„Konsequent gegen Konzerne vorgehen“
Der Kartellamtschef spricht über Marktmacht im Netz und warum niemand für den Schutz seiner Daten zahlen sollte.
BONN Kartellamtschef Andreas Mundt befürchtet, dass Google, Amazon oder Microsoft durch künstliche Intelligenz ihre Marktmacht ausbauen. Gefährlich seien datengetriebene Netzwerke, sagt er im SZ-Interview.
Herr Mundt, 2019 verhängte das Kartellamt Bußgelder in Höhe von 358 Millionen Euro, 2022 waren es nur 24 Millionen Euro. Wie war 2023?
MUNDT Wir haben ein Kartellverfahren gegen Anbieter von Industriebauleistungen mit Bußgeldern von insgesamt 4,8 Millionen Euro abgeschlossen und aus vorherigen Verfahren in diesem Jahr rund 74 Millionen Euro vereinnahmt. Die Pandemie hatte unsere Ermittlungen erschwert. Aber diese Delle ist überwunden. Wir haben große laufende Verfahren und viele neue Hinweise auf Verstöße.
Wie viel bringt die neue Möglichkeit, die Identität von Hinweisgebern auf Dauer geheim zu halten?
MUNDTWir hatten schon immer viele anonyme Hinweise auf verbotene Absprachen. Darunter auch solche, die zu erfolgreichen Verfahren geführt haben. Seit Juli haben wir bei uns eine Meldestelle nach dem neuen Hinweisgeberschutzgesetz eingerichtet. Mit Hilfe dieses Instruments sind Informanten jetzt noch besser vor Offenlegung und Repressalien geschützt. Das befördert natürlich die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei dem einen oder anderen Insider.
Machen es Homeoffice und Smartphone schwerer, Beweise zu finden?
MUNDT Ja, durchaus. Früher gingen wir ins Vorstandsbüro oder zur Vertriebsleitung und fanden dort relevante Unterlagen in Aktenordnern oder E-Mail-Postfächern. Heutzutage laufen manche Absprachen über verschlüsselte Kommunikation über Messenger-Plattformen, bei denen wir dann den Zugang zu den Smartphones durchsetzen müssen. Man muss aber auch sagen, dass uns die Digitalisierung die Arbeit auch an der einen oder anderen Stelle erleichtert.
Bekannt ist das Kartellamt für den Schritt, dem Meta-Konzern zu verbieten, Facebook-Daten auch mit Daten von anderen seiner Dienste wie Instagram zu verknüpfen. Jetzt fordert Facebook einfach zehn Euro im Monat von Kunden, falls diese das breite Ausschlachten der Daten ausschließen wollen. Ist das aus Ihrer Sicht gut oder schlecht?
MUNDT Unsere Facebook-Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof bestätigt. Es ist spätestens seitdem klar, dass die Macht über Daten eine Bedeutung für die wettbewerbliche Position eines Unternehmens hat. Wir verhandeln jetzt mit Facebook über die Art und Weise der Umsetzung des Beschlusses. Auch über die Bezahllösung stehen wir im Austausch mit anderen Behörden, wie vor allem den Datenschützern. Ich gehe davon aus, dass sich die EUKommission dieses neue Modell genau anschauen wird. Das Ergebnis kann meines Erachtens jedenfalls nicht dazu führen, dass man Geld dafür bezahlen muss, dass der Datenschutz beachtet wird.
Sie haben für Amazon, Apple sowie die Mutterkonzerne von Facebook und Google eine jeweils „überragende marktübergreifende Bedeutung“festgestellt, was Ihnen erlaubt, wettbewerbswidrige Praktiken zu verbieten. Werden diese Konzerne nun zerschlagen?
MUNDT Nein, so weitgehende Schritte sind aktuell von uns nicht zu erwarten. Aber wir gehen konsequenter gegen möglichen Missbrauch von Marktmacht vor: Wir haben dafür gesorgt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher jetzt bessere Kontrollmöglichkeiten über ihre Daten bei Google-Diensten oder bei der Nutzung von Metas VR-Brillen haben. Die bisherige Zwangsbündelung verschiedener Google-Dienste bei Auto-Infotainment-Systemen wollen wir zugunsten anderer Anbieter aufbrechen. Google hat hier bereits erste Änderungsvorschläge gemacht. Weitere wichtige Verfahren laufen gegen die genannten Unternehmen.
Wo streiten Sie sich mit Amazon?
MUNDT Mehr als die Hälfte des deutschen E-Commerce wird über
Amazon abgewickelt. Die Macht des Konzerns ist gigantisch in seiner Doppelfunktion als eigenständiger Händler und gleichzeitig Betreiber des Amazon-Marketplace, auf den ja viele Händler angewiesen sind. Wir überprüfen nun, ob Amazon die Preise von Händlern auf dem Marketplace überwacht und beeinflusst. Außerdem wollen wir wissen, ob Händler durch spezielle Vereinbarungen von Amazon mit Herstellern von Markenprodukten benachteiligt werden.
