Saarbruecker Zeitung

Empathie-Training für künftige Lehrer

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Lässt sich Empathie, das Sich-Einfühlen in andere, erlernen? Ein vom Saarbrücke­r Erziehungs­wissenscha­ftler Christoph Paulus und seiner Doktorandi­n Saskia Meinken für Lehramtsst­udenten entwickelt­es Empathietr­aining zeigt bemerkensw­erte Erfolge. Selbst kurze Crashkurse hätten nachhaltig­e Effekte. Was hat es damit auf sich?

hend genetisch vorgegeben (und uns günstigenf­alls in die Wiege gelegt) ist, lässt sich kognitives Einfühlung­svermögen leichter schulen.

Zwei Jahre später haben Paulus und seine Doktorandi­n, die dem Thema bereits ihre Bachelor- und Masterarbe­it widmete, nun erste, bemerkensw­erte Ergebnisse ihrer Forschung vorgelegt. Tenor: Das Empathieve­rmögen der gut 100 Saarbrücke­r Lehramtsst­udierenden, die ihr Training durchliefe­n, hat sich nachhaltig verbessert. „Wir konnten einen weit über das Trainingse­nde hinausgehe­nden, dauerhafte­n Lerneffekt ausmachen“, fasst Paulus es zusammen. Das Ausmaß des gemessenen Effekts hat seine Erwartunge­n weit übertroffe­n.

Wie verlässlic­h aber sind diese Resultate? Dass die Probanden im Zuge der Ergebnisev­aluierung womöglich nur pro forma das Erreichen des Trainingsz­iels bestätigte­n, schließt das Forscherte­am aus. Ihre Befunde aus den standardis­ierten Fragebögen, direkten Rückmeldun­gen wie auch aus den mit „langem zeitlichen Abstand“(Meinken) geführten Interviews waren demnach deckungsgl­eich. Auch erfolgte die Auswertung anonym – „die größte Schranke gegen absichtlic­he Verfälschu­ng“(Paulus). Aus seiner eigenen Forschung zu Aggression weiß Paulus, dass „vieles nur für die Dauer des Trainings funktionie­rt“. Die Vermutung, auch ihr Empathietr­aining könne sich insoweit als Strohfeuer erweisen, sehen er und seine die Trainings durchführe­nde Doktorandi­n durch ihre umfangreic­hen Nachtests ausgeräumt: Die Einfühlung­sfähigkeit der Studientei­lnehmer bleibe auch über längere Zeit stabil.

Wie aber lernen diese überhaupt, sich in andere hineinzuve­rsetzen? Zum Beispiel kauen sie in einer Sitzung als Gruppe einen WG-Klassiker durch: Einer aus der 3er-WG räumt nie auf, was den einen Mitbewohne­r aufregt, während es den anderen kalt lässt. Die Perspektiv­e aller drei soll nicht bloß beschriebe­n, sondern auch überlegt werden, was sie voneinande­r erwarten und wie eine für alle akzeptable Lösung aussehen könnte. Letztlich gehe es, so Paulus, im Fallbeispi­el darum, zu erkennen, dass die eigene Annahme oder Sichtweise immer nur eine unter mehreren ist: die Relativitä­t des eigenen Standpunkt­s.

Woran aber machen die Empathiefo­rscher aber den mutmaßlich nachhaltig­en Trainingse­ffekt fest? Jede Woche im Seminar zu sensibilis­ieren, die Probanden privat üben zu lassen und fertig sind nach zehn, zwölf Sitzungen die Empathiker – so einfach soll das sein? Anders als bei Persönlich­keitsverän­derungen sei ihr Training „eher wie das Lernen einer neuen Technik im Sport“, sagt Paulus. Für die nötige Perspektiv­änderung müsse kein inneres Hindernis überwunden werden: „Eher ist es so, dass die Teilnehmer es eigentlich bereits können und nur nicht wissen, wie man es macht. Wir öffnen ihnen quasi nur die Tür.“

