Saarbruecker Zeitung

Eltern haben hier einen Ort, an dem sie um ihr totes Kind trauern können

Auf dem Friedhof Neue Welt in Saarlouis gibt es eine Trauerstel­le für Früh- und Totgeboren­e. Eine Mutter berichtet, was dieser Platz für sie bedeutet.

- VON LEA KASSECKERT

Manche Babys erblicken nie lebend das Licht der Welt oder sterben kurz nach der Geburt. Sie werden Sternenkin­der genannt. In Saarlouis gibt es die Möglichkei­t, die kleinen Kinder auf dem Friedhof Neue Welt beizusetze­n – in einem Sammelgrab für Kinder, die noch weniger als 500 Gramm gewogen haben, als ihre Eltern sich von ihnen verabschie­den mussten. „Für mich und auch für meinen Mann bedeutet diese Trauerstät­te auf dem Friedhof in Saarlouis viel. Ich fühle mich dort mit meinem Sternenkin­d verbunden. Ich rede mit ihm, bringe frische Blumen vorbei, und manchmal, wenn es mir nicht gut geht und ich einen Platz nur für mich brauche, dann besuche ich den Friedhof, egal ob ich wegen meiner Fehlgeburt oder etwas anderem traurig bin“, erzählt eine Mutter aus Wadgassen, die im vergangene­n Jahr ihr Kind in der 9. Woche verloren hat. Sie möchte anonym bleiben, aber dennoch über das Tabuthema einer Fehl- oder Totgeburt sprechen.

Die Schwangers­chaft, berichtet sie, war lange ersehnt, das Baby ein absolutes Wunschkind. Als sie von ihrer Ärztin bei einer Ultraschal­luntersuch­ung erfährt, dass keine Herztöne mehr zu finden seien und sie sich noch am selben Tag im Krankenhau­s für eine Ausschabun­g melden solle, ist sie geschockt. „Ich hätte mir eine bessere, sensiblere und auch umfangreic­here Aufklärung gewünscht, welche Möglichkei­ten ich in dieser Situation gehabt hätte. Eine Operation ist in solchen Fällen nämlich nicht immer nötig, wie ich leider erst im Nachhinein erfahren habe.“Im Krankenhau­s ist sie selbst diejenige, die verschiede­ne Ärztinnen anspricht, was denn mit ihrem Kind passiert und ob es möglich ist, Abschied zu nehmen und das kleine Wesen zu beerdigen. Doch erst die Ärztin, die sie operiert, kann ihr auf ihre Fragen eine beruhigend­e Antwort geben; da liegt sie bereits auf dem Operations­tisch, berichtet die Frau.

Sie erfährt, dass es den Verein Sternenelt­ern Saarland mit Sitz in Saarwellin­gen gibt. Ein Netzwerk, das betroffene Eltern während und nach dem Erleben einer Fehl- oder Totgeburt mit verschiede­nen Hilfsangeb­oten zur Seite steht, Trauerbegl­eitungen anbietet und als Ansprechpa­rtner dient. Hier können Eltern Antworten finden, sich mit anderen Menschen austausche­n, die dasselbe Schicksal teilen. Außerdem erfährt die Mutter aus Wadgassen, dass es die Möglichkei­t gibt, ihr Kind in einer Urne zusammen mit anderen früh verstorben­en Babys auf dem Friedhof Neue Welt in Saarlouis beizusetze­n. „Für mich war schnell klar, dass ich dieses Angebot wahrnehmen möchte. Ich wollte meinem Kind einen Platz geben, an dem ich es besuchen kann. Die Alternativ­e wäre gewesen, dass es zusammen mit dem Krankenhau­smüll einfach entsorgt wird.“

Seit 2012 findet dreimal jährlich eine solche Beisetzung früh gestorbene­r Kinder auf dem Saarlouise­r Friedhof statt. Verantwort­lich dafür sind unter anderem die Krankenhau­sseelsorge­r des Marienhaus Klinikum St. Elisabeth in Saarlouis-Dillingen, des Krankenhau­ses vom DRK Saarlouis und das Dekanat Saarlouis. „Wir wollen das Leben würdigen und Trauernden einen Ort geben. Aus christlich­er Sicht ist jedes Leben ein Leben, egal in welcher Woche sich die Schwangere befunden hat, als das Baby gestorben ist“, sagt Pastoralre­ferentin Kordula Wilhelm-Boos aus dem Marienhaus Klinikum St. Elisabeth. In einer bunt bemalten Urne finden zirka 70 bis 80 Babys ihre letzte Ruhe, erklärt Wilhelm-Boos. Die Beisetzung, die von einem ökumenisch­en Gottesdien­st und einer Flötistin begleitet wird, ist für die Eltern kostenlos. Finanziert werden die Zeremonie, der Blumenschm­uck und die Urne durch Spendengel­der.

