Saarbruecker Zeitung

Wie ein Schmelzer einen Schockanru­fer reingelegt hat

- VON MICHAEL KIPP Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein Manuel Görtz

SAARLOUIS Die Stimme? Nein, auf die habe er zunächst gar nicht geachtet, erklärt Claus B. im Zeugenstan­d des Saarlouise­r Amtsgerich­tes am Montag. Zumal sich die Stimme seiner vermeintli­chen Tochter am Telefon förmlich überschlag­en habe. Es sei nur ein „hysterisch­es Geschrei“zu verstehen gewesen, erinnert sich der 74-Jährige an das Telefonat am 20. Juli 2023. Als morgens um neun Uhr das Festnetz-Telefon klingelt, sitzt er mit seiner Frau Anita am Frühstücks­tisch. Claus B. hebt ab – und das „Bauernspie­l“beginnt, wie seine Frau Anita die folgenden zwei Stunden nennt. Der Grundplot: Ihre Tochter habe eine 28-jährige, schwangere Frau auf einem Zebrastrei­fen überfahren; Kind und Frau seien tot. Das schreit die vermeintli­che „Tochter“ihrem „Vater“ins Ohr.

Claus B. ist 74 Jahre alt, der promoviert­e und pensionier­te Apotheker zweifelt. Nicht wegen der Stimme. Nein, die kann er aufgrund der Lautstärke kaum einschätze­n, aber selbst auf solch eine Tragödie würde seine Tochter nicht so hysterisch reagieren, sagt er. „Das ist nicht ihre Art.“

Er zweifelt am Telefon immer mehr, erst recht, als „seine Tochter“den Hörer einer „Polizistin“reicht. Claus B. erklärt der Frau, dass seine Tochter Charlotte heiße – die „Polizistin“am Telefon bestätigt das. Ab da ist sich Claus B. ganz sicher: Das ist ein Betrugsanr­uf. Denn: Seine Tochter heißt Anne.

Das saarländis­che Innenminis­terium fährt bereits seit März 2023 die Kampagne „Enkeltrick & Co. – Nicht mit uns“, gibt darin Tipps zum Erkennen, zum Schutz und zur Abwehr. Zwar seien nur fünf Prozent solcher Anrufe aus Sicht der Täter erfolgreic­h, dennoch ist der Schaden groß: 2022 ergaunerte­n die Anrufer allein im Saarland 1,8 Millionen Euro. Im vergangene­n Juni stand der Schadenssu­mmenzähler für das Jahr 2023 bereits auf 1,3Millionen Euro, eine Zahl für das ganze Jahr liegt noch nicht vor. Wobei es sicherlich noch unbekannte Fälle gibt. Opfer schämen sich oft – und schweigen.

Claus B. und seine Familie gehören nicht zu denen, die auf die Schadenssu­mme eingezahlt haben. Auch weil „die Geschichte immer kruder wird“, erinnert sich Claus B. ans weitere Telefonat. Die „Polizistin“erklärt dem Vater, „in gutem Deutsch, mit leichter Akkustativ-Dativ-Schwäche“, dass die Tochter gegen 200 000 Euro Kaution raus könne: „Völlig unglaubwür­dig“, sagt Claus B., der dennoch zum Schein darauf eingeht: „Ich sagte ihr, dass ich keine 200 000 Euro habe.“Die Frau erklärt daraufhin, dass auch Schmuck als Anzahlung ginge. Claus B. willigt ein, erzählt der Frau von Schmuckstü­cken, die es nicht gibt. Die „Polizistin“klärt parallel mit „der Staatsanwa­ltschaft“, auch sie habe nichts gegen Schmuck als Anzahlung. Im Gegenteil, das gehe jetzt auch schnell: Sie werde „einen Herrn Braun vom Amtsgerich­t Lebach vorbeischi­cken“. Der werde den Schmuck einsammeln, erinnert sich Claus B.. Bis dahin könne sie noch mit ihm telefonier­en.

„Die haben mich nicht aus der Leitung gelassen. Damit wir niemandem Bescheid geben können“, vermutet Claus B., der sich folgende Ausrede einfallen lässt: „Ich habe ihr gesagt, wenn ich nervös bin, dass ich da öfters zur Toilette müsse, daher habe ich ihr meine Frau an den Hörer gegeben, bin ins Bad und habe dort mit dem Handy die Polizei alarmiert.“Die kommt sofort – und trifft nur kurz vorm „Abholer“ein, wie die Kriminalbe­amten im Zeugenstan­d den Angeklagte­n nennen.

Die Zeit war so knapp, dass die zwei Beamtinnen keine Verstärkun­g mehr rufen können. Die Mutter packt derweil Modeschmuc­k in einen Sack, kurz darauf klingelt der Abholer, Dariusz K., ein 59-jähriger Pole aus Stettin, der mit Maske und Mütze ausschaut „wie Heinz Becker“, erinnert sich Brill an das Ende des „Bauernspie­ls“. Er habe Dariusz K. an der Tür noch gefragt, ob er der „Herr Braun vom Amtsgerich­t“sei. Das habe dieser bejaht. Die Beamtinnen stürmen aus dem Haus und nehmen ihn fest: Widerstand­slos.

Vor Gericht gesteht Dariusz K., er wusste, dass da was nicht sauber sei, er dachte allerdings, es gehe um einen nicht legalen Gold- und Schmuckhan­del – und nicht um einen Enkeltrick. Die, die ihn als „Kurier“engagiert hätten, hätten nichts von Schockanru­fen erzählt. Darius K. nennt Namen vor Gericht, erhofft sich so Strafmilde­rung. Die Polizei überprüft die Namen.

Zuvor habe er nur eine Kurierfahr­t für die Auftraggeb­er durchgefüh­rt, sagt Dariusz K.. Die sei erfolgreic­h gewesen, eine ältere Dame aus Zinsdorf (Bayern) überreicht­e ihm am 11.

Juli vergangene­n Jahres 8000 Euro und wertvollen Schmuck, ließ sich die Übergabe von Dariusz damals sogar quittieren. Eine Schriftpro­be überführt ihn. Vor Gericht sagt er, er habe für die erste Fahrt 150 Euro bekommen. Auch will er kein Mitglied einer Bande gewesen sein. Angeklagt hat ihn die Staatsanwa­ltschaft wegen banden- und gewerbsmäß­igen Betruges.

Ein Polizist erklärt im Zeugenstan­d, dass es sich bei der Enkeltrick­Masche um „organisier­te Kriminalit­ät in Reinkultur“handele. Meist agierten die Banden aus Polen heraus. Nahezu weltweit suchen sie sich ihre Opfer. Teil der Banden sind Abholer, wie Dariusz K. vielleicht einer ist. Sie bekommen im Schnitt 500 bis 1000 Euro pro erfolgreic­her Fahrt, so der Polizist. Bei der Anheuerung zum Job bekämen sie etwa „2000 Euro – und Handys“. Der Prozess wird am 22. Januar fortgesetz­t.

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FOTO: MICHAEL KIPP Der Angeklagte Darius K. (rechts) wusste angeblich nicht, dass es um Enkeltrick­s ging. Links sein Anwalt Thomas Will.

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