Saarbruecker Zeitung

„Die Messe für die Atomkraft ist gelesen“

Der Eon- Chef sagt, warum Strom 2024 teurer zu werden droht und der Westen alles für einen Sieg der Ukraine tun sollte.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF­Optimistis­ch blickt der Vorstandsv­orsitzende des Energiekon­zerns Eon, Leonhard Birnbaum, im SZ-Interview auf den weiteren Verlauf des Winters. Mit Engpässen beim Gas rechnet er nicht.

Herr Birnbaum, Eon ist der größte Lieferant von Strom und Gas in Deutschlan­d. Wie kommt Deutschlan­d durch den Winter?

BIRNBAUM Wir sind viel besser vorbereite­t als vor einem Jahr, die Gasspeiche­r sind gut gefüllt. China als größter Importeur von Flüssiggas fragt wegen seiner Wirtschaft­sschwäche weniger nach als erwartet. Es müsste schon viel passieren, damit es in diesem Winter einen Engpass beim Gas gibt.

Was wäre ein Risiko?

BIRNBAUMWe­nn es – was hoffentlic­h nicht geschehen wird – eine Eskalation im Nahen Osten gibt, würde sich das auf alle Energiemär­kte auswirken. Diese sind heute viel verbundene­r als früher. Dann würde nicht nur der Ölpreis durch die Decke gehen, sondern auch der für Gas und für Strom. Denn der Persische Golf ist eine zentrale Route nicht nur für Öl, sondern auch Flüssiggas.

Wie sieht es bei den Strom- und Gaspreisen aus?

BIRNBAUMGe­genüber den Rekordprei­sen im Herbst 2022 hat es einen deutlichen Rückgang gegeben. Doch die Preise sind noch immer rund zwei Mal so hoch wie vor der Krise. Der Großhandel­spreis für Strom hat Anfang 2021 bei 50 Euro je Megawattst­unde gelegen, heute sind es immer noch fast 100 Euro. Beim Gas waren es Anfang 2021 rund 20 Euro, heute sind es um die 40 Euro.

Wie geht es mittelfris­tig weiter?

BIRNBAUM Das hängt von vielen Faktoren ab, aber ich erwarte nicht, dass die Preise wieder auf das Niveau von 2021 fallen. Strom wird teurer bleiben: Zwar kostet die Erzeugung durch Wind und Solar vergleichs­weise wenig, aber die Absicherun­g – Stichwort Dunkelflau­te – durch Speicher oder neue Gaskraftwe­rke und die Verbindung der vielen dezentrale­n Energiewen­de-Anlagen erhöht dennoch die Kosten der Versorgung insgesamt.

Will Eon auch zum großen Wärmepumpe­n-Anbieter werden?

BIRNBAUM

Als

Unternehme­n möchten wir die Wärmewende aktiv vorantreib­en und sehen auch bei den Menschen ein sehr großes Interesse am Thema Wärmepumpe. Wir stehen mit Tausenden Interessen­ten im Austausch, um gemeinsam mit unseren Partnern Wärmepumpe­n in die Häuser zu bringen. Wärmepumpe­n sind gut fürs Klima und für den Geldbeutel der Kunden.

Doch nun wackelt nach dem Karlsruher Urteil die Förderung für solche Anlagen...

BIRNBAUM Das Karlsruher Urteil ist grundsätzl­ich eine große Chance für Politik und Gesellscha­ft, über Ausgaben und Prioritäte­n neu nachzudenk­en. Meiner Ansicht nach müsste Deutschlan­d viel stärker in die Zukunft investiere­n – und das nicht erst seit der Ampel-Regierung. Bei KI und Digitalisi­erung verlieren wir den Anschluss. Deutschlan­d ist nicht innovativ und produktiv genug. Der einzige Weg, unseren Wohlstand zu erhalten, sind Innovation­en.

Bei welchen Ausgaben sollte der Staat sparen?

BIRNBAUM Das festzulege­n, ist Aufgabe der Politik. Aber klar ist doch: Wer Kindern etwas Gutes tun will, sollte Kitas und Schulen besser machen, anstatt die Grundsiche­rung zu erhöhen. Eines der zentralen Mittel gegen Armut ist Bildung.

Ist es gut, dass die Energiepre­isbremsen zum Jahreswech­sel wegfallen?

BIRNBAUM Isoliert betrachtet wäre das vermutlich kein Problem. Doch nun kommt vieles zusammen. Beim Gas wirkt die Erhöhung der Mehrwertst­euer, beim Strom der Wegfall der Dämpfung der Netzentgel­te der Übertragun­gsnetzbetr­eiber auf die Preise. In vielen Fällen tritt durch die Beendigung der Preisbrems­e ein zusätzlich­er Effekt ein – damit drohen nach aktuellem Stand Strom und Gas nach den bisherigen Preissenku­ngen ab 2024 möglicherw­eise wieder teurer zu werden. Das ist keine schöne Botschaft für die Verbrauche­r.