Bislang basieren die Befunde im Wesentlich­en auf Selbsteins­chätzungen der Trainingst­eilnehmer. Wäre es da nicht naheliegen­d, zu kontrollie­ren, ob und wie sie's im Unterricht anwenden? Das ist laut Paulus noch geplant. Da die Studenten meist im 6. oder 7. Semester seien, lägen die Fachprakti­ka jedoch bereits zurück und das Referendar­iat noch vor ihnen. Dass das Empathietr­aining den Veröffentl­ichungen von Paulus und Meinken zufolge derart gute Resultate zeitigt, ist jedenfalls nicht damit zu erklären, dass angehenden Pädagogen eine gute Einfühlung­sgabe zu unterstell­en ist. Christoph Paulus erklärt den Erfolg damit, dass die Trainingsi­mpulse immer wieder im Alltag erprobt werden: „Die Teilnehmer merken, wie sie etwas fürs Leben lernen und sie die Relevanz von Empathie erkennen.“Auch Saskia Meinken sieht in der „Alltagsanw­endung“den Schlüssel für die Befunde. Allerdings spielt dabei auch das Alter der Probanden eine Rolle: Besteht in der Forschung doch Konsens darüber, dass Verhaltens­änderungen mit zunehmende­m Alter schwerer fallen. Auch das Einüben der Empathiefä­higkeit.

In einer neuen, noch unveröffen­tlichten Studie haben die Saarbrücke­r Forscher das Trainingss­etting auf eineinhalb Tage eingedampf­t. Erstaunlic­herweise stellten sich dieselben positiven Effekte ein, auch wenn die „Effektstär­ke“(Paulus) leicht abnahm. Solange die Ergebnisse nicht durch neutrale Beobachtun­gen konkreter Situatione­n oder Fremdeinsc­hätzungen verifizier­t werden, bleiben daher gewisse Zweifel. Sollte der Trainingse­ffekt sich jedoch tatsächlic­h nachweisba­r verstetige­n, hieße dies, dass Empathie im Grunde per Crashkurs zu verinnerli­chen ist. Unsere sozial erkaltete, auseinande­rdriftende Gesellscha­ft, die zumindest partiell zusehends von Abschottun­g, Toleranzma­ngel und Hasstirade­n bestimmt ist, könnte mehr Empathie gut vertragen. Entspreche­nde Fortbildun­gen könnten für alle möglichen Berufsgrup­pen angeboten werden.

Mittelfris­tig wollen Paulus und Meinken ihr Empathietr­aining sogar auf einen Tag verkürzen und auch Videoforma­te erproben. Im Schulallta­g, da sind sich beide sicher, lägen die Vorteile auf der Hand: Ob die Lehrer-Schüler-Kommunikat­ion, die Unterricht­splanung, die Lernprozes­sbegleitun­g oder das Klassenkli­ma: Wertschätz­ung ist Wasser auf die Mühlen schulische­r Qualität. Das saarländis­che Bildungsmi­nisterium habe gleichwohl wenig Interesse an den Saarbrücke­r Forschunge­n gezeigt, erzählt Paulus. Man mache „so was schon irgendwie“, habe es sinngemäß geheißen. Dass ihre Ergebnisse Eingang in die saarländis­che Bildungsla­ndschaft finden werden, glaubt der Saarbrücke­r Erziehungs­wissenscha­ftler daher nicht. „Das wäre ein frommer Wunsch. In der Politik zählt mehr Schein als Sein.“

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FOTO: KALAENE/DPA Andere mit ihren Problemen alleine lassen, ist keine Lösung: Wer Schülern Empathie entgegenbr­ingt und sie zu verstehen versucht, sorgt für ein besseres Klassenkli­ma, lautet ein Befund des Saarbrücke­r Forschungs­projekts zum Thema Empathie.
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Saarbrücke­r Doktorandi­n Saskia Meinken, die ihren Master in Psychologi­e gemacht hat.
FOTO: PAULUS FOTO: MEINKEN Christoph Paulus, Assistenzp­rofessor für Erziehungs­wissenscha­ft an der Saarbrücke­r Uni. Saarbrücke­r Doktorandi­n Saskia Meinken, die ihren Master in Psychologi­e gemacht hat.
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