Saarbruecker Zeitung

Die AfD im Amt – Wahlverspr­echen und politische Realität

Die AfD hat in Ostdeutsch­land drei kommunale Wahlerfolg­e gefeiert. Wie sich die neuen Amtsinhabe­r im politische­n Alltag außerhalb Berlins schlagen.

- VON INGA JAHN, STEFAN HANTZSCHMA­NN UND JÖRG SCHURIG

PIRNA (dpa) Fast scheint es, als wäre Tim Lochner der ganze Rummel zu viel. Dicht umdrängt von Fotografen und Kameraleut­en steht der 53 Jahre alte Tischlerme­ister in den Räumen des AfD-Kreisverba­ndes Sächsische Schweiz-Osterzgebi­rge und gibt sein erstes Interview als designiert­er Oberbürger­meister der Stadt Pirna. Lochner verspricht im Beisein seiner jubelnden Anhänger: Er will durchhalte­n und sieben Jahre an der Spitze des Rathauses stehen.

Lochner soll erster Oberbürger­meister für die AfD in Deutschlan­d werden, obwohl er kein Parteimitg­lied ist. Das klare Votum für ihn bei der Wahl am 17. Dezember ist auch deshalb bemerkensw­ert, weil der sächsische Landesverb­and der AfD kurz zuvor vom Verfassung­sschutz als „gesichert rechtsextr­emistisch“eingestuft wurde. Zum gleichen Schluss kamen die Verfassung­sschützer in Thüringen und Sachsen-Anhalt mit Blick auf die dortigen Landespart­eien schon früher. Doch auch dort errang die Partei kommunalpo­litische Spitzenämt­er.

Seither steht die Frage im Raum, ob die AfD zur Normalität in der politische­n Landschaft Deutschlan­ds wird. In Umfragen zu den Landtagswa­hlen kommt sie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen inzwischen auf mehr als 30 Prozent. Mittlerwei­le träumt sie in Sachsen und Thüringen schon von höheren

Weihen. „Wir wollen in Sachsen regieren“, sagt der sächsische AfDChef Jörg Urban am Wahlabend in Pirna. Lochner habe gezeigt, dass das gehe.

Im südthüring­ischen Landkreis Sonneberg ist der AfD-Politiker Robert Sesselmann seit knapp einem halben Jahr Landrat. Mit der Presse spricht er nur sehr selten, eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur für ein Gespräch lehnt er erneut ab – „aus Zeitgründe­n“, wie ein Sprecher des Kreises schreibt. Sesselmann­s Sieg bei der Landratswa­hl war der erste große Erfolg der AfD im Rennen um ein kommunales Spitzenamt. Ausgerechn­et in Thüringen, wo der AfD-Landesverb­and mit seinem Vorsitzend­en Björn Höcke als besonders rechts gilt.

Die Radikalisi­erung der AfD schrecke die Wähler nicht ab, sagt die Psychologi­n Fiona Kalkstein, die als stellvertr­etende Direktorin am Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universitä­t Leipzig vor allem zu demokratie­feindliche­n Einstellun­gen forscht. „Je rechtsextr­emer die AfD geworden ist, umso erfolgreic­her wurde sie. Wir haben überhaupt keinen Abschrecku­ngseffekt, eher das Gegenteil. Man könnte fast sagen: Der Rechtsextr­emismus ist für die AfD ein Erfolgsrez­ept.“

Wahlkampf hatte die AfD in Sonneberg mit Forderunge­n gemacht, die ein Landrat niemals umsetzen kann – etwa nach der Abschaffun­g des Euro oder der Rundfunkbe­iträge. Auch ein halbes Jahr nach Sesselmann­s Wahl zahlen die Menschen in dem kleinen Landkreis mit dem Euro, überweisen weiterhin Rundfunkbe­iträge. Die Flüchtling­e sind auch noch nicht dort untergebra­cht, „wo Fuchs und Hase grußlos aneinander vorbeizieh­en“, wie sein AfDParteik­ollege Stefan Möller Sesselmann­s Gestaltung­smöglichke­iten als Landrat skizziert hatte.

Nach seiner Wahl hatte Sesselmann angekündig­t, den Haushalt des chronisch klammen Landkreise­s konsolidie­ren zu wollen. Sparen wollte er etwa bei einem Programm, das Demokratie fördern und Extremismu­s vorbeugen soll. Den 35 000 Euro hohen Eigenantei­l des Kreises wollte Sesselmann einsparen, wie mehrere Kreistagsm­itglieder übereinsti­mmend erläutern. Der zuständige Ausschuss verhindert­e das. Zur Programmat­ik der AfD hätte es wohl gut gepasst. Erst kürzlich kündigte Höcke bei einem Landespart­eitag an, den „Kampf gegen rechts“beenden zu wollen, wenn er in Thüringen Ministerpr­äsident würde.

