Scholz zeigt sich selbstbewusst und angriffslustig
Der SPD-Parteitag kürt den Finanzminister mit 96 Prozent Zustimmung zum Kanzlerkandidaten. In seiner Rede teilt Scholz gegen die Union aus.
Mit scharfen Angriffen gegen die Union und einer selbstbewussten Rede ist SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz in den Bundestagswahlkampf eingestiegen. „Ich bin es leid, dass wir mit unserer Professionalität anderen das Handwerk erklären müssen“, sagte der Vizekanzler am Sonntag auf dem SPD-Parteitag unter Bezug auf die gemeinsame Regierung in der großen Koalition. Er wolle eine Regierung anführen, „die Ideen umsetzt, statt zu zaudern, zu zögern, zu verwässern und zu verhindern.“
Scholz warf den Unionsparteien vor, den Weg ins 21. Jahrhundert zu blockieren. „Sie sind verantwortlich für den Fortschritts-Stau.“Deutschland könne bei der Digitalisierung, der Energiewende oder moderner Mobilität viel weiter sein. „Darum sage ich es jetzt in vollem Ernst: Eine weitere von CDU und CSU geführte Regierung wäre ein Risiko für Wohlstand und Arbeitsplätze – ein Standortrisiko für unser Land“. Vergleichbare Angriffe auf die Grünen fehlten in der Rede. Allerdings betonte der 62-Jährige offenbar in Abgrenzung zur grünen Spitzenkandidatin Annalena Baerbock mehrfach seine Eignung
für das Kanzleramt. „Ich kann das“, sagte Scholz und wies auf seine langjährige Regierungserfahrung als Minister und als Erster Bürgermeister Hamburgs hin. Scholz, der vom Vorstand schon im letzten Sommer nominiert worden war, wurde auf dem Parteitag formell als Kanzlerkandidat gewählt; er erhielt 96 Prozent Zustimmung.
Der Parteitag fand wegen der Pandemie als Online-Veranstaltung statt; nur Scholz, die beiden Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sowie ein halbes Dutzend weiterer Vorstandsmitglieder befanden sich in der Berliner Veranstaltungshalle, aus der det Parteitag organisiert wurde. Das erhoffte Aufbruchsignal war daher stimmungsmäßig schwer zu erzeugen. Scholz las seine Rede vom Teleprompter ab. Die rund 600 Delegierten wurden zu ihren Reden zugeschaltet und stimmten am Ende des fünfstündigen Treffens über das vom Vorstand vorgelegte Wahlprogramm ab. Es trägt den Titel „Zukunftsprogramm“und wurde mit 99 Prozent der Stimmen angenommen.
Darin benennt die SPD vier „Zukunftsmissionen“: Den Klimaschutz, die Mobilität, die Digitalisierung und das Gesundheitssystem. Zum Klimaschutz wurde der Leitantrag kurzfristig umgeschrieben, nachdem sich die Bundesregierung letzte Woche auf neue, ehrgeizigere Klimaziele verständigt hatte. Jetzt soll schon 2045 Klimaneutralität erreicht werden. Ein Antrag, dieses Ziel schon für 2040 anzupeilen, fand keine Mehrheit. Die EEG-Umlage will die SPD abschaffen, den CO 2-Preis anheben. Wie hoch er werden soll, bleibt jedoch offen. Auf Autobahnen soll ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde eingeführt werden.
Scholz betonte in seiner Rede, dass er auf der Seite der „ganz normalen Leute“stehe. Er wolle eine „Gesellschaft des Respekts“, sagte der SPD-Spitzenkandidat. Zu den Forderungen der Partei gehört eine Einkommenssteuerreform zur Entlastung niedriger und mittlerer Einkommen. Der Solidaritätszuschlag für Spitzenverdiener soll erhalten bleiben. Wegen der Corona-Kosten will die SPD eine Vermögensabgabe von einem Prozent auf sehr hohe Vermögen einführen und auch die Erbschaftssteuer für große Erbschaften anheben. Bei Hartz IV soll künftig in den ersten zwei Jahren auf eine Vermögensprüfung verzichtet werden. Auch soll die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Menschen, die lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, verlängert werden. Die SPD verspricht, dass das Rentenniveau dauerhaft mindestens 48 Prozent des Durchschnittsverdienstes betragen soll. Eine Aussage über die künftige Beitragshöhe gibt es jedoch nicht. In Gebieten mit angespannten Wohnungsmärken
soll es ein zeitlich befristetes Moratorium geben können, in dem die Mieten nur gemäß der Inflationsrate angehoben werden dürfen. Der Mindestlohn soll auf zwölf Euro pro Stunde steigen.
Bei einigen innerparteilich umstrittenen Fragen enthält das Wahlprogramm Kompromissformulierungen, etwa in der Russlandpolitik. Einerseits heißt es in dem Papier: „Russland bricht regelmäßig internationales Recht“. Andererseits wird betont, dass es „Frieden in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland geben kann“. Einer Entscheidung über die Bewaffnung von
Drohnen weicht die Partei aus. Dazu müsse erst eine „umfassende Debatte“stattfinden.
Den Vorstoß des US-Präsidenten Joe Biden, Patentrechte der Hersteller von Corona-Impfstoffen freizugeben, unterstützte die SPD im Kern mit einem gesonderten Beschluss. Die Pharmafirmen werden darin zur freiwilligen internationalen Kooperation aufgerufen, um die Impfstoffversorgung auch in ärmeren Ländern anzukurbeln. Zwangslizenzen und der Entzug von Patentrechten sollten als „ultima ratio“, letztes Mittel, eingesetzt werden, um das durchzusetzen.
„Eine weitere von CDU und CSU geführte Regierung wäre ein Risiko für Wohlstand und Arbeitsplätze.“
Olaf Scholz
SPD-Kanzlerkandidat