Welche Sorgen bereitet Ihnen künstliche Intelligenz, kurz: KI?
VMUNDT KI bringt faszinierende Möglichkeiten, sie erlaubt aber auch ganz neue Manipulationen. Es gibt zum Beispiel viele Klagen, wie stark der Wahlkampf in Indien mit gefälschten Videos, sogenannten Deep Fakes, manipuliert wird. Die großen Digitalkonzerne werden KI voraussichtlich nutzen, um ihre Marktmacht noch weiter auszudehnen. Sie haben gigantische Datensätze mit Bezug zu Milliarden Menschen, sie haben riesige Finanzreserven, um Projekte voranzutreiben, sie haben die entsprechenden Serverkapazitäten. Dies alles bedeutet, dass datengetriebene Netzwerkeffekte weiter zunehmen können. Wir müssen da wachsam sein.
Was machen Sie, falls KI-Systeme künftig Preise absprechen, ohne dass Menschen beteiligt sind?
MUNDT Kartelle durch Algorithmen sind bereits Realität. Im bekannten Poster-Fall in Großbritannien waren die Algorithmen so programmiert, dass sie den Preis des Wettbewerbers, mit dem eine Absprache bestand, nicht unterboten haben. Für uns ist dabei jedenfalls klar, dass die Unternehmen für das Handeln ihrer Computersysteme einzustehen haben. Die Unternehmen bleiben für ihre Algorithmen verantwortlich, auch wenn diese sich zu KI weiterentwickeln.
Im Auftrag der Bundesregierung untersuchen Sie, ob Energieanbieter die Preise missbräuchlich zu hoch ansetzen – im Wissen, dass die Kunden auf 80 Prozent ihres Verbrauchs sowieso nur maximal 40 Cent pro Kilowattstunde bei Strom oder zwölf Cent pro Kilowattstunde Gas bezahlen müssen. Was geschieht nun?
MUNDT Zur Erläuterung: Die Energieversorger sind durch die Energiepreisbremse nicht gehindert, einen höheren Preis abzurechnen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen aber maximal den gedeckelten Preis zahlen. Die Differenz können sich die Unternehmen vom Staat erstatten lassen. Unsere Aufgabe ist es, zu kontrollieren, ob die Anträge auf Ausgleichszahlungen zu Recht gestellt wurden oder ob die Preise niedriger hätten sein können. Wir müssen uns also wie ein Wirtschaftsprüfer intensiv mit den Kosten, vor allem den Beschaffungskosten auseinandersetzen. Bisher haben wir Prüfverfahren gegen 57 Versorger aus den drei Energiebereichen Gas, Wärme und Strom eingeleitet. Wir haben auffällige Sachverhalte wie Ausreißer beim Arbeitspreis herausgegriffen und erfassen damit einen beachtlichen Anteil der bislang beantragten Gelder. Die Schlussrechnungen werden aber erst im Frühjahr gestellt. Die Versorger haben nun also Gelegenheit noch einmal nachzurechnen. Wenn sich am Ende aber herausstellt, dass ein Missbrauch der staatlichen Entlastung vorliegt, werden wir dies mit Sanktionen belegen und Rückzahlungen an den Bund anordnen.
Was raten Sie Verbrauchern?
MUNDT Ich kann nur sagen: Wechseln, wechseln, wechseln bei einem teuren Strom- oder Gastarif. Man spart dadurch viel Geld und erhöht gleichsam den Druck auf die Anbieter. Gerade die Grundversorgungstarife sind häufig sehr teuer, aber im Markt lassen sich inzwischen wieder viele günstige Angebote finden.
Sie beklagen immer wieder die Macht der großen Lebensmittelhandelskonzerne Edeka, Rewe, Aldi und Schwarz mit den Lidl-Märkten. Warum erlauben Sie dann, dass Rewe 15 Real-Märkte übernimmt?
MUNDT Der Verkauf von ursprünglich 270 Real-Standorten beschäftigt uns seit Jahren. Auf dem Reißbrett würde man sich wünschen, dass ein neuer Wettbewerber in den Markt eintritt. Aber was machen sie, wenn der nicht existiert und die Schließung der Standorte als Alternative droht? Wegen der hohen Marktkonzentration haben wir darauf gedrängt, dass eine ganze Reihe der Filialen an mittelständische Handelsunternehmen und gerade nicht an einen der großen Vier verkauft werden musste. Darüber hinaus haben wir auch zahlreiche Übernahmewünsche abgelehnt. In anderen Fällen sind wir hingegen zu dem Ergebnis gekommen, dass auch nach einer Übernahme noch eine hinreichende Auswahl für die Verbraucherinnen und Verbraucher vor Ort bestehen wird, da auch andere Anbieter in der Nähe vertreten sind.