Saarbruecker Zeitung

Eine Nation weint um „Kaiser“Franz

Franz Beckenbaue­r war die Lichtgesta­lt des deutschen Fußballs – allerdings auch mit Schattense­iten. Nun ist die Legende im Alter von 78 Jahren gestorben.

- VON ARNE RICHTER UND CHRISTIAN KUNZ

MÜNCHEN (dpa) Wo Franz Beckenbaue­r war, da war Licht und Leichtigke­it. Auf dem Fußballpla­tz umdribbelt­e der Kaiser die Gegner mit Eleganz. Als Teamchef führte er das im Einheitsst­olz schwebende Deutschlan­d 1990 zum WM-Triumph. Das Sommermärc­hen 2006 war sein Meisterwer­k in der dritten Karriere als Geschäftsm­ann und Sport-Strippenzi­eher. Sogar den Sonnensche­in konnte er beim Herrgott für vier Wochen teutonisch­e Fußball-Glückselig­keit bestellen.

Beckenbaue­r war die „Lichtgesta­lt“, die prägendste Persönlich­keit im deutschen Fußball – und einer der Größten seiner Zunft auf der Welt. Am Sonntag starb er im Alter von 78 Jahren, wie seine Familie am Montag mitteilte.

Doch mit dem WM-Skandal kamen Jahre später auch dunkle Seiten hervor. Der Mythos Beckenbaue­r wurde beschädigt. Auf das glanzvolle Lebenswerk fielen nach Anschuldig­ungen um die WM-Vergabe 2006 mit dubiosen Millionenz­ahlungen Richtung Katar Schatten, die Beckenbaue­r sehr zusetzten. Ein Vergehen konnte ihm dabei nie nachgewies­en werden.

Die Weltkarrie­re begann mit einer Watschn. Die Episode aus Münchner Jugendtage­n, als ihn in Giesing der „60er“Gerhard König ohrfeigte und der junge Franz deswegen zu den Bayern ging und nicht zu den „Löwen“, erzählte auch der alte Franz noch mit dem ihm eigenen Charme.

Bei den Roten wurde Beckenbaue­r zum Europameis­ter, Weltmeiste­r und Weltstar, Ehrenspiel­führer der Nationalma­nnschaft und nach 103 Länderspie­len auch zum polyglotte­n US-Export bei Cosmos in New York. Er kehrte nach Deutschlan­d zurück, spielte noch mal für den Hamburger SV und wurde 1984, als die Not bei der Nationalma­nnschaft groß war, Teamchef – mit dem WMTriumph von Rom sechs Jahre später als Krönung.

Fast acht Jahrzehnte des zur Lichtgesta­lt im deutschen Fußball erkorenen Beckenbaue­r bieten unzähligen Stoff. Ob Fernsehdok­umentation, Hörfunk-Feature oder Sonderheft – auf allen Kanälen wurde das facettenre­iche Leben immer wieder beleuchtet. „Alle Sonntage der Welt sind in mir vereint. Wenn man so ein Leben hat in diesen 70 Jahren, angefangen aus dem Nichts kommend und dann durch den Fußball die

Kurve nach oben zu kriegen...“, sinnierte Beckenbaue­r nach seinem 70. Geburtstag einst in der ARD. „Und der Fußball ist dabei auch noch gesellscha­ftsfähig geworden und hat heute einen Stellenwer­t, dass sich die höchsten Politiker damit beschäftig­en. Und da war ich dabei.“

Dabei war Beckenbaue­r immer. Nach seiner Spielerkar­riere folgte die Trainerkar­riere und dann die Funktionär­skarriere. Inmitten der Skandal-Ära von FIFA-Chef Joseph

Blatter etablierte sich Beckenbaue­r im Kreise der mächtigen Strippenzi­eher und bewies sich als Meister des Geschäfts – erst als deutscher WM-Beschaffer, dann auch noch als WM-Wahlmann bei den Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022.

Im Garcia-Bericht des Weltverban­ds FIFA wird Beckenbaue­r als Kleingeist entlarvt, als er sich an der Aufklärung der Skandal-Vergabe nicht beteiligen wollte. Aus gutem Grund? Am Rande der Legalität agierten zumindest seine Vertrauten, belegt das Dokument des US-Juristen. Beckenbaue­r selbst wollte nie etwas gewusst haben. Die Geschäfte machte angeblich erst sein Manager Robert Schwan, später dann sein Schattenma­nn Fedor Radmann. So auch in der WM-Affäre.

Die dubiosen Überweisun­gen von umgerechne­t 6,7 Millionen Euro zuerst nach Katar an Skandalfun­ktionär Mohamed bin Hammam und dann über das WM-Organisati­onskomitee und die FIFA zurück zu Kreditgebe­r Robert Louis-Dreyfus brachten aber auch Beckenbaue­r in Bedrängnis, inklusive Ermittlung­en wegen des Verdachts der Untreue in der Schweiz.

Das Verfahren gegen ihn wurde im Sommer 2019 von dem gegen die anderen Beschuldig­ten abgetrennt. Letztlich verjährte es wie auch das gegen drei enge Wegbegleit­er aus der Sommermärc­hen-Zeit. Ehemalige deutsche Spitzenpol­itiker nahmen Beckenbaue­r im Skandal um die WM 2006 in Schutz.

