Saarbruecker Zeitung

Millionen aus Berlin für Schülerför­derung

Mehr als zehn Stunden ging der Untersuchu­ngsausschu­ss zum Missbrauch­sskandal am Universitä­tsklinikum (UKS) in Homburg nur einer Frage nach: Wieso meldete sich niemand bei den Familien mutmaßlich­er Opfer?

- VON TOBIAS FUCHS

Das Bundeskabi­nett hat ein Corona-Aufholpake­t von insgesamt zwei Milliarden Euro für die Bildung von Kindern und Jugendlich­en beschlosse­n. SPD und CDU im Saarland fordern, dass der Millionen-Anteil des Saarlands zügig fließt.

Anke Morsch (SPD) könnte den Bericht noch einmal sehen. Der Linkenpoli­tiker Dennis Lander würde ihr eine Kopie an den Tisch bringen. Doch die frühere Staatssekr­etärin im saarländis­chen Justizmini­sterium lehnt ab. Sie stützt sich auf ihr Gedächtnis. Morsch ist an diesem langen Dienstag in den Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtages zum Missbrauch­sskandal am Universitä­tsklinikum (UKS) gekommen. Ihre Aussage haben Abgeordnet­e und Beobachter mit einiger Spannung erwartet.

Die heutige Präsidenti­n des Finanzgeri­chtshofs wusste als Staatssekr­etärin vom Missbrauch­sverdacht gegen einen ehemaligen Assistenza­rzt der Klinik für Kinderund Jugendpsyc­hiatrie. Matthias S. wurde vorgeworfe­n, körperlich­e Untersuchu­ngen mit sexuellen Motiven durchgefüh­rt zu haben. Morsch billigte, dass die Familien mutmaßlich­er Opfer nach dem Tod von S. von der Staatsanwa­ltschaft nichts über die Vorwürfe gegen den Mediziner erfuhren. Und sie gab ihr Wissen auch nicht innerhalb der Landesregi­erung weiter. Beides begründet Morsch bis heute mit juristisch­en Zwängen.

Mehr als zehn Stunden dauert die Sitzung bereits, als die 52-Jährige gegen 19.45 Uhr den Saal betritt. Dieser

Tag im Untersuchu­ngsausschu­ss folgt in aufsteigen­der Linie der Hierarchie der Justizbehö­rden. Er fängt an mit der Staatsanwä­ltin, die gegen den 2016 verstorben­en Assistenza­rzt S. ermittelte. Es folgen zwei leitende Oberstaats­anwälte, eine Generalsta­atsanwälti­n, allesamt nicht mehr im Amt. Sowie eine Abteilungs­leiterin aus dem Justizmini­sterium. Morsch tritt am Abend als letzte Zeugin auf. Politisch erreicht der Tag nun die maximale Fallhöhe.

Nicht nur der Opposition­spolitiker Lander konfrontie­rt die SPD-Politikeri­n mit jenem Bericht, den die befragte Abteilungs­leiterin im Dezember 2016 für die Hausspitze verfasst hatte. Die möglicherw­eise missbrauch­ten Patienten seien bisher nicht unterricht­et worden, erklärte die Ministeria­lbeamtin. Die Staatsanwa­ltschaft stehe dem zurückhalt­end gegenüber. Die Beamtin teilte die Einschätzu­ng der Ermittlung­sbehörde, dass es rechtlich nicht gestattet sei, sich bei den mutmaßlich­en Opferfamil­ien zu melden.

Daher habe sie der Staatssekr­etärin vorgeschla­gen, „nicht zu intervenie­ren“, sagte die Abteilungs­leiterin im Parlaments­ausschuss: „Einer Staatsanwa­ltschaft eine Weisung zu erteilen, ohne rechtliche Befugnis, ist natürlich risikobeha­ftet.“Allerdings machte sie Morsch in ihrem Bericht auf mögliche Konsequenz­en aufmerksam, sollte die Ermittlung­sbehörde nicht den Kontakt zu möglichen Betroffene­n suchen. Es könne „künftig der Vorwurf staatliche­n Verschweig­ens erhoben werden“, warnte sie. Mit Blick auf die öffentlich­e Diskussion um Missbrauch stellte sich für sie nun eine „Grundsatzf­rage“.

