Saarbruecker Zeitung

Viktor Orbáns Kampf um den Machterhal­t

Verheerend­e Corona-Bilanz, erstarkte Opposition und EU-Isolation: Ungarns autoritäre­r Regierungs­chef sucht jetzt die Nähe zu Russland und China.

- VON ULRICH KRÖKEL Produktion dieser Seite: Manuel Görtz Daniel Bonenberge­r

BUDAPEST Es läuft nicht rund für Viktor Orbán. Da ist vor allem diese Zahl, die Ungarns Premier selbst mit seiner rigiden Medienpoli­tik nicht aus der Welt schaffen kann: 2960 Covid-19-Tote pro eine Million Einwohner. Das ist die aktuelle Pandemiebi­lanz des kleinen osteuropäi­schen Landes. Es ist der schlechtes­te Wert weltweit. Ungarn verzeichne­t, gemessen an der Bevölkerun­g, fast siebzehnma­l mehr Corona-Opfer als das zuletzt hart getroffene Indien (178). Für einen Premier, der seit elf Jahren mit absoluter Mehrheit regiert, ist das nicht nur eine bittere Rechnung. Es ist vor allem ein schwaches Arbeitszeu­gnis. Und deshalb steht der bekennende Illiberale, der die EU mit seinen nationalen Alleingäng­en immer wieder herausford­ert, nun selbst unter Druck. Denn in Ungarn wird in elf Monaten ein neues Parlament gewählt.

In Umfragen liegt Orbáns Fidesz mit 48 Prozent zwar weiter gut im Rennen. Vor Beginn der Pandemie lag die rechtsnati­onale Regierungs­partei aber zeitweise bei 56 Prozent. Viel dramatisch­er für Orbán ist jedoch die Neuformier­ung der Opposition.

Bislang konnte sich der Premier nahezu blind darauf verlassen, dass sich Sozialdemo­kraten und Grüne, Liberale, Bürgerlich­e und die Rechtsauße­npartei Jobbik am Ende gegenseiti­g zerfleisch­en. Nun aber haben die Orban-Gegner alle Fehden beendet und ein Wahlbündni­s geschmiede­t, das in den Umfragen gleichauf mit Fidesz liegt. Dabei hat die Opposition nur einen gemeinsame­n Programmpu­nkt: die „Überwindun­g des Systems Orbán“. Ob das reicht?

Glaubt man dem Budapester Politologe­n Gabor Török, hat Orbán erstmals seit elf Jahren allen Grund, sich „um seinen Machterhal­t zu sorgen“. Und das hat nicht nur mit der Pandemie zu tun. Noch größere Probleme hat Orbán in der EU. Mitte März musste der Fidesz nach jahrelange­m Streit die Europäisch­e Volksparte­i (EVP) verlassen. Orbán kam einem Rauswurf aus der christlich-konservati­ven Parteienfa­milie zuvor, der auch die CDU/CSU angehört. Damit hat der Ungar, der einst als politische­r Ziehsohn von Helmut Kohl galt, die Unterstütz­ung aus dem mächtigste­n EU-Staat verloren. Die deutschen Konservati­ven hatten endgültig genug von seinen Attacken auf Brüssel und seiner antidemokr­atischen Agenda.

Die Bilanz von Orbáns Regierungs­zeit liest sich tatsächlic­h wie aus einem Handbuch des Autoritari­smus. Er unterwarf die Medien weitgehend der Regierungs­kontrolle, attackiert­e die Unabhängig­keit der Justiz und höhlte die Freiheit der Wissenscha­ften aus. Mit der Mehrheit des Fidesz beschnitt das Parlament sogar seine eigenen Rechte. Hinzu kam der „Illiberali­smus“, worunter Orbán vor allem eine repressive Politik gegenüber Migranten und sexuellen Minderheit­en verstand. Seit der Flüchtling­skrise 2015 gebärdete sich Orbán als „Verteidige­r des christlich­en Abendlande­s“und verschärft­e unter Umgehung von EU-Recht das Asylrecht bis an den Rand der Abschaffun­g.

Christlich? In Wirklichke­it habe sich der Fidesz „von christdemo­kratischen Werten verabschie­det“, erklärte CSU-Chef Markus Söder kurz vor dem Bruch mit Orbán. Da war die Angst vor der Bildung einer „neuen Rechten“in der EU, die der Ungar ankündigte, schon nicht mehr gar so groß. Denn Orbán steht in Europa heute weitgehend isoliert da. Mit dem Brexit haben die mächtigen EU-Skeptiker von der Insel die Union verlassen. In Italien verlor Rechtsauße­n Matteo Salvini an Einfluss. Und auch in Orbáns Bündnis mit der polnischen PiS zeigen sich Risse.

Noch im vergangene­n Jahr hatten die Regierunge­n in Warschau und Budapest einen zähen Abwehrkamp­f gegen verschärft­e Rechtsstaa­tsregeln in der EU geführt – und verloren. Wer sich nicht an demokratis­che Werte hält, muss künftig mit Geldentzug rechnen. Beide klagten noch vor dem höchsten EU-Gericht. Seither jedoch fremdeln Ungarn und Polen immer stärker. Das hat vor allem mit Orbáns Nähe zum russischen Präsidente­n Wladimir Putin zu tun, den man in Warschau als Aggressor betrachtet. In Budapest dagegen treibt man den Bau neuer Reaktoren im AKW Paks durch den Moskauer Nuklearkon­zern Rosatom voran. Und als die Corona-Pandemie in Ungarn im Winter aus dem Ruder lief, kaufte die Regierung in großem Stil den russischen Impfstoff Sputnik V, ohne auf eine EU-Zulassung zu warten.

Zugleich sucht Orbán die Nähe zu China. Auch dort kaufte er Impfstoff, und zuletzt bahnte er den milliarden­schweren Bau einer chinesisch­en Eliteunive­rsität in Budapest an. Kurz darauf legte Ungarn in Brüssel sein Veto gegen eine chinakriti­sche EU-Resolution ein. Ist das schon die endgültige Hinwendung zum Autoritari­smus? Vieles deutet zumindest darauf hin, dass der Fußballfan Orbán sein politische­s Endspiel begonnen hat. Mit bald 58 Jahren versprüht er zwar noch immer viel Energie. Der Ungar ist aber längst nicht mehr der ewig junge „Powerpremi­er“aus dem Osten, der selbst französisc­he Präsidente­n und eine deutsche Kanzlerin vor sich hertreibt.

Wenn Angela Merkel demnächst in den politische­n Ruhestand wechselt, wird Orbán in der EU der am längsten amtierende Regierungs­chef sein. Die Zukunft dagegen scheint anderen zu gehören: dem 34-jährigen österreich­ischen Kanzler Sebastian Kurz zum Beispiel oder Annalena Baerbock (40), dem Shootingst­ar der deutschen Grünen. Deren Partei steuert im EU-Parlament den härtesten Anti-Orbán-Kurs. Am Ende könnte also eine frontale Konfrontat­ion stehen, in der selbst ein Hungexit nicht mehr ausgeschlo­ssen wäre, ein Austritt Ungarns aus der EU. Orbán könnte, um seine autoritäre Macht zu sichern, auf Russland und China setzen. Ob es dazu kommt – auch darüber entscheide­n die Wähler in Ungarn 2022.

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FOTO:VIOLETA SANTOS MOURA/AP In der EU steht Ungarns Premier Viktor Orbán mittlerwei­le ziemlich alleine da. Und in seinem Land hat die Opposition ein Bündnis gegen den autoritär regierende­n Ministerpr­äsidenten geschmiede­t.

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