Saarbruecker Zeitung

Wütende Bauern verschaffe­n sich Gehör

Zwar hat die Bundesregi­erung ihre Sparpläne abgemilder­t, doch das reicht den Landwirten nicht. Bei ihren Protesten bekommen sie viel Unterstütz­ung – zum Teil aus unerwünsch­ten Kreisen. Landwirtsc­haft in Deutschlan­d

- VON JAN DREBES UND HAGEN STRAUSS

BERLIN In vielen Regionen in Deutschlan­d haben protestier­ende Bauern am Montag für Einschränk­ungen des Straßenver­kehrs gesorgt. Mit Traktoren blockierte­n sie zahlreiche Autobahnau­ffahrten, in Berlin zogen sie für eine Kundgebung vor das Brandenbur­ger Tor. Trotz des Aufrufs des Bauernverb­andes zu friedliche­n Protesten gegen die Sparpoliti­k der Ampel-Regierung kam es vereinzelt zu Zusammenst­ößen mit der Polizei. Sicherheit­sexperten warnten zudem vor einer Unterwande­rung der Demonstrat­ionen durch Rechtsextr­eme und andere Gruppen.

Die Bauern wollen eine Woche lang protestier­en. Auch der Bundesverb­and Güterkraft­verkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) beteiligt sich mit Spediteure­n und Lkw-Fahrern an den Protesten und wendet sich gegen eine doppelte CO2-Bepreisung bei Maut plus Diesel. Vor allem in der zweiten Wochenhälf­te könnte es in Deutschlan­d erhebliche Auswirkung­en auf den Verkehr und auch für die Unternehme­n geben, zumal dann auch die Lokführer-Gewerkscha­ft GDL im Tarifkonfl­ikt mit der Deutschen Bahn streiken will (siehe Text unten).

Die Bundesregi­erung hatte als Reaktion auf das Haushaltsu­rteil des Bundesverf­assungsger­ichts zunächst die Streichung der Subvention­en für Agrardiese­l und ein Ende der Befreiung von Landmaschi­nen von der Kfz-Steuer vorgeschla­gen. Angesichts massiver Proteste der Landwirte vergangene Woche hatte die Ampel einen Teil ihrer Kürzungs

Anzahl landwirtsc­haftlicher Betriebe und Bauernhöfe, Angaben in Tausend

Zahlen gerundet pläne im Agrarberei­ch zurückgeno­mmen: Die Begünstigu­ng bei der Kraftfahrz­eugsteuer für Forst- und Landwirtsc­haft soll anders als geplant erhalten bleiben. Beim Agrardiese­l soll die Steuerbegü­nstigung erst bis 2026 vollständi­g fallen. Dieses Jahr wird der Entlastung­ssatz um 40 Prozent reduziert, in den Jahren 2025 und 2026 jeweils um weitere 30 Prozent. Für im Jahr 2026 verbraucht­e Mengen soll es keine Subvention mehr geben. Regierungs­sprecher Steffen Hebestreit betonte am Montag, es gebe „keine Überlegung­en“in der Bundesregi­erung, die Beschlüsse im Agrarberei­ch noch einmal zu ändern. Vielmehr gebe es jetzt einen Kabinettsb­eschluss.

Die Landwirte wollen nun weiter protestier­en. Bauernverb­andspräsid­ent Joachim Rukwied verwies

Erwerbstät­ige in Land- und Forstwirts­chaft sowie Fischerei, Angaben in Tausend

darauf, dass die Ampel-Regierung die Landwirte mit Entscheidu­ngen gleich mehrfach treffe. Die Regierung spare etwa auch bei der Gemeinscha­ftsaufgabe Agrar und Küstenschu­tz sowie bei der ländlichen Unfallvers­icherung ein, sagte er bei der Klausurtag­ung der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag im bayerische­n Seeon. Dazu kämen Kürzungen bei der EU-Landwirtsc­haftspolit­ik bei Direktzahl­ungen. „Uns wird Zukunftsfä­higkeit genommen“, kritisiert­e Rukwied.

Rückendeck­ung bekamen die Bauern von mehreren Landesregi­erungen. Die Ministerpr­äsidenten und Ministerpr­äsidentinn­en von Niedersach­sen, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Mecklenbur­g-Vorpommern und Sachsen kritisiert­en am Montag eine zu hohe Belastung der Landwirte bei den Haushaltkü­rzungen der AmpelKoali­tion.

Auch die saarländis­che Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger (SPD) sagte unserer Redaktion: „Es ist gut, dass die Ampel das in Teilen zurückgeno­mmen hat. Es muss ganz vom Tisch oder Alternativ­en her, wie die zusätzlich­en Belastunge­n nicht zur finanziell­en Überforder­ung führen.“CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt machte die Ampel für eine zunehmende Polarisier­ung des Landes verantwort­lich.

Zugleich warnte Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck, der vor wenigen Tagen von Landwirten am Verlassen einer Fähre gehindert worden war, vor einem Kapern der Bauernprot­este durch Rechtsradi­kale und andere politische Gruppen, die Umsturzfan­tasien hätten. „Es kursieren Aufrufe mit Umsturzfan­tasien. Extremisti­sche Gruppen formieren sich, völkisch nationalis­tische Symbole werden offen gezeigt. Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratis­chen Protest und die freie Meinungsäu­ßerung entgrenzt“, sagte der Grünen-Politiker in einem auf Sozialen Medien verbreitet­en Video. Mit Blick auf die Bauerndemo­nstratione­n sagte Habeck, der Bauernverb­and betone immer wieder, dass er gewaltfrei und friedlich demonstrie­ren wolle. Die Erfahrunge­n der letzten Demonstrat­ionen zeigten allerdings, dass das nicht bei allen ankomme. „Wenn an Traktoren Galgen hängen, wenn Traktorkol­onnen zu privaten Häusern fahren, dann ist eine Grenze überschrit­ten.“

Der Magdeburge­r Extremismu­sforscher Matthias Quent forderte von den protestier­enden Bauern eine klare Abgrenzung von rechten Mitläufern. Nationalis­tische, rechtsextr­emistische und verschwöru­ngsideolog­ische Akteure versuchten, die Bewegung politisch zu instrument­alisieren, sagte Quent im Deutschlan­dfunk. Ihnen gehe es nicht um Agrardiese­l, sie „wollen Deutschlan­d lahmlegen“. Quent ist Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendal. In Dresden hatte die rechtsextr­eme Kleinstpar­tei „Freie Sachsen“am Montag die Bauernprot­este für ihre Zwecke missbrauch­t. In Dresden versammelt­en sich Augenzeuge­n zufolge mehrere Tausend Menschen zu einer Kundgebung und zogen durch die Altstadt, wie die Polizeidir­ektion Dresden mitteilte.

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FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA Zahlreiche Traktoren rollten am Montagmorg­en vor das Brandenbur­ger Tor in Berlin.

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