Wer warnte den Herzog vor den Franzosen?
Dem Hausherren von Schloss Karlsberg in Homburg, Karl II. August, gelang im Jahr 1793 in letzter Sekunde die Flucht vor Revolutionstruppen.
Fakt ist: In der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 1793 flüchtete Karl II. August, seines Zeichens Herr und Gebieter über das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken, samt Gemahlin Maria Amalie von Sachsen Hals über Kopf von Schloss Karlsberg in Homburg, um sich vor den herannahenden Truppen der Französischen Revolution in Sicherheit zu bringen. Dass deren Schlachtruf „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“keine leere Drohung war, sondern allenthalben in die Tat umgesetzt wurde, war längst auch bis auf das Homburger Schloss durchgedrungen. Mit dieser Parole verbreiteten die Sansculotten nachgerade bei den Adelshäusern Angst und Schrecken, denn schließlich ging es im wahrsten Sinn um Kopf und Kragen.
Während zu Beginn der Revolution Jakobinermütze und Freiheitsbaum zu den populären Symbolen der Freiheit schlechthin geworden waren, dominierten inzwischen Bilder des Terrors und Nachrichten über die Guillotine den Alltag. In Paris war das Fallbeil fließbandmäßig im Einsatz, und die Ereignisse rückten immer näher an den Karlsberg heran. Über den lothringisch-elsässischen Raum gelangte das Hinrichtungsinstrument, das nach dem Arzt und Revolutionär Joseph-Ignace Guillotin (1738-1814) benannt war, in die Gegend südlich von Pirmasens; das sogenannte „Hackmesser“kam dort ambulant im Einsatz. Während die Anhänger der Revolution unweit des Zweibrücker Herrschaftsgebietes den Anschluss an die Französische Republik forderten und sich vermeintlichen Feinden der Freiheit mittels fahrbarer Guillotine entledigten, wuchs auch auf dem Karlsberg die Besorgnis. Zwar war das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken bis dahin „von den Kriegsübeln“verschont geblieben, aber die Entwicklung in Frankreich wie auch die französischen Truppenaufmärsche wurden genau beobachtet. Und zudem: Maria Amalie von Sachsen, die Herzogin, war die Kusine des französischen Königs Ludwig XVI. Dieser war am 21. Januar 1793 auf der heutigen Place de la Concorde in Paris guillotiniert worden.
So nimmt es denn kaum Wunder, dass die Stimmung auf dem Karlsberg von Nervosität und Besorgnis geprägt war. Als dann noch die Meldung kam, dass die französische Moselarmee, 25 000 Soldaten stark, auf das Herrschaftsgebiet von Karl II. August in Bewegung gesetzt und dass am 6. Februar 1793 das Dorf Hassel – ein Besitztum des herzoglichen Ministers Ludwig von Esebeck (1741-1798) – geplündert worden war, wurde aus der allgemeinen Anspannung unweigerlich Panik. „Am 9. Februar rückten gegen 7000 französische Nationalgarden unter dem Befehle des Divisionsgenerals Destournelles gegen Zweibrücken vor. Noch an demselben Abende wurde der Herzog Karl [...] gewarnt, dass es auf seine Gefangennehmung abgesehen sei. Ohne Zögern ließ der Herzog seine Wagen bespannen und flüchtete sich nachts gegen elf Uhr mit seiner Gemahlin und einigen
Getreuen auf dunkelem Waldwege nach Kaiserslautern und von da weiter nach Mannheim. [...] Wenn derselbe sich nur noch zehn Minuten länger auf dem Karlsberge verweilt hätte, so wäre derselbe den Franzosen in die Hände gefallen. Außer einigem Silber und 80 Pferden hat er nichts mehr retten können“, schildert der pfälzische Geschichtsschreiber und katholische Pfarrer Franz Xaver Remling (1803-1873), wie knapp das Herrscherpaar Festnahme, Verschleppung und eventueller Hinrichtung entrinnen konnte.
Wer war es nun aber gewesen, der den Herzog vor den nahenden Revolutionstruppen gewarnt hatte? Dazu gibt es mindestens zwei Varianten einer Erklärung, die aber beide ihre „Schwachstellen“haben. Nach Remlings knapper Darstellung war es Nikolaus Pfeiffer von Rohrbach gewesen, der „dem Herzoge unter Gefahr seines Lebens die Nachricht vom Herannahen der Feinde“ überbracht hat. Dass dem mit hoher Wahrscheinlichkeit auch so gewesen ist, lässt sich daraus schließen, dass dem Rohrbacher Postillon im Nachgang für seinen riskanten Ritt zum Karlsberg und seine Botschaft eine stattliche Belohnung versprochen wurde. Demnach sollte der „Gemeindsmann Nikel Pfeiffer von Rohrbach, welcher in der Nacht vom 9. Februar 1793 mit Gefahr seines Lebens höchstgedacht Ihrer Durchlaucht von dem Einfall der Franzosen benachrichtiget und dadurch die Rettung dieser höchsten Person bewürkt hat“, mit einer stattlichen Pension in Höhe von 220 Gulden im Jahr und Abgabenfreiheit belohnt werden – und zwar lebenslang. Von dem Geld sah der Postillon freilich niemals auch nur einen Heller, weil die Tage von Karl II. August als Herzog ebenso bald gezählt wie auch das ganze Herzogtum nur noch Geschichte sein sollten.
