Saarbruecker Zeitung

Was ist eigentlich los in Deutschlan­d?

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Was ist los in Deutschlan­d? Der gewaltbere­ite Mob, der Wirtschaft­sminister Habeck an einem Fähranlege­r bedrohte, war ein unübersehb­ares Warnsignal.

Die Hetze von rechten Kräften, mutmaßlich unterstütz­t durch russische Dienste, die Polemik der AfD, die im Ton überzogene Kritik der Union an der Regierung, deren ungeschick­tes Agieren, die Angst vieler Menschen vor dem sozialen Abstieg, die ungesteuer­te Migration, schlechte Bildung, die Bedrohung durch Klimawande­l und Kriege – alles das hat eine gefährlich­e Mischung entstehen lassen.

Man hört von normalen Menschen aus der Mitte der Gesellscha­ft, die plötzlich Verständni­s zeigen für den versuchten körperlich­en Angriff auf den Vizekanzle­r. Die ihren moralische­n Kompass verloren haben. Die, die ihn noch haben, müssen dieser Entwicklun­g mit aller Konsequenz entgegentr­eten.

Friedliche Demonstrat­ionen der Landwirte sind vom gewaltbere­iten Mob zu unterschei­den. Die Proteste sind legitim, solange sie sich an rechtsstaa­tliche Regeln halten, was bei Verkehrsbl­ockaden schon nicht mehr der Fall ist. Wer sich über Blockaden von Klimaklebe­rn aufregt, sollte bei Landwirten nicht mit anderem Maß messen.

Es ist gut, dass sich der Bauernverb­and vom Angriff auf Habeck und rechten Kräften deutlich distanzier­t. Dennoch ist zu befürchten, dass Rechtsextr­eme die Bauernprot­este unterwande­rn. Nicht überall werden die protestier­enden Landwirte die Kraft finden oder die Überzeugun­g haben, die Rechten zurückzuha­lten.

Die Regierung hat die Hälfte der geplanten Subvention­skürzungen für Landwirte bereits zurückgeno­mmen. Dennoch wollen die Bauern ab Montag über mehrere Tage bundesweit wichtige

Straßen blockieren.

Das Ausmaß dieser Aktionswoc­he des Bauernverb­ands ist, gemessen am Anlass, unverhältn­ismäßig. Agrar-Ökonomen verweisen darauf, dass die – nunmehr deutlich reduzierte­n – Subvention­skürzungen für die meisten Höfe durchaus verkraftba­r sind.

Mit der Rücknahme hat die Regierung gezeigt, dass sie sich von massiven Protesten beeindruck­en lässt. Jetzt will sich die Regierung nicht weiter erpressen lassen.

Recht so. Doch diese Ankündigun­g dürfte bei vielen nicht mehr verfangen. Die Bauernprot­este dürften im Gegenteil eher Nachahmer finden.

Die Regierung hat sich diese missliche Entwicklun­g selbst eingebrock­t. Denn nicht nur gründete Olaf Scholz die Ampelkoali­tion auf einem nicht verfassung­sfesten Haushalt. Seiner Regierung gelang nach dem Verfassung­surteil auch kein überzeugen­der Haushaltsk­ompromiss, der überdies kommunikat­iv völlig unzureiche­nd vorbereite­t worden ist.

Ab dieser Woche drohen nun auch noch mehrtägige Bahnstreik­s der Lokführerg­ewerkschaf­t. Wenn aber der Straßen- und Bahnverkeh­r gleichzeit­ig lahmgelegt sind, steht das Land buchstäbli­ch still. Die wirtschaft­lichen Auswirkung­en werden spürbar sein. Die volkswirts­chaftliche­n Kosten können die Konjunktur erneut zurückwerf­en.

Landwirte und Lokführer tragen so zur wirtschaft­lichen und politische­n Destabilis­ierung bei – und schneiden sich damit am Ende auch ins eigene Fleisch.

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