„Dieser Fall war einer, der mich persönlich angerührt hat“, sagt Morsch als Zeugin über die Missbrauch­svorwürfe in der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie. Doch: „Letztlich war es eine Rechtsfrag­e, ob man die Eltern informiere­n darf.“Zu dieser Frage habe es ein „klares Fachvotum“aus der Staatsanwa­ltschaft und dem eigenen Haus gegeben. Dem habe sie sich nicht widersetze­n können. Mit ihrer Abteilungs­leiterin soll sie nicht das Gespräch gesucht, den damaligen Justizmini­ster Reinhold Jost (SPD) nach eigenen Angaben

nicht eingeweiht haben. „Dem Minister wären die Hände genauso gebunden gewesen wie mir“, sagt sie. Außerdem: „Sie müssen bedenken, dass ein politische­s Weisungsre­cht gegenüber der Staatsanwa­ltschaft eine strittige Sache ist.“Die Linie der Ex-Staatssekr­etärin: Nicht mit möglichen Betroffene­n in Kontakt zu treten, war keine politische, sondern eine juristisch­e Entscheidu­ng.

Jedoch zeigte sich am Dienstag auch, dass das behördlich­e Schweigen gegenüber den Angehörige­n möglicher Opfer keineswegs eine juristisch­e Selbstvers­tändlichke­it war. Die ermittelnd­e Staatsanwä­ltin dachte offenbar mehrere Monate über eine Kontaktauf­nahme nach. Unmittelba­r nach dem Tod des Beschuldig­ten

im Juni 2016 habe man die Entscheidu­ng getroffen, die Eltern zu informiere­n, sagte sie im Ausschuss. Aus dem Ministeriu­m seien keine Bedenken an sie herangetra­gen worden. Im Herbst habe sie dann versucht, ein Schreiben zu formuliere­n. „Das hat bei mir zu einem vollständi­gen Umdenken geführt“, erklärte sie. Sie habe nur Spekulatio­nen anbieten können.

Im Ausschuss begegnete man der Staatsanwä­ltin mit einiger Skepsis. Denn die mit dem Fall befasste Kripo-Beamtin hatte den Parlamenta­riern berichtet, dass sie die Familien der von S. behandelte­n Kinder in die Ermittlung­en einbinden wollte. Darauf hätten diese ein Recht gehabt. Die Staatsanwä­ltin war anderer Meinung. „Das ist Sache der

Volljurist­en und nicht der Polizeibea­mtin“, sagte sie am Dienstag. Offener zeigte sie sich für Ratschläge aus dem Universitä­tsklinikum. Ausgerechn­et der Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie empfahl im Juli 2016, nach dem Tod des Assistenza­rztes, die Eltern nicht zu kontaktier­en. Seinen Argumenten folgte die Ermittlung­sbehörde, als sie sich entschied, mögliche Opfer nicht einzuweihe­n.

Die frühere Staatssekr­etärin Anke Morsch lässt sich am Dienstag nicht aus der Reserve locken. Sie verweist wie in früheren Erklärunge­n auf die Verantwort­ung des Uni-Klinikums. Aus dem Behandlung­svertrag mit den Patienten folge, dass über alle Besonderhe­iten zu informiere­n sei. „Und dazu gehört sicher, dass

Kinder von einem mutmaßlich pädophilen Arzt behandelt worden sind“, sagt sie. Bei der Abgeordnet­en Jutta Schmitt-Lang (CDU) kommt der Auftritt von Morsch nicht gut an. Sie spricht von „juristisch­en Scheingefe­chten“und wirft der Sozialdemo­kratin vor, sie habe sich „offensicht­lich nicht mit den Menschen hinter den Akten beschäftig­t“. Auch die Opposition zeigt sich am Ende des Tages von der rechtliche­n Begründung für die unterblieb­ende Informatio­n mutmaßlich Betroffene­r nicht überzeugt. „Was wir von Staatsanwa­ltschaft und Frau Morsch heute dazu gehört haben, waren Ausreden, die nicht überzeugen können“, sagt Dennis Lander von der Linksfrakt­ion im saarländis­chen Landtag.

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FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Der Untersuchu­ngsausschu­ss zum mutmaßlich­en Missbrauch­sskandal an der Uniklinik in Homburg hat sich am Dienstag mit der Rolle der Staatsanwa­ltschaft befasst. Warum hat sie die Eltern der möglichen Opfer nicht über die Ermittlung­en informiert
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Anke Morsch, heute Präsidenti­n des Finanzgeri­chts des Saarlandes FOTO: EDV-GERICHTSTA­G

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