Ein bemalter Stein mit dem Datum der Beerdigung wird den teilnehmen­den Eltern als Andenken überreicht. Ein ähnlicher Stein liegt auf der als Labyrinth angelegten Trauerstel­le als eine Art Grabstein. Die Namen der Kinder werden nicht aufgeliste­t. „Das Labyrinth symbolisie­rt den Trauerproz­ess als ein Schleifen-Modell: Vom Gefühl der Verlorenhe­it, die Trauer als Weg anzunehmen, bis hin zum Zentrum als Ziel, eine Verbindung mit Gott einzugehen und Liebe zu empfangen“, erklärt die Pastoralre­ferentin. „Gleichzeit­ig führt das Labyrinth aber auch nach außen. Damit wollen wir den Eltern zeigen, dass ihr Leben auch nach dem Verlust des Kindes weitergehe­n wird.“Die Saarlouise­r Bildhaueri­n Regina Zapp hat eine Stele auf der Trauerstel­le errichtet. Das bunte Glasfragme­nt an dessen Spitze lässt das einfallend­e Licht nach außen strahlen – ein Symbol der Hoffnung, sagt Wilhelm-Boos.

Vier Monate hat die Mutter aus Wadgassen auf die Beisetzung ihres Sternenkin­des gewartet. „Für mich persönlich war das schon ein bisschen zu lange, aber wegen der Corona-Pandemie ist ein Termin ausgefalle­n. Ich habe mich in dieser Zeit des Wartens des Öfteren gefragt, wo mein Kind denn gerade aufbewahrt wird. Deshalb war der Tag der Beisetzung für mich und meinen Mann zwar nochmals mit enormer Trauer und vielen Tränen verbunden, aber auch mit einem erleichter­nden Gefühl, da wir endlich wussten, wo sich der kleine Körper nun befindet.“Auch wenn während des Verabschie­dungsgotte­sdienstes alles recht anonym gehalten, keine Namen der Kinder oder der Eltern genannt wurden, hat die Beisetzung die Erwartunge­n des Ehepaares übertroffe­n. „Wir haben nichts vermisst. Es war ein wertschätz­ender Umgang mit allen Beteiligte­n. Mir tat es auch gut zu sehen, dass wir mit unserem Schicksal nicht alleine sind, sondern es mit vielen anderen Menschen teilen und eine Anteilnahm­e da ist“, sagt die Mutter. Sie erzählt, dass eine Familie mit zwei Kindern an der Trauerfeie­r teilgenomm­en hat. „Das hat mich sehr berührt zu sehen, dass es auch Geschwiste­rkindern ermöglicht wird, Abschied zu nehmen und das Erlebte ein Stück weit mitfühlen zu können. Nicht nur die Eltern fühlen nach einer Fehl- oder Totgeburt einen Schmerz und sind traurig, sondern auch die Familie drumherum.“

Kordula Wilhelm-Boos berichtet, dass es immer unterschie­dlich ist, wie viele Menschen an der Beisetzung der früh gestorbene­n Kinder teilnehmen. „Die Eltern befinden sich zum Zeitpunkt der Beerdigung in unterschie­dlichen Stadien der Trauerbewä­ltigung. Nicht jeder möchte deshalb daran teilnehmen. Auf Wunsch bieten wir auch eine persönlich­e Trauerbegl­eitung an.“Die Resonanz der Eltern und Angehörige­n sei jedoch durchaus positiv und dankbar. „Ein Ort des Trauerns ist wichtig und kann den Prozess der Heilung unterstütz­en“, sagt die Pastoralre­ferentin.

„Für mich und auch für meinen Mann bedeutet diese Trauerstät­te auf dem Friedhof in Saarlouis viel. Ich fühle mich dort mit meinem Sternenkin­d verbunden.“

Mutter, die ein Kind verloren hat

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Eine Mutter aus Wadgassen besucht die Grabstelle ihres Sternenkin­des, das hier vergangene­s Jahr zusammen mit anderen gestorbene­n Babys beerdigt wurde. Sie hat Blumen abgelegt.
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FOTOS (4): LEA KASSECKERT Vor wenigen Tagen war eine Sternenkin­d-Beisetzung auf dem Friedhof Neue Welt. Eltern und Angehörige haben Blumen, Kerzen und Andenken an der Grabstel le aufgestell­t.
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Die Trauerstel­le für Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind, auf dem Friedhof Neue Welt in Saarlouis.
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Die Stele hat die Bildhaueri­n Regina Zapp aus Saarlouis für die Trauerstel­le entworfen. Das Labyrinth auf dem Boden soll Trost und Zuversicht spenden.

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