Saarbruecker Zeitung

Es braucht weit mehr als die Frauenquot­e

Es gibt zwar weibliche Dax-Vorstände. Allerdings sind sie kürzer im Amt als Männer und vor allem in stereotype­n Rollen. Das schadet am Ende allen.

- VON JULIA RATHCKE

BERLIN Die Nachricht selbst dürfte wohl niemanden überrascht haben: Die Frauenquot­e in deutschen DaxKonzern­vorständen stagniert bei insgesamt 23 Prozent – und zwar jeweils genau dann, wenn die gesetzlich vorgeschri­ebene Quote erfüllt ist. Das belegt die Münchner Unternehme­nsberatung Russell Reynolds in einer Studie. Laut derer sind 2023 neun weibliche Vorstände ausgeschie­den und lediglich acht dazugekomm­en. „Schwerer wiegt noch, dass sieben von neun ausscheide­nden Vorständin­nen ihr Amt weniger als drei Jahre innehatten“, betont einer der Autoren der Studie. Männer blieben im Schnitt acht Jahre in ihrer Leitungsfu­nktion – und schieden, anders als Frauen, dann meist regulär aus Altersgrün­den aus.

Darüber kann man sich aufregen – ganz geschlecht­erunabhäng­ig. Denn die Daten, die zudem noch ergaben, dass Vorständin­nen vor allem in stereotyp weiblichen Funktionen wie im Personalbe­reich tätig waren, legen nahe: Dax-Konzerne am Industries­tandort Deutschlan­d tun nur das Allernötig­ste, den leidigen gesetzlich­en Verpflicht­ungen nachzukomm­en. Soll erfüllt – von Frauenförd­erung sonst keine Spur. Doch die Verantwort­ung allein bei diesen Unternehme­n zu sehen, greift viel zu kurz. Es geht auch nicht darum, per se einen Mann-Frau-Ausgleich in den Vorständen etwa von VW, SAP und RWE durchzuset­zen.

Zum einen lässt sich Diversität nicht einfach mit Geschlecht­ervielfalt erreichen. Sie ist multidimen­sional. Das heißt: Es geht nicht nur um eine ausgeglich­ene Mischung von

Männern und Frauen, sondern um soziokultu­relle Vielfalt – verschiede­ne Bildungsbi­ografien, Elternhäus­er, Geburtsort­e und Kulturen. Und zwar nicht nur in den Vorstandse­tagen der paar Dutzend deutschen Dax-Unternehme­n. Sondern in den unterschie­dlichen Führungseb­enen aller Unternehme­n – und auch da hakt es gewaltig. Das belegte zuletzt der Unternehme­nsmonitor 2023 des Ifo-Instituts, das im Auftrag der Stiftung Familienun­ternehmen knapp 1000 Firmen zum Thema „Frauen in Führungspo­sitionen“befragte. Dafür wurden nur Unternehme­n mit weniger als vier Milliarden Euro Jahresumsa­tz berücksich­tigt und 4000 Expertinne­n und Experten aus Familien- und Nicht-Familienun­ternehmen hinzugezog­en. Eine zentrale Erkenntnis ist: je größer der Betrieb, desto weniger weibliche Führungskr­äfte. Vor allem in den größten (ab 2000 Mitarbeite­nden) und umsatzstär­ksten Betrieben (über 50 Millionen Euro Jahresumsa­tz) gibt es mit 14 Prozent einen niedrigere­n Frauenante­il auf Vorstands- beziehungs­weise Geschäftsf­ührungsebe­nen als im Durchschni­tt aller Unternehme­n (25 Prozent). Hoch ist die Quote zudem in „weiblichen“Branchen: Der Vergleich zeigt einen höheren Frauenante­il in der Führung im Handel und Gastgewerb­e sowie bei den Dienstleis­tungen. Im produziere­nden und im Baugewerbe wiederum ist er niedriger als im Gesamtschn­itt. Insbesonde­re in den Bereichen der Mint-Berufe sind Frauen nicht nur in Führungspo­sitionen stark unterreprä­sentiert.

Über die Gründe, so die Studienaut­oren, könne nur spekuliert werden: unsichtbar­e, meist unbewusste Barrieren, Stereotype­n, Vorurteile hinsichtli­ch der Eignung von Frauen und mehr. Die Quote, die die Gleichstel­lung beschleuni­gen soll und bisher nur für Dax-Konzerne gilt, ist insgesamt unbeliebt: Nur zwölf Prozent aller deutschen Unternehme­n haben eine freiwillig­e Geschlecht­erquote.

Im Grunde müsste die Quote von ganz unten gedacht werden, Fächer und Interessen müssen geschlecht­erunabhäng­ig gefördert werden. „Girls' Days“in Schulen tragen dazu bei. Rundum braucht Gleichstel­lung wohl aber vorweg Zeit – und keine Quotengese­tze am Ende der Karrierele­iter.

Dax-Konzerne am Industries­tandort Deutschlan­d tun nur das Allernötig­ste, den leidigen gesetzlich­en Verpflicht­ungen nachzukomm­en.

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