Der eigentliche Kandidat der Wahl heißt Erdogan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will seinen politischen Widersacher Ekrem Imamoglu bereits bei den Kommunalwahlen bezwingen.
ISTANBUL Recep Tayyip Erdogan mischt in jedem türkischen Wahlkampf mit – auch wenn er selbst nicht kandidiert. Der 69-Jährige stellte jetzt die Kandidaten seiner Partei AKP für die Kommunalwahl am 31. März vor und machte klar, dass er besonders den Kampf um die 16-Millionen-Metropole Istanbul selbst führen will. Denn in Istanbul regiert seit 2019 der Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu, der bei der nächsten Präsidentenwahl 2028 gegen Erdogan antreten will. Erdogan will das verhindern, indem er Imamoglu im März in Istanbul besiegt.
Als AKP-Bewerber für das Bürgermeisteramt in Istanbul schickt Erdogan seinen ehemaligen Bauminister Murat Kurum ins Rennen, der mit einer Bau-Amnestie tausende abrissreife Gebäude legalisierte und von Kritikern für den Tod von zehntausenden Menschen bei dem Beben im Februar mitverantwortlich gemacht wird. Allein im Erdbebengebiet habe Kurum mit seiner Amnestie fast 300 000 illegale Gebäude für bewohnbar erklärt, kommentierte der Journalist Murat Agirel von der Oppositionszeitung Cumhuriyet. Nach Bekanntgabe seiner Kandidatur kündigte Kurum an, er werde sich als Bürgermeister für mehr Erdbebensicherheit in Istanbul einsetzen.
Kurum stammt aus Ankara und hat erst seit der Parlamentswahl vom Mai eine politische Basis in Istanbul; er sitzt seitdem für einen Wahlkreis am Bosporus im türkischen Parlament. Selbst regierungsnahe Medien bezweifeln, dass er die AKP-Parteibasis und die Wähler in Istanbul für sich begeistern kann. Doch für Erdogan gibt es nach Ansicht von Beobachtern wichtigere Kriterien. Der Journalist und AKP-Kenner Rusen Cakir sagte im Internet-Fernsehkanal Medyascope, Erdogan haben Kurum zum Kandidaten gemacht, weil der Ex-Minister mit 47 Jahren relativ jung sei; Imamoglu ist 52 Jahre alt. Zudem sei Kurum ein Technokrat, der Erdogan gegenüber loyaler sei als andere mögliche AKP-Kandidaten, die eigene politische Ziele verfolgten. Erdogan wolle die Lücke, die durch Kurums politische Schwäche entstehe, selbst ausfüllen, sagte Cakir.
Erdogans Rede bei der Präsentation von Kurum und 25 weiteren AKP-Kandidaten für die März-Wahl gab einen Vorgeschmack darauf. Der Präsident lobte seine eigene Zeit als Istanbuler Bürgermeister von 1994 bis 1998 als „legendär“und „vorbildlich“. Ohne Imamoglu beim Namen zu nennen, sagte Erdogan, Istanbul werde derzeit von einem „TeilzeitBürgermeister“regiert; die AKP wirft Imamoglu vor, er sei bei Unwettern und anderen Krisen in der Stadt häufig im Urlaub oder im Ausland.
Imamoglu hatte vor fünf Jahren die von Erdogan begonnene 25-jährige Ära islamisch-konservativer Bürgermeister in Istanbul beendet. Damals versuchte Erdogan vergeblich, den Sieg des Oppositionspolitikers durch Druck auf die Wahlbehörde und eine Wahlwiederholung zu verhindern. Auch diesmal ist das Istanbuler Rennen das mit Abstand wichtigste bei der Kommunalwahl im März. „Istanbul ersteht wieder auf“, lautet der AKP-Wahlslogan. Im März solle das „Interregnum“von Imamoglu durch einen Sieg der AKP enden, sagte Erdogan. Istanbul könne sich nicht leisten, noch einmal fünf Jahre zu vergeuden.
Derzeit liegt Imamoglu in den Umfragen klar vor Kurum. In einer Erhebung des Instituts Metropoll im Dezember kam Imamoglu im Direktvergleich gegen Kurum auf 48 zu 34 Prozent. Erdogan betrachtet Imamoglu als gefährlichen Gegner; die regierungstreue Justiz hat mehrere Verfahren eröffnet, die mit einem Politikverbot für den Bürgermeister enden könnten. Imamoglu von der Justiz aus dem Spiel nehmen zu lassen, wäre für Erdogan riskant, weil ein Ersatzkandidat der Opposition dann voraussichtlich von einem großen Solidarisierungseffekt profitieren könnte.
Als AKP-Bewerber für das Bürgermeisteramt in Istanbul schickt Erdogan seinen ehemaligen Bauminister Murat Kurum ins Rennen.