Buch zeigt Bausünden bei Eigenheimen – auch im Saarland
„Eigenwillige Eigenheime“haben die Berliner Architekturkritikerin Turit Fröbe tief beeindruckt. Das zeigt sie in ihrem neuen Buch.
Die Saarländer haben die Berliner Architekturkritikerin und Buchautorin Turit Fröbe tief beeindruckt. Als Heimwerker hätten sie das Aus-der-Reihe-Tanzen für ihr Eigenheim perfektioniert und landen in der Kategorie gute Bausünden-Bauer. Seit 20 Jahren fotografiert Fröbe Bausünden in Deutschland. SZ-Redakteurin Cathrin Elss-Seringhaus hat sich mit ihr unterhalten.
Die Saarbrücker Zeitung hätte gerne das Göttelborner Beispiel aus Ihrem Buch abgebildet. Doch der Verlag gibt die Fotos nicht frei. Man möchte Ärger mit den Hausbesitzern vermeiden. Wie sind Ihre Erfahrungen?
FRÖBE
Ich habe kaum Begegnungen.
Ich fotografiere sehr schnell, und sehe zu, dass ich weg bin, bevor ich angesprochen werde. Die meisten Hausbewohner bemerken mich gar nicht. Rechtlich ist gegen mein Fotografieren sowieso nichts zu machen. Solange ich auf dem Bürgersteig bleibe, kann ich alles fotografieren, was ich wahrnehme. Es existiert Panoramafreiheit.
Es gab auch im Nachhinein nie Streit, wenn Hauseigentümer ihr Eigenheim zufällig in Ihren Bildbänden entdeckten?
FRÖBE Das passiert offensichtlich sehr selten. Ich habe in 20 Jahren über 1200 Bausünden publiziert, aber zu ernsthaften Konflikten kam es nie. Ich denke, dass die Menschen spüren, dass ich einen liebevollen Blick auf Bausünden habe, ich bin im Grunde ja Bausünden-Fan. Ich zeige, man kann mit Bausünden wertschätzend umgehen. Bausünden begehen Menschen, die etwas besser und schöner machen wollen, sie haben Ambition, entwickeln Fantasie. Ihre Bausünden haben Charme. Manchmal ist das, was heute als Eyecatcher auffällt, auch einfach nur aus der Mode gekommen, denn der Architekturgeschmack ist sehr launisch. Dann muss man den Bausünden Zeit lassen für eine Renaissance, um sie wieder richtig gut zu finden.
Das klingt, als wollten Sie Ihre Kritik wie ein Bonbon verpacken, damit die Leute nicht sofort auf der Palme sind. Ein Kniff?
FRÖBE Nein, nein, ich meine das sehr ernst. Ich unterscheide deshalb ja auch gute von schlechten Bausünden. Gute Bausünden sind die, die uns sofort ins Auge springen, die uns wütend machen und bei denen man sich fragt: Wie konnte das passieren? Diese Bausünden sind besser als ihr Ruf, weil sie sich aus dem Einheitsbrei unserer Städte abheben. Die schlechten Bausünden sind die belanglosen Investorenarchitekturen, die überall gleich aussehen. Sie sind so banal, dass man sich im Einzelnen gar nicht darüber aufregen kann, weil man sie übersieht und das Auge einfach abrutscht. Deshalb sage ich: Liebe Leute, erhaltet eure Bausünden, sie sind allemal wertvoller als uniforme Architektur.
In Ihrem Buch findet sich die Passage, die Saarländer hätten mit ihrem Faible für Baumärkte und mit ihrer Leidenschaft fürs Selbermachen eine „Bausünden-Eldorado“geschaffen.
