Schuld war eine Deutschlehrerin in Minsk. . .
Die Belarussin Irina Rosenau hat in Saarbrücken ihre Freude am Schreiben entdeckt. Und damit ist sie schon ziemlich erfolgreich.
Die Schriftstellerin Irina Rosenau stammt ursprünglich aus Weißrussland – halt, stopp, schon falsch: „Das sagt man heute nicht mehr“, erklärt sie. Das Land heißt jetzt Belarus. Sie selbst ist auch noch dabei, sich den veralteten Begriff abzugewöhnen, aber manchmal rutscht er ihr aus Versehen auch noch heraus.
Warum jetzt „Belarus“? „Weißrussland hat zu viel Bezug zu Russland. Viele Leute denken, das gehört zu Russland. Deswegen bevorzugen die Belarussen den Begriff Belarus.“Belarussisch, manche fordern auch die Schreibweise „Belarusisch“, ist eine eigenständige Sprache.
„Mein Vater, der mit Russisch aufgewachsen war, musste sich die Nachrichten von meiner Mutter übersetzen lassen.“Rosenau erlebte als Kind noch die Sowjetunion in den letzten Zügen. „In der neunten Klasse fing das an mit den Lockerungen. Kein obligatorisches Halstuch mehr, keine Schuluniform.“
1991 wurde Belarus unabhängig von Moskau, seit 1994 regiert dort der Diktator Lukaschenko. „Wir hatten praktisch nur zwei schöne demokratische Jahre.“
Eher durch Zufall landet Irina auf einer Schule, an der auch Deutsch gelehrt wird. In der neunten Klasse bekommt sie eine Deutschlehrerin, die sie sehr mag – das bringt ihr die Sprache näher. Auch schreibt sie schon Gedichte: „Mein erster Bühnenauftritt war mit 14, das wollte ich überhaupt nicht. Ich musste da eigene Sachen vorlesen. Alle haben an mir herumgeredet, dass ich das machen soll. Ich war ja ein Teenie und hatte keine Lust, hab es dann aber durchgezogen.“
Die Mutter habe eine recht gute Bibliothek besessen, dort entdeckt sie etwa Balzac. Von den russischen Autoren mag sie Gogol am liebsten. Aber auch Bulgakow: „Der Meister und Margarita, das hab ich dreimal gelesen.“
Rosenau studiert Literaturwissenschaften und Germanistik in Minsk. Nach Deutschland geht sie im Jahr 2000 auf eigene Faust – natürlich wegen der Sprache und aus Neugier, aber auch um Italienisch lernen zu können. „Erst in Deutschland wurde mir klar, dass ich die Sprachen studiere um die Bücher im Original zu lesen.“
Die Lust aufs Italienische führt dann zu einem Stipendium für ein Jahr Aufenthalt in Pisa. Mit dem Abstand zu Deutschland beginnt sie in Italien, Texte auf Deutsch zu schreiben. Zurück in Saarbrücken macht Rosenau ihren Magister und bekommt Lehraufträge in Komparatistik und Literaturwissenschaft.
Danach nimmt sie das Schreiben ernster. „Ich habe irgendwann verstanden, dass es das ist, was ich am liebsten mache.“Sie schreibt Erzählungen und Kurzprosa, dafür macht sie ein paar Semester Pause mit den Lehraufträgen. Beim berühmt-berüchtigten „jour fixe“im saarländischen Künstlerhaus wagt sie ihr „Outing“als Schriftstellerin – über zwei Jahre ist das jetzt her.
Öffentlich liest sie in Saarbrücken zum ersten Mal bei der Veranstaltung „Heldentod auf Seite Drei“, ebenfalls im Künstlerhaus. Das kommt gut an. Rosenau reicht eine Erzählung beim Literaturmagazin „Der Streckenläufer“ein und wird alsbald sogar in dessen Redaktion aufgenommen.
2019 gewinnt sie den BernhardSchiff-Preis für „Die Stunde des Farns“, einer atmosphärisch dichten Erzählung, die von den seltsamen Ereignissen berichtet, die zwei Jugendliche in einer Nacht erleben.
Ihren Stil kennzeichne, so sagt die Schriftstellerin, dass das Bildhafte eine sehr große Rolle spiele. Sie interessiere sich für das „innere Erleben in eher kleineren emotionalen Färbungen oder Entscheidungsmomenten“. In diesem Sommer möchte sie sich aber um weitere Erzählungen kümmern, die sie in einem Band veröffentlichen möchte. „Ich weiß noch nicht, ob es eine romanhafte Struktur ergeben wird. Die Erzählungen hängen aber schon zusammen“, verrät sie.
Natürlich kann man sich heute kaum mit jemandem aus Belarus unterhalten, ohne die politische Situation dort anzusprechen. Rosenau sagt, es sei dort eine selbstbewusste neue Generation herangewachsen. Man sei früher auch schon kritisch gegenüber der Regierung eingestellt gewesen. Aber viele hätten gesagt: „Es ist doch okay so. Es ist sauber und wir bekommen unser Gehalt.“
Die sinnlose Gewalt, die Lukaschenko gegenüber den Demonstranten eingesetzt hatte, habe aber viele aufgerüttelt. Von daher hofft Rosenau, dass die Menschen in Belarus einen Wandel zur Demokratie erreichen werden.
„Wir hatten praktisch
nur zwei schöne demokratische Jahre“
Irina Rosenau über ihr Heimatland Belarus, das heute vom Diktator Lukaschenko
terrorisiert wird
„Erst in Deutschland wurde mir klar, dass ich die Sprachen studiere um die Bücher im Original zu lesen“
Irina Rosenau