Saarbruecker Zeitung

Der Professor, der die 13 liebte, ist tot

Brasilien trauert um den legendären Mario Zagallo – den einzigen Mann, der seine Hand vier Mal am WM-Pokal hatte.

- VON THOMAS NOWAG

RIO DE JANEIRO (sid) Bei der Ur-Katastroph­e des brasiliani­schen Fußballs stand Mario Zagallo in der ersten Reihe. Er würde später einmal ein Magier werden, ein Charismati­ker und Professor, ein Mentor, eine stilprägen­de Ikone mit vier WM-Titeln – doch 1950 sah er als Militärpol­izist, wie seine Helden den verfluchte­n Pokal vor 200 000 Zuschauern Uruguay in den Schoß warfen. „Ich habe die Trauer und die Stille im Maracana nie vergessen“, erzählte er noch 70 Jahre später.

Nun ist Mario Jorge Lobo Zagallo im Alter von 92 Jahren gestorben. Brasilien trägt Trauer, den Älteren kommt es vor, als müssten sie Abschied von einem Lebensbegl­eiter nehmen. „Mit enormer Traurigkei­t verkünden wir den Tod unseres ewigen viermalige­n Weltmeiste­rs“, teilte die Familie mit: „Ein hingebungs­voller Vater, liebevolle­r Großvater, ein treuer Freund, glorreiche­r Profi und großartige­r Mensch.“

Um Zagallos Bedeutung zu erfassen, kann in Deutschlan­d nur der Vergleich mit Franz Beckenbaue­r gezogen werden, einem von drei Menschen, die als Spieler und Trainer Weltmeiste­r wurden – neben Zagallo selbst und Didier Deschamps. Der Ende 2022 verstorben­e Pélé, für den Zagallo „wie ein großer Bruder“war, hat einmal gesagt: „Von allem, was ich für Brasilien geleistet habe, gehören vielleicht 50 Prozent ihm.“

Als Pélés Stern 1958 aufging, war Zagallo 26 und stürmte über die linke Seite. „Ich war mitdenkend, clever“, sagte er in einer Dokumentat­ion zu seinem 90. Geburtstag, er tippte sich an die Stirn. Im WM-Finale gegen Schweden (5:2) erzielte er das vierte Tor, das fünfte legte er Pélé auf. Andere glänzen zu lassen, das war bei allem Talent seine Aufgabe. Er war Pélés Absicherun­g, derjenige, der auch nach hinten ackerte. So triumphier­te er 1958 mit dem krummbeini­gen Garrincha, Didi und Vava, er siegte 1962 in Chile an der Seite von Nilton Santos und

Amarildo. Pélé war verletzt.

Wo andere Karrieren geendet hätten, fand jene des Mario Zagallo eine jahrzehnte­lange Fortsetzun­g. Er wurde Trainer. „Grün und Gold“, die Farben Brasiliens, sagt er, „haben mich nie verlassen.“Die weiße Spielkleid­ung hatte die Seleção nach dem „Maracanazo“von 1950 abgelegt. Sie war befleckt.

Bei Botafogo empfahl Zagallo sich für das höchste Traineramt im Lande, er führte Brasilien zu einer Blüte, die die Welt begeistert­e. Die WM-Elf von 1970, mit Pélé, Jairzinho, Rivellino, Carlos Alberto, Clodoaldo, Tostao, sie spielte den wohl schönsten Fußball jemals. „Ich habe diese Mannschaft vollkommen verändert“, sagte Zagallo, er führte die Seleção aus dem alten 4-2-4-System in die Moderne: „Das wird immer in Erinnerung bleiben.“

„Grün und Gold haben mich nie verlassen.“Vierfach-Weltmeiste­r Mario Zagallo über die Trikotfarb­e der brasiliani­schen Fußball-Nationalma­nnschaft

1974 wurde Brasilien in Deutschlan­d Vierter, Zagallo räumte den Stuhl und, naja, er tingelte sich so durch. Er trainierte Kuwait, SaudiArabi­en und die Vereinigte­n Arabischen Emirate – und immer wieder Klubs aus Rio de Janeiro, dabei stammte er aus Maceio, mehrere Hundert Kilometer nördlich. Eigentlich, so sagt man ihm nach, habe er Pilot werden wollen: Aber seine Augen waren zu schlecht.

Das Auge und das Gefühl für den Fußball hat „O velho lobo“(„Der alte Wolf“) nie verloren. Er fuhr als Assistent von Carlos Alberto Parreira zur WM 1994. Er war furios, wenn er mit pochender Schlagader in die

Kamera brüllte und die Spiele bis zum Titel herunterzä­hlte. Brasilien siegte wieder – mit Romario, Bebeto und Ronaldo, der sagt: „Ich hatte viele Trainer, aber er war der größte.“

Im Museum der brasiliani­schen Nationalma­nnschaft steht Mario Zagallo als Wachsfigur, im blauen Trainingsa­nzug, die Hände in die

Hüften gestemmt. Der „Professor“saß bei der Enthüllung schon im Rollstuhl und hielt sein Trikot mit der legendären Nummer 13 hoch, von der er besessen war. Er heiratete an einem 13., er wohnte gerne im 13. Stock – und er liebte Sätze aus 13 Buchstaben. „Zagallo ist tot“: Dieser traurige Satz hat 13 Buchstaben.

 ?? FOTO: MULTHAUP/DPA ?? Mario Zagallo reckt 1994 als Assistenzt­rainer der brasiliani­schen Fußball-Nationalma­nnschaft den WM-Pokal in die Höhe. Die brasiliani­sche Fußball-Legende war an vier WM-Titeln beteiligt – das schaffte weltweit niemand sonst. Im Alter von 92 Jahren ist der „Professor“nun verstorben.
FOTO: MULTHAUP/DPA Mario Zagallo reckt 1994 als Assistenzt­rainer der brasiliani­schen Fußball-Nationalma­nnschaft den WM-Pokal in die Höhe. Die brasiliani­sche Fußball-Legende war an vier WM-Titeln beteiligt – das schaffte weltweit niemand sonst. Im Alter von 92 Jahren ist der „Professor“nun verstorben.

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