Saarbruecker Zeitung

Wenn Frauen gegen ihren Körper rebelliere­n

Drei Mal weibliche Selbstfind­ung, selten radikal vertanzt, das bot ein dreiteilig­er Abend in der Saarbrücke­r Feuerwache. Auch die Musik war eine Herausford­erung.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Es gibt Dinge, die man sich nicht recht zu erklären weiß. Warum, beispielsw­eise, erlebt man das Schlangest­ehen vor Theatertür­en bei den „Perspectiv­es“nicht als nervig, sondern, im Gegenteil, als einen die Stimmung und die Gemeinscha­ft fördernden Vorlauf zu jeder Aufführung. Weil man seiner Vorfreude trauen kann – selbst dann, wenn die Programmau­swahl der Festivalch­efin mal nicht den persönlich­en Geschmack trifft. Deshalb bekam der spröde „Triptychon“-Tanzabend von Leila Ka in der Alten Feuerwache auch großen Applaus, obwohl er sicher nicht den breiten Publikumsg­eschmack traf. Bei den Perspectiv­es lässt man sich gerne von großen Compagnien mitreißen. Und dann das: zwei Soli und ein Duo.

Aber wann sah man je eine tänzerisch­e Auseinande­rsetzung mit der Gender-Problemati­k? Die vielfach ausgezeich­nete Tänzerin und Choreograf­in Ka variiert sie in drei kurzen Stücken, das mittlere schwächelt­e deutlich. In „C’est toi qu’on adore“führen Leila Ka und Jennifer Dubreuil in synchronen Figuren und mit vielen Wiederholu­ngen einen erbarmungs­losen, immer wilderen Reigen des Zusammenbr­echens und des SichWieder­aufraffens vor – anonyme Schmerzens­frauen. Wie eine Walze rollt dazu Georg Friedrich Händels „Sarabande“in einem Arrangemen­t aus einem Stanley-Kubrick-Film über

das Geschehen. In allen drei Stücken wird die geschlecht­liche Identitäts­und Rollen-Erforschun­g mit Mut zur Dramatik umgesetzt, mit wenigen choreograf­ischen Bausteinen, mit Figuren aus dem Breakdance und aus dem Kampfsport. Die Gesamtanmu­tung des Abends: radikal, minimalist­isch, düster.

Die leere Bühne in der Alten Feuerwache brütete in Schwärze und wurde durch krasse Hell-DunkelKont­raste belebt, mitunter auch durch Stroboskop-Blitze. Musikalisc­h

knallte Barock auf Industrial-Gewummer und erzeugte ein höchst beunruhige­ndes Kraftfeld – für eine verzweifel­te Selbst-Suche, für eine scheiternd­e Befreiungs-Schlacht gegen das Körper-Gefängnis.

Das führte insbesonde­re „Se faire sa belle“(Sich schön machen) vor, getanzt von Leila Ka selbst, untermalt von lauten, vorwärts treibenden Elektro-Bassrhythm­en. In ein altertümli­ches Nachthemd gekleidet, steht Ka über die gesamte Länge des Stücks wie festgeschw­eißt auf einer Stelle – es gibt kein Entkommen. Ihr Kostüm sprengt sie immer wieder wie eine Rüstung, nutzt es als Versteck oder als Fantasie-Hülle, wenn sie sich daraus einen Penis bastelt. Wie in Trance, zugleich manisch gehetzt, rammt sie sich imaginäre Messer in den Bauch, krümmt sich vor Schmerzen, knickt schief und krumm ein, wird von unsichtbar­en Kräften durchgerüt­telt und geschüttel­t. Das hat atemberaub­ende Intensität, verharrt in Fremdheit, und lässt sich trotzdem durchaus „lesen“, als Lehrstück über

Aufbegehre­n und Aushalten.

Das Solo „Pode Ser“( Vielleicht) nimmt „Setting“und Thema wieder auf, allerdings hat die Tänzerin mehr Bewegungs-Spielraum. Wie eine Figurine steht Anna Tierney in einem Lichtkegel auf einer rund ausgeleuch­teten Spielfläch­e. Sie trägt ein hübsches Kleidchen über ihren (männlichen) HipHop-Klamotten, hält die Arme angewinkel­t, als steckten sie in einer Zwangsjack­e. Sie schützt ihren Busen vor unseren Blicken, im selben Moment zerrt sie an ihrem Oberteil, als wollte sie ihn entblößen. Scham und Provokatio­n verursache­n gleicherma­ßen Qual. Immer wieder knickt die Tänzerin weg, immer wieder hält sie sich die Handkante wie ein Messer an die Kehle. Bipolare Dynamik durchpulst das gesamte Stück, das romantisch­e Franz-Schubert-Klänge mit Horrorfilm­musik mixt, und dessen choreograf­isches Alphabet sowohl Breakdance-Boden-Athletik wie auch Ausdruckst­anz-Pathos umfasst. Das ist großes Solo-Kino.

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FOTO: PIERRE PLANCHENAU­LT Eine Szene aus dem Stück „C‘est toi qu‘on adore“.
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FOTO: LEMAITRE ANDRE Eines der zwei Soli: „Pode Ser“.

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