Was sich in der Pandemie verbessert hat
Nach eineinhalb Jahren Krise sehen die Deutschen ein wenig Licht: Mit dem Impfen und Testen geht es voran, der Aufschwung kündigt sich an.
Über diesen Fernsehauftritt wird auch Angela Merkel selbst nicht besonders glücklich gewesen sein: Am 2. Februar sitzt die Bundeskanzlerin in der ARD-Sendung „Farbe bekennen“und stemmt sich gegen die anschwellende Kritik an ihrem Krisenmanagement. Und dann sagt Merkel einen Satz, den viele Menschen ihr hinterher übel nehmen. Einige Kommentatoren schreiben sogar, nun habe die Dauer-Kanzlerin den Kontakt zu den Bürgern und ihrer Wirklichkeit endgültig verloren. Merkel sagt: „Ich glaube, dass im Großen und Ganzen nichts schief gelaufen ist.“
Wie bitte? Die Deutschen warteten damals seit Wochen vergeblich auf Impfstoffe, die sie selbst erfunden hatten. Schnelltests oder gar Eigentests waren Utopien, FFP2-Masken eine Rarität, selbst genähte Stofflappen normal. Während Israel, die USA und Großbritannien munter vor sich hin impften, litten die Kontinentaleuropäer unter dem Versagen ihrer Politiker, die es verschlafen hatten, schneller Impfstoffe zu besorgen.
Vier Monate später hat sich die Lage merklich zum Guten verändert. Endlich lässt sich mit Fug und Recht über einige positive Entwicklungen berichten. Der Höhepunkt der schwersten Krise der Nachkriegszeit scheint hinter uns zu liegen, das viel beschworene Licht am Ende des Tunnels erkennbar. Schon ab Sonntag gewinnen Geimpfte und Genesene einige Freiheiten zurück.
Impfstoffe. Mit bis zu einer Million Impfungen täglich kommen Impfzentren und Hausärzte jetzt an ihre Kapazitätsgrenzen. Fast 30 Prozent der Bürger sind einmal geimpft, knapp zehn Prozent das zweite Mal. Gerade hat der Gesundheitsminister fast vier Millionen Dosen pro Woche allein vom Hersteller Biontech angekündigt. Biontech hat die Zulassung
für Zwölf- bis Fünfzehnjährige beantragt, ab Juni sollen auch sie geimpft werden. In vielen Bundesländern kommen über 60-Jährige relativ leicht an Impftermine, auch Jüngere berichten zunehmend von ihrer ersten Impfung. Wenn es in manchen Ländern trotzdem unbefriedigend langsam vorangeht, liegt das nicht mehr an zu wenig Impfstoff, sondern an logistischen Mängeln. Zudem lassen die Bürger den Astrazeneca-Impfstoff liegen – zu sehr hat sie das Hin und Her bei der Zulassung verunsichert. Fazit: Vom anfänglich beschriebenen „Impfdesaster“kann keine Rede mehr sein. Merkels Versprechen, bis zum Ende des kalendarischen Sommers allen, die wollen, die erste Impfung zu ermöglichen, wird sehr wahrscheinlich eingelöst.
„Es wurden in der Pandemie von Politik und Wirtschaft zahlreiche Fehler begangen. Zu einer ehrlichen Analyse der Pandemie gehört aber die Erkenntnis, dass Deutschland deutlich besser durch diese Krise gekommen ist als die meisten anderen Länder“, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. „Deutschland gehört weltweit zu den Spitzenreitern bei den Impfungen.“
Tests. Ein Schnell- oder PCR-Test war bis Frühlingsbeginn oft ein schwieriges und kostspieliges Unterfangen, aber jetzt gilt: Wer sich testen lassen möchte, kann das recht problemlos tun. Online-Termine für registrierte Schnelltests sind relativ leicht zu bekommen, Arztpraxen, Labore oder Start-Up-Unternehmer haben daraus ein einträgliches Geschäft gemacht. Einen Schnelltest pro Woche gibt es kostenlos, wegen der Testpflicht in Betrieben für Arbeitnehmer sogar zwei. Nur in den Schulen läuft das Testen weiterhin nicht rund, vielerorts herrschen Chaos und Unzufriedenheit. Nun sollen „Lolli-Tests“für Kleinere
Entspannung bringen. Doch auch da: Manche Schulen haben die Tests vorbildlich organisiert.
Digitalisierung. Die Corona-Krise hat die Technik-Muffel unter Lehrern und Arbeitnehmern aus ihrer Komfortzone geholt. Lehrer berichten vom echten Digitalisierungsschub in den Schulen. Digitale Anwendungen sind heute Schulalltag, auch wenn es fast überall an technischer Ausrüstung und Know-How mangelt. Milliarden des Bundes für den Digitalpakt blieben allerdings bisher liegen, weil Schulen an den zu komplizierten Antragsregeln scheitern. Die Mittel für digitale Endgeräte für Schüler sind aber zu einem großen Teil abgeflossen.
Homeoffice. Wer von zuhause aus arbeiten kann, der tut es. Homeoffice hat Vor- und Nachteile, aber Arbeitnehmer und Arbeitgeber wollen die Vorteile auch nach der Krise nicht missen. Viele Unternehmen kalkulieren bereits mit dauerhaft weniger Büroraum. Durch Umwidmungen könnte mehr dringend benötigter Wohnraum entstehen. Geschäftsreisen wollen viele Unternehmen künftig reduzieren. Fürs
Klima ist beides gut: weniger Pendelei zum Arbeitsplatz und weniger Dienstreisen.
Wirtschaft. In der zweiten und dritten Welle durfte die Industrie anders als in der ersten Corona-Welle weiter arbeiten, das macht sich positiv bemerkbbar. Die brummende Industrie bereitet den Boden für den Aufschwung, die Kurzarbeit sinkt bereits. Viele Dienstleister, die seit sieben Monaten nichts tun dürfen, sind zwar mit ihren Kräften am Ende, aber immerhin sind November- und Dezemberhilfen endlich geflossen. „Während 40 Millionen Menschen in den USA im Frühjahr 2020 ihre Arbeit verloren haben, konnten die meisten bedrohten Arbeitsplätze in Deutschland durch das Kurzarbeitergeld gesichert werden“, sagt Ökonom Fratzscher. Wermutstropfen aber bleiben die vielen drohenden Pleiten in der Hotel-, Gaststättenund Kulturbranche.
Beinahe könnte Merkel also doch Recht behalten: Es ist zwar entgegen ihrer Aussage vieles schief gelaufen, aber am Ende kommt Deutschland vergleichsweise glimpflich durch die Krise.
„Deutschland gehört
weltweit zu den Spitzenreitern bei den
Impfungen.“
Marcel Fratzscher Präsident des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung