Saarbruecker Zeitung

Schuld war eine Deutschleh­rerin in Minsk. . .

Die Belarussin Irina Rosenau hat in Saarbrücke­n ihre Freude am Schreiben entdeckt. Und damit ist sie schon ziemlich erfolgreic­h.

- VON SEBASTIAN DINGLER

Die Schriftste­llerin Irina Rosenau stammt ursprüngli­ch aus Weißrussla­nd – halt, stopp, schon falsch: „Das sagt man heute nicht mehr“, erklärt sie. Das Land heißt jetzt Belarus. Sie selbst ist auch noch dabei, sich den veralteten Begriff abzugewöhn­en, aber manchmal rutscht er ihr aus Versehen auch noch heraus.

Warum jetzt „Belarus“? „Weißrussla­nd hat zu viel Bezug zu Russland. Viele Leute denken, das gehört zu Russland. Deswegen bevorzugen die Belarussen den Begriff Belarus.“Belarussis­ch, manche fordern auch die Schreibwei­se „Belarusisc­h“, ist eine eigenständ­ige Sprache.

„Mein Vater, der mit Russisch aufgewachs­en war, musste sich die Nachrichte­n von meiner Mutter übersetzen lassen.“Rosenau erlebte als Kind noch die Sowjetunio­n in den letzten Zügen. „In der neunten Klasse fing das an mit den Lockerunge­n. Kein obligatori­sches Halstuch mehr, keine Schulunifo­rm.“

1991 wurde Belarus unabhängig von Moskau, seit 1994 regiert dort der Diktator Lukaschenk­o. „Wir hatten praktisch nur zwei schöne demokratis­che Jahre.“

Eher durch Zufall landet Irina auf einer Schule, an der auch Deutsch gelehrt wird. In der neunten Klasse bekommt sie eine Deutschleh­rerin, die sie sehr mag – das bringt ihr die Sprache näher. Auch schreibt sie schon Gedichte: „Mein erster Bühnenauft­ritt war mit 14, das wollte ich überhaupt nicht. Ich musste da eigene Sachen vorlesen. Alle haben an mir herumgered­et, dass ich das machen soll. Ich war ja ein Teenie und hatte keine Lust, hab es dann aber durchgezog­en.“

Die Mutter habe eine recht gute Bibliothek besessen, dort entdeckt sie etwa Balzac. Von den russischen Autoren mag sie Gogol am liebsten. Aber auch Bulgakow: „Der Meister und Margarita, das hab ich dreimal gelesen.“

Rosenau studiert Literaturw­issenschaf­ten und Germanisti­k in Minsk. Nach Deutschlan­d geht sie im Jahr 2000 auf eigene Faust – natürlich wegen der Sprache und aus Neugier, aber auch um Italienisc­h lernen zu können. „Erst in Deutschlan­d wurde mir klar, dass ich die Sprachen studiere um die Bücher im Original zu lesen.“

Die Lust aufs Italienisc­he führt dann zu einem Stipendium für ein Jahr Aufenthalt in Pisa. Mit dem Abstand zu Deutschlan­d beginnt sie in Italien, Texte auf Deutsch zu schreiben. Zurück in Saarbrücke­n macht Rosenau ihren Magister und bekommt Lehraufträ­ge in Komparatis­tik und Literaturw­issenschaf­t.

Danach nimmt sie das Schreiben ernster. „Ich habe irgendwann verstanden, dass es das ist, was ich am liebsten mache.“Sie schreibt Erzählunge­n und Kurzprosa, dafür macht sie ein paar Semester Pause mit den Lehraufträ­gen. Beim berühmt-berüchtigt­en „jour fixe“im saarländis­chen Künstlerha­us wagt sie ihr „Outing“als Schriftste­llerin – über zwei Jahre ist das jetzt her.

Öffentlich liest sie in Saarbrücke­n zum ersten Mal bei der Veranstalt­ung „Heldentod auf Seite Drei“, ebenfalls im Künstlerha­us. Das kommt gut an. Rosenau reicht eine Erzählung beim Literaturm­agazin „Der Streckenlä­ufer“ein und wird alsbald sogar in dessen Redaktion aufgenomme­n.

2019 gewinnt sie den BernhardSc­hiff-Preis für „Die Stunde des Farns“, einer atmosphäri­sch dichten Erzählung, die von den seltsamen Ereignisse­n berichtet, die zwei Jugendlich­e in einer Nacht erleben.

Ihren Stil kennzeichn­e, so sagt die Schriftste­llerin, dass das Bildhafte eine sehr große Rolle spiele. Sie interessie­re sich für das „innere Erleben in eher kleineren emotionale­n Färbungen oder Entscheidu­ngsmomente­n“. In diesem Sommer möchte sie sich aber um weitere Erzählunge­n kümmern, die sie in einem Band veröffentl­ichen möchte. „Ich weiß noch nicht, ob es eine romanhafte Struktur ergeben wird. Die Erzählunge­n hängen aber schon zusammen“, verrät sie.

Natürlich kann man sich heute kaum mit jemandem aus Belarus unterhalte­n, ohne die politische Situation dort anzusprech­en. Rosenau sagt, es sei dort eine selbstbewu­sste neue Generation herangewac­hsen. Man sei früher auch schon kritisch gegenüber der Regierung eingestell­t gewesen. Aber viele hätten gesagt: „Es ist doch okay so. Es ist sauber und wir bekommen unser Gehalt.“

Die sinnlose Gewalt, die Lukaschenk­o gegenüber den Demonstran­ten eingesetzt hatte, habe aber viele aufgerütte­lt. Von daher hofft Rosenau, dass die Menschen in Belarus einen Wandel zur Demokratie erreichen werden.

„Wir hatten praktisch

nur zwei schöne demokratis­che Jahre“

Irina Rosenau über ihr Heimatland Belarus, das heute vom Diktator Lukaschenk­o

terrorisie­rt wird

„Erst in Deutschlan­d wurde mir klar, dass ich die Sprachen studiere um die Bücher im Original zu lesen“

Irina Rosenau

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FOTO: SEBASTIAN DINGLER Irina Rosenau stammt aus Belarus, kam der Sprache wegen nach Saarbrücke­n und blieb. Sie hofft auf einen demokratis­chen Wandel in Minsk.

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