der Bundestags­wahl um die Gunst der Wähler buhlen. Am wenigsten allerdings für die Partei, die schon länger auch für die Zeit ab 2030 konkretere Schritte gefordert hatte: die Grünen. Für sie bedeutet das Urteil eine weitere Schützenhi­lfe auf dem vielverspr­echenden Weg von Annalena Baerbock ins Kanzleramt. Die SPD, die sich zwar einen deutlich grüneren Anstrich gegeben hat als im letzten Wahlkampf, dürfte dagegen kaum von dem Urteil profitiere­n, ebenso die Linken.

Schaden kann es dagegen der Union, der FDP und der AfD. Während Letztere eine konkretere Klimaschut­zpolitik geradezu verweigert, schwingen sich neuerdings auch Union und FDP zu Klimaschut­zparteien auf. Das waren sie bisher jedoch nicht, so sehr auch Wirtschaft­sminister Altmaier versucht, diese Lücke zu füllen. Die Union trat aber in dieser Legislatur­periode eher als Bremserin auf, und die FDP versteht sich mehr als Wirtschaft­spartei. Punkten werden im September die Parteien, denen es am glaubwürdi­gsten gelingt, Klimaschut­z mit Wohlstands­sicherung zu versöhnen.

Das Urteil der Karlsruher Richter sendet eine klare Botschaft: Die Politik wird künftig stärker auf Generation­engerechti­gkeit achten müssen. Und zwar nicht nur beim Klimaschut­z, auch zum Beispiel in der Renten- oder Gesundheit­spolitik. Denn auch die anschwelle­nden Kosten in diesen Zweigen der Sozialvers­icherung können Freiheiten künftiger Generation­en einschränk­en.

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