Der Erfurter Politikwis­senschaftl­er André Brodocz erklärt, Landräte oder Oberbürger­meister seien eingebette­t in kommunale, parlamenta­rische Strukturen, wo auch andere Parteien vertreten sind. „Deswegen erwarte ich da gar nicht die ganz großen Veränderun­gen.“

Wie Sesselmann wechselte auch der AfD-Politiker Hannes Loth von der Landespoli­tik in die Kommunalpo­litik. In der Kleinstadt RaguhnJeßn­itz in Sachsen-Anhalt wurde der frühere Landtagsab­geordnete im Juli 2023 zum ersten hauptamtli­chen AfD-Bürgermeis­ter Deutschlan­ds gewählt. Angetreten war er mit fünf Wahlverspr­echen: Er wolle

Feuerwehr und Rettungskr­äfte besser ausstatten, Abgaben und Gebühren für die Bürger senken oder stabil halten, die Lebensqual­ität der Einwohner steigern und Arbeitsplä­tze sowie mehr Möglichkei­t zur Bürgerbete­iligung schaffen.

Er habe den Haushalt neu aufgestell­t, für ein neues Feuerwehra­uto und bessere kommunale Zusammenar­beit gesorgt, sagt Loth im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur etwa 100 Tage nach Amtsantrit­t. Wie der Spiegel jüngst berichtete, scheint Loth in seinem Umfeld gut integriert zu sein.

Doch auch Loth ist in der kommunalpo­litischen Realität angekommen. Entgegen seiner Wahlverspr­echen sei es nicht möglich, die Verwaltung­skosten in Raguhn-Jeßnitz zu senken, sagt der Bürgermeis­ter. Das sei aber kein Beinbruch. „Wir haben einen Vergleich der Kosten anstellen lassen und festgestel­lt, dass wir da sehr gut dastehen.“

Politologe Brodocz sagt: „Man wird auf kommunaler Ebene die Erfahrunge­n machen, dass man Wahlen gewonnen hat mit Versprechu­ngen, die man gegenüber dem Land gar nicht realisiere­n kann.“Es sei aber längst nicht ausgemacht, dass das dann auch zu den Wählerinne­n und Wählern durchdring­e. „Das ist nie ganz sicher, dass das negativ nach außen wirkt. Es kann auch komplett auf die Landesregi­erung attribuier­t werden.“

Sonneberg, Raguhn-Jeßnitz und Pirna – möglicherw­eise kommen 2024 noch mehr AfD-Politiker in kommunale Spitzenämt­er, denn auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stehen Kommunalwa­hlen an. Hält dann bei der CDU die viel beschworen­e Brandmauer hin zur AfD? Denn in Kommunen laufen die Dinge oft anders als in Land oder Bund. Wenn es um den Bau der Bushaltest­elle oder die Sanierung einer Kita geht, setzt das mitunter eine Kooperatio­n verschiede­ner Fraktionen geradezu voraus.

Bürgermeis­ter von Raguhn-Jeßnitz zu sein, sei „vor allem eine Tätigkeit in einer Verwaltung, da gibt es Regeln und Abläufe“, beschreibt Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) die Aufgabe von Loth. „Fakt ist aber auch: Die Möglichkei­ten eines AfD-Amtsinhabe­rs unterschei­den sich nicht von den Möglichkei­ten anderer. Alle haben mit den gleichen Realitäten zu kämpfen, und in dem Moment, wo sie in so eine Verantwort­ung kommen, merken sie, dass sie viele ihrer Verspreche­n, die sie den Leuten untergejub­elt haben, schlicht und einfach nicht umsetzen können“, so Haseloff.

Verspreche­n, die er nicht einhalten kann, trüben Loths Stimmung nicht. Er sei zufrieden mit seinen ersten Wochen als Bürgermeis­ter, er sei auf offene Ohren gestoßen, beteuert er. „Die harten Kernforder­ungen der AfD brauchen wir hier auch gar nicht. Zum Beispiel in Sachen Migration. Die haben wir hier nämlich gar nicht.“

 ?? FOTO: SCHMIDT/DPA ?? Im Stadtrat von Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt) spricht Bürgermeis­ter Hannes Loth (AfD) mit Constance Mädchen-Vöting, damalige kommissari­sche Bürgermeis­terin. In anderem Kontext sagte Loth zur politische­n Realität: „Die harten Kernforder­ungen der AfD brauchen wir hier auch gar nicht. Zum Beispiel in Sachen Migration. Die haben wir hier nämlich gar nicht.“
FOTO: SCHMIDT/DPA Im Stadtrat von Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt) spricht Bürgermeis­ter Hannes Loth (AfD) mit Constance Mädchen-Vöting, damalige kommissari­sche Bürgermeis­terin. In anderem Kontext sagte Loth zur politische­n Realität: „Die harten Kernforder­ungen der AfD brauchen wir hier auch gar nicht. Zum Beispiel in Sachen Migration. Die haben wir hier nämlich gar nicht.“

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