FRÖBE Genau so habe ich es in Erinnerung. Ich würde gerne überprüfen, ob das immer noch so ist. Meine Beobachtungen und Fotos stammen aus dem Jahr 2005, da war ich als Masterstudentin an einem städtebaulichen Projekt in Göttelborn beteiligt. Zusammen mit einem Kommilitonen habe ich ein Gesellschaftsspiel zur Zukunft der Grube Göttelborns entwickelt, das die IKS auch herausgab. Ich fotografierte damals schon Bausünden. Wir wurden damals mit dem Bus überall im Saarland herumgefahren – Saarbrücken, Quierschied, Saarlouis, Reden .... In der Gruppe, ich konnte nicht raus. Am Fenster bin ich von einem Herzinfarkt in den nächsten gefallen, weil ich den Eindruck hatte, dass ich jedes, aber wirklich jedes Haus hätte fotografieren können. Ich war im Land der Heimwerker, es war das Paradies, es herrschte ein Übermaß an Unkonventionalität und Gestaltungsfreude. Das Ausder-Reihe-Tanzen schien so zur Regel geworden zu sein, dass der Trend bei der Selbstdarstellung eher dahin ging, gar nicht wild zu gestalten.
Gibt es etwas, das die Saarländer besonders gerne machen in Sachen Eigenheim-Verschönerung? Sind Ihnen regional unterschiedliche Bausünden-Vorlieben aufgefallen?
FRÖBE Zu den aktuellen Entwicklungen im Saarland kann ich leider nichts sagen. Aber insgesamt lassen sich zur Zeit diverse neue Bausünden-Moden
feststellen. Momentan sind das Schottergärten, Fototapeten-Zäune oder Gabionen. Einen regionalen Unterschied habe ich zwischen dem Saarland und Baden-Württemberg festgestellt. Beides sind die Bundesländer mit der höchsten Eigenheim-Quote. Ich hatte 2018 viel in Baden-Württemberg zu tun, und weil ich das Saarland kannte, dachte ich, das muss dort genauso sein, das wird ein Fotografier-Fest. Aber es war eine Riesen-Enttäuschung, dort haben die Leute offensichtlich kein Interesse am Aus-der-Reihe-Tanzen. Ich dachte schon, die Zeit der Bausünden ist endgültig vorbei.
Ist das Ganze nicht auch eine finanzielle Frage?
FRÖBE Nicht wirklich. Bausünden gibt es in allen Gesellschaftsschichten. Das ist eher eine Typ-Frage. Besonders einfach ist es natürlich, eine Bausünde zu bauen, wenn Geld keine Rolle spielt. Im gehobenen Segment, da blüht die Geschmacklosigkeit. Ich habe allerdings festgestellt, dass dort die kreativen Stilblüten seltener werden. Stattdessen setzen sich immer mehr Bausünden von der Stange durch – Toskana-Villen und Pseudoschlösser. Im kleinbürgerlichen Milieu überwiegt das individuelle Aufhübschen.
Im Saarland hat das Herumbasteln auch mit der Industriearbeiterkultur zu tun. Man ist stolz, dass man selbst was zustande bringt.
FRÖBE Ja, generell hat die Bausünde nichts mit Einkommensklassen zu tun. Es fehlt schlicht an baukultureller Bildung, am oberen wie am unteren Ende der sozialen Leiter. Wissen darüber, was gute Architektur ausmacht, müsste in den Schulen vermittelt werden, auch an die Lehrkräfte, vor allem aber an die politischen Entscheidungsträger, die Bürgermeister. Denn das Ende der Fahnenstange sind die schlechten Bausünden im öffentlichen Bereich. Meine Haupt-Kritik richtet sich aber an die Bauindustrie, aber auch an die Politik, die das mitträgt. Ich bin dafür, dass wir uns kollektiv dagegen wehren.
Wie soll das aussehen?
FRÖBE Wir müssen das Auge schulen. Nichts nehmen wir weniger wahr als unsere gebaute Umgebung.
Der menschliche Wahrnehmungsapparat ist einfach nicht dafür gemacht, Alltagsarchitektur wahrzunehmen. Wir müssen es lernen, Architektur zu betrachten.
Turit Fröbe: „Eigenwillige Eigenheime. Die Bausünden der anderen“, mit 160 Abb., Dumont Buchverlag, 20 Euro. Die Autorin hat bereits ein weiteres Buch über Bausünden veröffentlicht: „Die Kunst der Bausünde“, ebenfalls bei Dumont.