Das Geschehen nachgezeichnet hat der Autor Eugen Motsch (19322003), der sich als versierter wie sozialkritischer Mundartdichter einen Namen gemacht hat und der auch am 1991 erschienenen Rohrbacher Heimatbuch mitgearbeitet hat. Bei seiner Schilderung beruft er sich auf familiäre Überlieferungen. Der „Pfeiffer Nickel“habe üblicherweise als „Postknecht“die regelmäßig verkehrende Kutsche nach Saarbrücken wie nach Homburg gefahren. Die Vorhut der französischen Revolutionäre, die von Spiesen her nach Rohrbach gelangt waren, „weiße Chasseurs à Cheval“, ließ ihre Pferde am dortigen Bleichgarten rasten. Derweil hielten sie Umschau nach einem Ortskundigen, der sie laut Motsch „auf Umwegen zum Karlsberg bringen sollte, wo sie erst nachts einzutreffen wünschten“. Der Postillon, der die Situation sofort erfasste, verkleidete sich kurzerhand als Bauer und eilte auf schnellstem Weg (den er als Kutscher bestens kannte) auf den Karlsberg. Da er dort bekannt war, wurde er rasch zu den Gemächern des Herzogs vorgelassen und konnte so seine Warnung vortragen. Zwei Monate später sei Pfeiffer auf dem Karlsberg von Karl II. August sogar persönlich empfangen worden. Das Schloss war zwar geplündert, aber noch nicht zerstört, und die Revolutionstruppen waren – zumindest vorübergehend – wieder vertrieben worden, sodass der Landesherr noch einmal zurückkehren konnte.
„Der Herzog habe ihm leutselig auf die Schulter geklopft und gesagt: Geh er nach Hause, für ihn wird gesorgt werden!“, schreibt Eugen Motsch. Das Schicksal meinte es aber nicht gut mit Pfeiffer: Nachdem die französischen Revolutionstruppen die Oberhand gewonnen und Schloss Karlsberg zerstört hatten, wurde nach ihm gesucht. Er führte nun ein unstetes Flüchtlingsdasein in steter Gefahr und Armut. Er starb, 39 Jahre alt, am 14. Mai 1796 in seinem Haus in Rohrbach. Die französische Verwaltung hatte kurz zuvor dem Gesuch seiner Ehefrau Gertrude Gehring stattgegeben, ihrem todkranken Mann die Rückkehr nach Hause zu gestatten. Er hinterließ fünf Kinder.
Gut 80 Jahre nach den Ereignissen und der völligen Zerstörung des Karlsbergs, 1872 genau, regte sich Widerspruch gegen diese Darstellung. Der Verfasser, der Anwalt und „Reichsrat“Ferdinand Louis Böcking (1811-1886) aus Landau berief sich dabei auf die hinterlassenen Familienpapiere seines Großvaters Johann Heinrich Böcking, der als „OberhofmarschallamtsSekretär“am herzoglichen Hof in Diensten stand und in der Orangerie auf Schloss Karlsberg wohnte. Demnach sei es ein französischer Offizier gewesen, der dem Herzog die Warnung vor den anrückenden Revolutionstruppen überbracht habe. Dieser Offizier sei 1788 mit dem Bruder des herzoglichen Sekretärs, Friedrich Böcking, auf dem Karlsberg zu Gast gewesen, wo sie freundliche Aufnahme und mehrfache Auszeichnungen genossen hätten. Sich dankbar an diese Zeit erinnernd, habe der nach wie vor in französischen Militärdiensten stehende Offizier „unter eigener Lebensgefahr dem Herzoge von Rohrbach aus jene Warnung zugehen lassen, welche denselben vor Gefangenschaft und möglicherweise vor dem Tode rettete“.
Dass Postillon Pfeiffer etwas mit der Rettung des Herrscherpaares zu tun haben könnte, bestreitet Böcking vehement. Es sei schließlich höchst unwahrscheinlich, dass ausgerechnet ein „einfacher Bauer“von den Absichten der Franzosen „Kenntniss erhalten“haben soll. Und zudem stellt er infrage, dass der Rohrbacher Gemeindsmann eine besondere persönliche Anhänglichkeit Karl II. August gegenüber besessen habe – Untertanen wie er seien „keineswegs von einer großen Begeisterung für denselben begeistert gewesen“. So steht denn Aussage gegen Aussage, und gut 230 Jahre nach der Zerstörung von Schloss Karlsberg bleibt es wohl ein ungelöstes Rätsel, wer denn dem Herzog die Warnung überbracht hat.