Wenn Frauen gegen ihren Körper rebellieren
Drei Mal weibliche Selbstfindung, selten radikal vertanzt, das bot ein dreiteiliger Abend in der Saarbrücker Feuerwache. Auch die Musik war eine Herausforderung.
Es gibt Dinge, die man sich nicht recht zu erklären weiß. Warum, beispielsweise, erlebt man das Schlangestehen vor Theatertüren bei den „Perspectives“nicht als nervig, sondern, im Gegenteil, als einen die Stimmung und die Gemeinschaft fördernden Vorlauf zu jeder Aufführung. Weil man seiner Vorfreude trauen kann – selbst dann, wenn die Programmauswahl der Festivalchefin mal nicht den persönlichen Geschmack trifft. Deshalb bekam der spröde „Triptychon“-Tanzabend von Leila Ka in der Alten Feuerwache auch großen Applaus, obwohl er sicher nicht den breiten Publikumsgeschmack traf. Bei den Perspectives lässt man sich gerne von großen Compagnien mitreißen. Und dann das: zwei Soli und ein Duo.
Aber wann sah man je eine tänzerische Auseinandersetzung mit der Gender-Problematik? Die vielfach ausgezeichnete Tänzerin und Choreografin Ka variiert sie in drei kurzen Stücken, das mittlere schwächelte deutlich. In „C’est toi qu’on adore“führen Leila Ka und Jennifer Dubreuil in synchronen Figuren und mit vielen Wiederholungen einen erbarmungslosen, immer wilderen Reigen des Zusammenbrechens und des SichWiederaufraffens vor – anonyme Schmerzensfrauen. Wie eine Walze rollt dazu Georg Friedrich Händels „Sarabande“in einem Arrangement aus einem Stanley-Kubrick-Film über
das Geschehen. In allen drei Stücken wird die geschlechtliche Identitätsund Rollen-Erforschung mit Mut zur Dramatik umgesetzt, mit wenigen choreografischen Bausteinen, mit Figuren aus dem Breakdance und aus dem Kampfsport. Die Gesamtanmutung des Abends: radikal, minimalistisch, düster.
Die leere Bühne in der Alten Feuerwache brütete in Schwärze und wurde durch krasse Hell-DunkelKontraste belebt, mitunter auch durch Stroboskop-Blitze. Musikalisch
knallte Barock auf Industrial-Gewummer und erzeugte ein höchst beunruhigendes Kraftfeld – für eine verzweifelte Selbst-Suche, für eine scheiternde Befreiungs-Schlacht gegen das Körper-Gefängnis.
Das führte insbesondere „Se faire sa belle“(Sich schön machen) vor, getanzt von Leila Ka selbst, untermalt von lauten, vorwärts treibenden Elektro-Bassrhythmen. In ein altertümliches Nachthemd gekleidet, steht Ka über die gesamte Länge des Stücks wie festgeschweißt auf einer Stelle – es gibt kein Entkommen. Ihr Kostüm sprengt sie immer wieder wie eine Rüstung, nutzt es als Versteck oder als Fantasie-Hülle, wenn sie sich daraus einen Penis bastelt. Wie in Trance, zugleich manisch gehetzt, rammt sie sich imaginäre Messer in den Bauch, krümmt sich vor Schmerzen, knickt schief und krumm ein, wird von unsichtbaren Kräften durchgerüttelt und geschüttelt. Das hat atemberaubende Intensität, verharrt in Fremdheit, und lässt sich trotzdem durchaus „lesen“, als Lehrstück über
Aufbegehren und Aushalten.
Das Solo „Pode Ser“( Vielleicht) nimmt „Setting“und Thema wieder auf, allerdings hat die Tänzerin mehr Bewegungs-Spielraum. Wie eine Figurine steht Anna Tierney in einem Lichtkegel auf einer rund ausgeleuchteten Spielfläche. Sie trägt ein hübsches Kleidchen über ihren (männlichen) HipHop-Klamotten, hält die Arme angewinkelt, als steckten sie in einer Zwangsjacke. Sie schützt ihren Busen vor unseren Blicken, im selben Moment zerrt sie an ihrem Oberteil, als wollte sie ihn entblößen. Scham und Provokation verursachen gleichermaßen Qual. Immer wieder knickt die Tänzerin weg, immer wieder hält sie sich die Handkante wie ein Messer an die Kehle. Bipolare Dynamik durchpulst das gesamte Stück, das romantische Franz-Schubert-Klänge mit Horrorfilmmusik mixt, und dessen choreografisches Alphabet sowohl Breakdance-Boden-Athletik wie auch Ausdruckstanz-Pathos umfasst. Das ist großes Solo-Kino.