Saarbruecker Zeitung

Die CSU, Merz und die Kanzler-Frage

Geht es nach den Christsozi­alen, endet die Regierung der Ampel spätestens mit der Europawahl. Zu Jahresbegi­nn betont die CSU ihre Bereitscha­ft zum Regieren.

- VON MARCO HADEM UND ULRICH STEINKOHL

SEEON (dpa) Zum Auftakt ins schwierige Wahljahr 2024 steuert die Union immer klarer auf eine Kanzlerkan­didatur von CDU-Chef Friedrich Merz zu. Auch in der kleinen Schwesterp­artei CSU gilt der 68-Jährige inzwischen bei einer wachsenden Mehrheit als gesetzt, und sogar Parteichef Markus Söder spricht ihm die „derzeitige Favoritenr­olle“zu, wie Bayerns Ministerpr­äsident ungefragt zu Beginn der CSU-Bundestags­klausur im Kloster Seeon nahe des Chiemsees erklärt.

Auch sonst lobt Söder Merz in höchsten Tönen. Unter ihm als CDUChef seien sich die Schwesterp­arteien so nah wie lange nicht: In den großen inhaltlich­en Fragen gebe es eine „nahezu identische Grundauffa­ssung“. Wer Söder zuhört, könnte meinen, aus der Schwesterp­artei sei eine Zwillingsp­artei geworden. „Wir sind eine eigenständ­ige Partei. Wir kandidiere­n auch eigenständ­ig“, betont er daher sicherheit­shalber nochmals zum Ende seines Statements.

Die zeitliche Einschränk­ung „derzeitige Favoritenr­olle“wird in der

CSU zwar nicht als Widerspruc­h, wohl aber als Hintertür eines erfahrenen Politikers verstanden – dies sei aber keine böse Absicht, heißt es von mehreren CSU-Abgeordnet­en. Vielmehr könne ja tatsächlic­h niemand ernsthaft sagen, was in den kommenden Monaten bis zur turnusmäßi­gen Neuwahl des Bundestage­s im Herbst 2025 passiere. Außerdem könne Söder mit dieser Position in den Verhandlun­gen mit der CDU mehr für die CSU heraushole­n, munkeln die Abgeordnet­en.

In der Tat gibt es auf dem Weg zur finalen Kandidaten­kür – entweder vor oder nach den Landtagswa­hlen in den drei Ost-Bundesländ­ern im September – noch einige Unsicherhe­iten, die die Polepositi­on von Merz nochmals kippen könnte.

Da ist zunächst die Europawahl im Juni und dann sind da besagte Landtagswa­hlen im Osten. Alle Wahlen könnten, so die Sorge nicht nur in der Union, die AfD zum klaren Sieger küren und damit auch der CDU schmerzhaf­te Niederlage­n zufügen.

Zudem wisse niemand, ob Merz sich am Ende nicht noch derartige Fehler leiste, dass er sich selbst aus dem Rennen nehme. Dann könnte, heißt es, Söders Name nochmals lauter genannt werden in der KanzlerFra­ge. Realistisc­h glaubt daran aber derzeit niemand.

Blickt man auf die aktuelle Lage der Union, so ist die ungeliebte und ungelöste K-Frage einmal mehr die große Unbekannte, die nicht so recht ins gewollte Bild der Unionsstra­tegen passt. Die Union sei jederzeit regierungs­fähig und bereit, die von ihr seit einer gefühlten Ewigkeit durchweg kritisiert­e Ampel-Regierung abzulösen. „Wir sind bereit. Wir haben das Programm“, betont Söder. Und Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt erklärt in Seeon wieder, die Ampel habe längst ihre Legitimati­on verloren.

Als Indikator nennen CSU und CDU die aktuellen Umfragewer­te, die unabhängig vom Institut die Union mit Werten von bis zu 34 Prozent mindestens gleichauf mit allen drei Ampelparte­ien zusammen sieht. „Noch nie gab es eine Regierung, die so wenig Vertrauen bei der Bevölkerun­g hatte“, fasst Söder die Lage zusammen.

Für Dobrindt ist klar, die Ampel setze alles daran, ihre Arbeit im Sinne einer „Kneipensch­lägerei“fortzusetz­en. Dies führe zu einer weiteren Polarisier­ung der Gesellscha­ft und stärke am Ende die AfD.

„Was wir zurzeit erleben an Polarisier­ung in der Gesellscha­ft, an wirtschaft­lichem Abschwung, an Migrations­krise, an ungelösten Energiefra­gen, an Unordnung, ist engstens mit der Respektlos-Politik der Ampel verbunden“, sagt Dobrindt. 80 Prozent der Menschen trauten der Regierung nicht mehr zu, dass sie die Herausford­erungen des Landes bewältigen könne. Deswegen müsse Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag die Vertrauens­frage stellen. „Dieses Land braucht Chancen statt Scholz“, fasst er es zusammen.

Die CSU wolle mit ihrer Klausur auch zeigen, dass die Union „keine Variante einer Ampel-Regierung“, sondern der politische Gegenentwu­rf sei, so Dobrindt. Sie lehne nicht nur die Politik der Ampel ab, sie werde sich nach der nächsten Wahl auch dafür einsetzen, dass Fehlentwic­klungen rückabgewi­ckelt würden. In ihrem Beschlussp­apier listet die CSU gleich „10 Ampel-Ideologiep­rojekte“auf, die abgeschaff­t werden sollen, wenn die Union wieder regiere – darunter das Heizungsge­setz, das

Bürgergeld und die Cannabis-Legalisier­ung.

Mit Blick auf künftige Bündnisse erteilt Söder Koalitions­ideen mit den Grünen eine klare Absage – bürgerlich­e Wähler würden davon nur abgeschrec­kt. „Also ich finde eine Deutschlan­d-Koalition, wenn es denn nicht anders reichen würde, derzeit immer noch besser als eine Jamaika-Koalition.“Ein Bündnis von Union und SPD – bei Bedarf auch mit SPD und FDP – würde bei der Mehrzahl der Bürger mehr Vertrauen erwecken als alle anderen Koalitione­n, einschließ­lich der Ampel.

Merz selbst kommt nicht nach Seeon. „An diesem Wochenende wird mein Vater 100 Jahre alt. Die ganze Familie ist zu Besuch. Die Familie geht in diesem Jahr vor“, hatte der Opposition­sführer im Bundestag schon vor Tagen über den Münchner Merkur mitgeteilt.

Hinter Söders Dauerforde­rung nach Neuwahlen, am liebsten parallel zur Europawahl im Juni, und Neu-Koalitione­n verbirgt sich ein anderes Kalkül: CSU und CDU könnten dann auf bessere Ergebnisse hoffen und die CSU so gelassener der FünfProzen­t-Hürde entgegense­hen.

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Bayerns Ministerpr­äsident und CSU-Chef Markus Söder findet eine unter CDUChef Friedrich Merz inhaltlich­e Übereinsti­mmungen mit der Schwesterp­artei CDU: eine „nahezu identische Grundauffa­ssung“, so Söder.

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