Eltern haben hier einen Ort, an dem sie um ihr totes Kind trauern können
Auf dem Friedhof Neue Welt in Saarlouis gibt es eine Trauerstelle für Früh- und Totgeborene. Eine Mutter berichtet, was dieser Platz für sie bedeutet.
Manche Babys erblicken nie lebend das Licht der Welt oder sterben kurz nach der Geburt. Sie werden Sternenkinder genannt. In Saarlouis gibt es die Möglichkeit, die kleinen Kinder auf dem Friedhof Neue Welt beizusetzen – in einem Sammelgrab für Kinder, die noch weniger als 500 Gramm gewogen haben, als ihre Eltern sich von ihnen verabschieden mussten. „Für mich und auch für meinen Mann bedeutet diese Trauerstätte auf dem Friedhof in Saarlouis viel. Ich fühle mich dort mit meinem Sternenkind verbunden. Ich rede mit ihm, bringe frische Blumen vorbei, und manchmal, wenn es mir nicht gut geht und ich einen Platz nur für mich brauche, dann besuche ich den Friedhof, egal ob ich wegen meiner Fehlgeburt oder etwas anderem traurig bin“, erzählt eine Mutter aus Wadgassen, die im vergangenen Jahr ihr Kind in der 9. Woche verloren hat. Sie möchte anonym bleiben, aber dennoch über das Tabuthema einer Fehl- oder Totgeburt sprechen.
Die Schwangerschaft, berichtet sie, war lange ersehnt, das Baby ein absolutes Wunschkind. Als sie von ihrer Ärztin bei einer Ultraschalluntersuchung erfährt, dass keine Herztöne mehr zu finden seien und sie sich noch am selben Tag im Krankenhaus für eine Ausschabung melden solle, ist sie geschockt. „Ich hätte mir eine bessere, sensiblere und auch umfangreichere Aufklärung gewünscht, welche Möglichkeiten ich in dieser Situation gehabt hätte. Eine Operation ist in solchen Fällen nämlich nicht immer nötig, wie ich leider erst im Nachhinein erfahren habe.“Im Krankenhaus ist sie selbst diejenige, die verschiedene Ärztinnen anspricht, was denn mit ihrem Kind passiert und ob es möglich ist, Abschied zu nehmen und das kleine Wesen zu beerdigen. Doch erst die Ärztin, die sie operiert, kann ihr auf ihre Fragen eine beruhigende Antwort geben; da liegt sie bereits auf dem Operationstisch, berichtet die Frau.
Sie erfährt, dass es den Verein Sterneneltern Saarland mit Sitz in Saarwellingen gibt. Ein Netzwerk, das betroffene Eltern während und nach dem Erleben einer Fehl- oder Totgeburt mit verschiedenen Hilfsangeboten zur Seite steht, Trauerbegleitungen anbietet und als Ansprechpartner dient. Hier können Eltern Antworten finden, sich mit anderen Menschen austauschen, die dasselbe Schicksal teilen. Außerdem erfährt die Mutter aus Wadgassen, dass es die Möglichkeit gibt, ihr Kind in einer Urne zusammen mit anderen früh verstorbenen Babys auf dem Friedhof Neue Welt in Saarlouis beizusetzen. „Für mich war schnell klar, dass ich dieses Angebot wahrnehmen möchte. Ich wollte meinem Kind einen Platz geben, an dem ich es besuchen kann. Die Alternative wäre gewesen, dass es zusammen mit dem Krankenhausmüll einfach entsorgt wird.“
Seit 2012 findet dreimal jährlich eine solche Beisetzung früh gestorbener Kinder auf dem Saarlouiser Friedhof statt. Verantwortlich dafür sind unter anderem die Krankenhausseelsorger des Marienhaus Klinikum St. Elisabeth in Saarlouis-Dillingen, des Krankenhauses vom DRK Saarlouis und das Dekanat Saarlouis. „Wir wollen das Leben würdigen und Trauernden einen Ort geben. Aus christlicher Sicht ist jedes Leben ein Leben, egal in welcher Woche sich die Schwangere befunden hat, als das Baby gestorben ist“, sagt Pastoralreferentin Kordula Wilhelm-Boos aus dem Marienhaus Klinikum St. Elisabeth. In einer bunt bemalten Urne finden zirka 70 bis 80 Babys ihre letzte Ruhe, erklärt Wilhelm-Boos. Die Beisetzung, die von einem ökumenischen Gottesdienst und einer Flötistin begleitet wird, ist für die Eltern kostenlos. Finanziert werden die Zeremonie, der Blumenschmuck und die Urne durch Spendengelder.