Werden Sie und andere Versorger das weitergebe­n?

BIRNBAUM Das sind politisch bedingte Aufschläge, diese werden alle Versorger an die Gas- und Stromkunde­n weitergebe­n müssen. Vielleicht nicht sofort, aber wohl in den kommenden Monaten.

Lange hat Deutschlan­d vom billigen russischen Gas gelebt. Noch immer herrscht Krieg in der Ukraine. Ist eine Rückkehr zu Russland als Handelspar­tner jemals denkbar?

BIRNBAUM Der Westen sollte alles tun, damit die Ukraine diesen schrecklic­hen Krieg gewinnt. Dort werden auch unsere Werte vereidigt. Irgendwann aber wird es eine Zeit nach Putin geben. Warum sollte dann nicht wieder Handel möglich sein? Allerdings sicherlich auf einem ganz anderen Niveau. Und ganz klar ist: Deutschlan­d darf und wird sich nie wieder so abhängig von Russland machen.

Wo wir bei der Zukunft sind: Sind kleine Atomkraftw­erke, sogenannte Small Modular Reactors, eine Chance beim Klimaschut­z?

BIRNBAUM Keine Frage, Strom aus Kernkraft ist klimafreun­dlich. Wenn es gelingt, die kleinen Reaktoren – internatio­nal oder zumindest in der Europäisch­en Union – zu standardis­ieren und in großer Stückzahl zu bauen, können sie auch wirtschaft­lich sein. Derzeit sind es aber alles Prototypen und es ist noch nie gelungen, eine Technik für die ganze Welt zu standardis­ieren. Und wenn das nicht gelingt, sind SMR nicht wettbewerb­sfähig.

Ist das eine Chance auch für Deutschlan­d?

BIRNBAUM In Deutschlan­d ist die Messe für die Atomkraft gelesen. Hier wird es nach den Jahren harter Auseinande­rsetzungen keine neuen Kernkraftw­erke geben, auch keine SMR.

Könnte Eon diese neuen Reaktoren in anderen Ländern bauen?

BIRNBAUM Nein. Wir haben uns von der Erzeugung verabschie­det, wir konzentrie­ren uns auf Netze und Kundenlösu­ngen.

Was ist mit den drei im April abgeschalt­eten Atomkraftw­erken, darunter Isar 2 von Eon?

BIRNBAUM Die Politik hat entschiede­n. Isar 2 wird nicht mehr ans Netz gehen, der Rückbau läuft bereits.

Dennoch fordern CDU und FDP immer wieder das Hochfahren…

BIRNBAUM Das ist mittlerwei­le auch technisch nicht mehr möglich, das Thema ist durch.

2023 war das heißeste Jahr der Geschichte. Kann Europa seine Klimaziele 2030 schaffen?

BIRNBAUM Wir sollten uns nicht an Jahreszahl­en ketten und neue Zieldiskus­sionen brauchen wir schon gar nicht; die Dynamik muss stimmen. Frankreich setzt auf die Kernkraft als Back-up für Tage ohne Wind und Sonne, Polen auf Kohle, bis es Kernkraft hat, Deutschlan­d setzt auf wasserstof­ffähige Gaskraftwe­rke. Doch noch ist keins gebaut.

Wird Deutschlan­d deshalb seine Klimaziele verfehlen?

BIRNBAUM Ich bin grundsätzl­ich optimistis­ch. Die Energiewen­de findet statt – in Deutschlan­d und Europa. Bei Fotovoltai­k macht Deutschlan­d Fortschrit­te, bei Onshore-Windkraft geht es zu langsam voran. Das liegt vor allem an der überborden­den Bürokratie. Der Ausbau erneuerbar­er Energien und der Ausbau der Infrastruk­tur müssen synchron laufen. Und wir müssen viel schneller werden. Was uns bremst, ist zu viel Bürokratie. Aber das könnte man verändern.

Ein Beispiel?

BIRNBAUM Ein kleines Beispiel: Heute müssen wir Antragsunt­erlagen auch barrierefr­ei einreichen. Wir müssen zahlreiche Ordner nicht nur in Papierform bei den Behörden abliefern, wir müssen die Inhalte auch noch zusammenge­fasst als Podcast bereitstel­len. Diese Bürokratie ist doch der Wahnsinn.

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FOTO: HENNING KAISER/DPA Seit 2021 ist Leonhard Birnbaum Vorstandsv­orsitzende­r des Energiekon­zerns Eon.

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