„Können den Kampf gegen das Virus nur gemeinsam gewinnen“
Der Präsident des EU-Parlaments über Europas Aufbaufonds für die Zeit nach Corona – und weitere nötige Hilfen für Wirtschaft und Gesellschaft.
Als die Pandemie begann, war von europäischer Solidarität wenig zu spüren. Inzwischen haben sich die Mitgliedstaaten zu einem 750-Milliarden-Hilfspaket entschlossen, für das bis zu diesem Freitag die Projektanträge fertig sein mussten. Doch reicht das? Braucht die Union danach noch weitere Hilfen und eine neue Schuldenpolitik?
Herr Sassoli, Sie kommen aus Italien, also dem EU-Mitgliedsland, in dem es am Anfang der Pandemie große Zweifel an der europäischen Solidarität gab. Hat die EU inzwischen ihren Zusammenhalt im Kampf gegen das Virus wiedergefunden?
Ja, das hat sie. Erste Reflexe einiger Regierungen, Grenzen dicht zu machen oder bei der Impfstoffbeschaffung allein vorzupreschen, haben sich als Mittel gegen ein globales Virus als wenig zielführend erwiesen. Es ist allen schnell klargeworden, dass wir diesen Kampf nur gemeinsam gewinnen können, und es gab auch unheimlich viele Beispiele von Solidarität zwischen Mitgliedstaaten, etwa wenn es um die Versorgung schwerkranker Patienten geht. Vor allem aber ist es uns gelungen, innerhalb kürzester Zeit den europäischen Aufbaufonds auf den
Weg zu bringen, der die Wirtschaft nach Covid-19 wieder ankurbeln soll und der dafür 750 Milliarden Euro an Hilfsmitteln bereitstellt, erstmalig aufgenommen über Euro-Bonds. Das ist zweifelsfrei ein Akt europäischer Solidarität, den man als historisch bezeichnen kann.
Das Bundesverfassungsgericht hat gerade den Weg für den Wiederaufbaufonds in Deutschland freigemacht. Wie geht es nun weiter?
Zunächst einmal freue ich mich über die Entwicklung in Deutschland. Nach dem klaren Ja im Bundestag wurde mit der Entscheidung des Gerichts auch die letzte Hürde für die Ratifizierung genommen. Ich hoffe, dass die Mitgliedstaaten, wo die Ratifizierung noch aussteht, nun schnell nachziehen. Der Zeitfaktor ist in diesem Fall entscheidend: Je früher die Mittel fließen, desto eher kommen unsere Volkswirtschaften
wieder auf die Beine, desto eher profitieren die Bürgerinnen und Bürger. Darüber hinaus geht es jetzt darum, dass die Mitgliedstaaten ihre Pläne übermitteln, in denen sie skizzieren, wie sie die Mittel konkret einsetzen wollen. Ich kann nur an alle appellieren, dies als Chance zu begreifen, um die Weichen neu zu justieren und Wirtschaft und Gesellschaft post-Covid-19 gerechter und nachhaltiger zu gestalten.
Reicht dieser Aufbaufonds? Oder brauchen wir weitere Instrumente wie beispielsweise eine dauerhafte Möglichkeit, wieder mehr über Schulden finanzieren zu können?
Wir müssen die wirtschaftliche Entwicklung in Europa über die kommenden Monate genau im Blick behalten und bereit sein, bei Bedarf neue Initiativen anzuschieben, wie es beispielsweise Frankreichs Präsident Emmanuel Macron oder Isabel
Schnabel, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, vor Kurzem schon ins Spiel gebracht haben. Der Internationale Währungsfonds hat zudem gerade betont, dass die Länder der Eurozone in diesen Zeiten nicht davor zurückschrecken sollten, ihre Staatsausgaben zu erhöhen, um die negativen Folgen der Krise abzufedern. Deutschland und die Niederlande machen es vor. Aber wir müssen dafür sorgen, dass sich alle Mitgliedstaaten erholen und die Disparitäten innerhalb Europas nicht zu groß werden, das ist nicht zuletzt im Interesse starker Exportnationen wie Deutschland. Insofern sollten wir bereit sein, falls nötig, eine sachliche Debatte über weitere mögliche europäische Hilfen zu führen.
Die EU bereitet einen Impfpass vor, mit dem Geimpfte dann wieder alle Freiheiten haben. Haben wir bald unsere Freiheiten wieder?
Das hoffen wir, aber lassen Sie uns Missverständnissen vorbeugen: Der Digitale Grüne Nachweis, wie das Dokument offiziell heißt, ist kein Reisepass, also keine zwingende Voraussetzung fürs Reisen. Angesichts der Vielzahl nationaler Regelungen, die derzeit gelten, ist es jedoch sinnvoll, ein europaweit einheitliches Instrument zu entwickeln, das auf unkomplizierte Art wieder mehr Bewegungsfreiheit ermöglicht. Wir setzen uns dafür ein, dass dieses Instrument niemanden benachteiligt. So soll das Zertifikat eben nicht nur dazu dienen, Impfungen nachzuweisen, sondern beispielsweise auch ein negatives Testergebnis. Das würde Mobilität deutlich vereinfachen und wäre ein wichtiger Schritt zurück zur Normalität.