Ein bemalter Stein mit dem Datum der Beerdigung wird den teilnehmenden Eltern als Andenken überreicht. Ein ähnlicher Stein liegt auf der als Labyrinth angelegten Trauerstelle als eine Art Grabstein. Die Namen der Kinder werden nicht aufgelistet. „Das Labyrinth symbolisiert den Trauerprozess als ein Schleifen-Modell: Vom Gefühl der Verlorenheit, die Trauer als Weg anzunehmen, bis hin zum Zentrum als Ziel, eine Verbindung mit Gott einzugehen und Liebe zu empfangen“, erklärt die Pastoralreferentin. „Gleichzeitig führt das Labyrinth aber auch nach außen. Damit wollen wir den Eltern zeigen, dass ihr Leben auch nach dem Verlust des Kindes weitergehen wird.“Die Saarlouiser Bildhauerin Regina Zapp hat eine Stele auf der Trauerstelle errichtet. Das bunte Glasfragment an dessen Spitze lässt das einfallende Licht nach außen strahlen – ein Symbol der Hoffnung, sagt Wilhelm-Boos.
Vier Monate hat die Mutter aus Wadgassen auf die Beisetzung ihres Sternenkindes gewartet. „Für mich persönlich war das schon ein bisschen zu lange, aber wegen der Corona-Pandemie ist ein Termin ausgefallen. Ich habe mich in dieser Zeit des Wartens des Öfteren gefragt, wo mein Kind denn gerade aufbewahrt wird. Deshalb war der Tag der Beisetzung für mich und meinen Mann zwar nochmals mit enormer Trauer und vielen Tränen verbunden, aber auch mit einem erleichternden Gefühl, da wir endlich wussten, wo sich der kleine Körper nun befindet.“Auch wenn während des Verabschiedungsgottesdienstes alles recht anonym gehalten, keine Namen der Kinder oder der Eltern genannt wurden, hat die Beisetzung die Erwartungen des Ehepaares übertroffen. „Wir haben nichts vermisst. Es war ein wertschätzender Umgang mit allen Beteiligten. Mir tat es auch gut zu sehen, dass wir mit unserem Schicksal nicht alleine sind, sondern es mit vielen anderen Menschen teilen und eine Anteilnahme da ist“, sagt die Mutter. Sie erzählt, dass eine Familie mit zwei Kindern an der Trauerfeier teilgenommen hat. „Das hat mich sehr berührt zu sehen, dass es auch Geschwisterkindern ermöglicht wird, Abschied zu nehmen und das Erlebte ein Stück weit mitfühlen zu können. Nicht nur die Eltern fühlen nach einer Fehl- oder Totgeburt einen Schmerz und sind traurig, sondern auch die Familie drumherum.“
Kordula Wilhelm-Boos berichtet, dass es immer unterschiedlich ist, wie viele Menschen an der Beisetzung der früh gestorbenen Kinder teilnehmen. „Die Eltern befinden sich zum Zeitpunkt der Beerdigung in unterschiedlichen Stadien der Trauerbewältigung. Nicht jeder möchte deshalb daran teilnehmen. Auf Wunsch bieten wir auch eine persönliche Trauerbegleitung an.“Die Resonanz der Eltern und Angehörigen sei jedoch durchaus positiv und dankbar. „Ein Ort des Trauerns ist wichtig und kann den Prozess der Heilung unterstützen“, sagt die Pastoralreferentin.
„Für mich und auch für meinen Mann bedeutet diese Trauerstätte auf dem Friedhof in Saarlouis viel. Ich fühle mich dort mit meinem Sternenkind verbunden.“
Mutter, die ein Kind verloren hat