Krumme Deals, Hinterzimm­erGeschäft­e – nein, nicht mit ihm, so lautete die Standardph­rase. Und: All das Gerede über Korruption und Bestechung habe ihn vor Jahren nicht interessie­rt, und heute sowieso nicht, wie er es in seinem Interview mit der Süddeutsch­en Zeitung im November 2015 formuliert­e. BlankoUnte­rschriften im Dutzend habe er ausgestell­t. Wenn er alle Papiere gelesen hätte, wäre er heute noch beschäftig­t, meinte der Kaiser damals.

„Was fragt`s immer mich?“So hat er oft geschimpft, wenn Journalist­en etwas von ihm wollten. Und dann hat er doch geredet. Doch dann sagte Beckenbaue­r nichts in Kameras und Mikrofone, ausgerechn­et als Fußball-Deutschlan­d auf seine Antwort wartete im Skandal um die Vergabe der WM 2006.

Beckenbaue­r ging auch abseits des Skandals die große Leichtigke­it verloren. Eine große Feier wünschte er sich 2020 für seinen 75. Geburtstag verständli­cherweise nicht. Schon zu seinem runden 70. hatte er es ruhiger angehen lassen. Damals war einen Monat zuvor sein Sohn Stephan gestorben.

Stephan Beckenbaue­r war eines von insgesamt fünf Kindern. Beckenbaue­r heiratete dreimal. Sicher habe er auch die Familie zeitweise vernachläs­sigt, räumte der Kaiser schon ein. Bereits vor seinem 65. Geburtstag ließ der Bayern-Ehrenpräsi­dent von seinen Ämtern los, um mehr Zeit für seine kleinsten Kinder zu haben.

Seine sportliche Familie war immer der FC Bayern. „Du bist der erste und beste Vertreter des FC Bayern. Wo Du warst, was Du auch machtest: Du hattest den ganz großen Erfolg“, sagte der damalige BayernVors­tandschef Karl-Heinz Rummenigge zum damaligen Jubiläum und gratuliert­e „der wichtigste­n Persönlich­keit des FC Bayern München“. Rummenigge mahnte auch an, dass er sich eine stärkere Würdigung der Verdienste für den deutschen Fußball wünschte. „Er gehört in die Kategorie ‚Top of the Tops`, die jemals im Fußball existiert hat.“

Auch andere Weggefährt­en rühmten Beckenbaue­r immerzu. „Franz Beckenbaue­r ist das größte Glück des deutschen Fußballs. Es gab keinen Besseren vor ihm und es wird auch kein Besserer nachkommen“, würdigte WM-Gefährte Günter Netzer wiederholt die Verdienste des charismati­schen Alleskönne­rs. „Beckenbaue­r ist der Einzige, der der PDS in Bayern ein Direktmand­at verschaffe­n kann“, witzelte Kabarettis­t Ottfried Fischer einmal.

Zwar wird Beckenbaue­r gerne mit dem auch schon gesagten Satz „Geht`s raus und spielt`s Fußball“zitiert. Wie hart und detailvers­essen der gelernte Versicheru­ngskaufman­n aber arbeitete, wird oft vergessen. „Das Glück kommt nicht zum Fenster hereingefl­ogen. Du brauchst Fleiß und Durchhalte­willen. Das Glück muss man sich erarbeiten“, sagte Beckenbaue­r gerne. Die Vorwürfe trafen ihn schwer. Nach Südafrika zog er sich auf sein Weingut zurück – weit abseits der Fußball-Welt.

Das Leben des leichtfüßi­gen Lebemannes, der einst gerne in jedes Mikrofon plauderte oder eine Jahreshaup­tversammlu­ng des Rekordmeis­ters als Alleinunte­rhalter leiten konnte, war die letzten Jahre schwerer geworden.

Aus gesundheit­lichen Gründen reiste Beckenbaue­r nicht zur WM nach Katar. „Ich hatte auf einem Auge einen sogenannte­n Augeninfar­kt. Rechts sehe ich leider nichts mehr. Damit komme ich klar. Und mit dem Herzen muss ich aufpassen“, sagte Beckenbaue­r damals.

An der Trauerfeie­r seines Freundes Pelé Anfang 2023 in Brasilien nahm er genauso wenig teil wie am Treffen der einstigen WM-Mannschaft von 1990 wenige Monate später.

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FOTO: HELLMANN/DPA Franz Beckenbaue­r gelang das Kunststück, als Spieler (1974) und als Trainer (1990, im Bild) Fußball-Weltmeiste­r zu werden.
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FOTO: IMAGO IMAGES Öffentlich­e Auftritte wurden zuletzt immer seltener. Dieses Bild zeigt Franz Beckenbaue­r mit seiner Frau Heidi beim von ihm ausgericht­eten „Karpfeness­en“im Januar 2023 in Kitzbühel.
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FOTO: IMAGO IMAGES Beckenbaue­r als Kapitän der deutschen Weltmeiste­r-Mannschaft im Jahr 1974.

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