Wie ein Schmelzer einen Schockanrufer reingelegt hat
SAARLOUIS Die Stimme? Nein, auf die habe er zunächst gar nicht geachtet, erklärt Claus B. im Zeugenstand des Saarlouiser Amtsgerichtes am Montag. Zumal sich die Stimme seiner vermeintlichen Tochter am Telefon förmlich überschlagen habe. Es sei nur ein „hysterisches Geschrei“zu verstehen gewesen, erinnert sich der 74-Jährige an das Telefonat am 20. Juli 2023. Als morgens um neun Uhr das Festnetz-Telefon klingelt, sitzt er mit seiner Frau Anita am Frühstückstisch. Claus B. hebt ab – und das „Bauernspiel“beginnt, wie seine Frau Anita die folgenden zwei Stunden nennt. Der Grundplot: Ihre Tochter habe eine 28-jährige, schwangere Frau auf einem Zebrastreifen überfahren; Kind und Frau seien tot. Das schreit die vermeintliche „Tochter“ihrem „Vater“ins Ohr.
Claus B. ist 74 Jahre alt, der promovierte und pensionierte Apotheker zweifelt. Nicht wegen der Stimme. Nein, die kann er aufgrund der Lautstärke kaum einschätzen, aber selbst auf solch eine Tragödie würde seine Tochter nicht so hysterisch reagieren, sagt er. „Das ist nicht ihre Art.“
Er zweifelt am Telefon immer mehr, erst recht, als „seine Tochter“den Hörer einer „Polizistin“reicht. Claus B. erklärt der Frau, dass seine Tochter Charlotte heiße – die „Polizistin“am Telefon bestätigt das. Ab da ist sich Claus B. ganz sicher: Das ist ein Betrugsanruf. Denn: Seine Tochter heißt Anne.
Das saarländische Innenministerium fährt bereits seit März 2023 die Kampagne „Enkeltrick & Co. – Nicht mit uns“, gibt darin Tipps zum Erkennen, zum Schutz und zur Abwehr. Zwar seien nur fünf Prozent solcher Anrufe aus Sicht der Täter erfolgreich, dennoch ist der Schaden groß: 2022 ergaunerten die Anrufer allein im Saarland 1,8 Millionen Euro. Im vergangenen Juni stand der Schadenssummenzähler für das Jahr 2023 bereits auf 1,3Millionen Euro, eine Zahl für das ganze Jahr liegt noch nicht vor. Wobei es sicherlich noch unbekannte Fälle gibt. Opfer schämen sich oft – und schweigen.
Claus B. und seine Familie gehören nicht zu denen, die auf die Schadenssumme eingezahlt haben. Auch weil „die Geschichte immer kruder wird“, erinnert sich Claus B. ans weitere Telefonat. Die „Polizistin“erklärt dem Vater, „in gutem Deutsch, mit leichter Akkustativ-Dativ-Schwäche“, dass die Tochter gegen 200 000 Euro Kaution raus könne: „Völlig unglaubwürdig“, sagt Claus B., der dennoch zum Schein darauf eingeht: „Ich sagte ihr, dass ich keine 200 000 Euro habe.“Die Frau erklärt daraufhin, dass auch Schmuck als Anzahlung ginge. Claus B. willigt ein, erzählt der Frau von Schmuckstücken, die es nicht gibt. Die „Polizistin“klärt parallel mit „der Staatsanwaltschaft“, auch sie habe nichts gegen Schmuck als Anzahlung. Im Gegenteil, das gehe jetzt auch schnell: Sie werde „einen Herrn Braun vom Amtsgericht Lebach vorbeischicken“. Der werde den Schmuck einsammeln, erinnert sich Claus B.. Bis dahin könne sie noch mit ihm telefonieren.
„Die haben mich nicht aus der Leitung gelassen. Damit wir niemandem Bescheid geben können“, vermutet Claus B., der sich folgende Ausrede einfallen lässt: „Ich habe ihr gesagt, wenn ich nervös bin, dass ich da öfters zur Toilette müsse, daher habe ich ihr meine Frau an den Hörer gegeben, bin ins Bad und habe dort mit dem Handy die Polizei alarmiert.“Die kommt sofort – und trifft nur kurz vorm „Abholer“ein, wie die Kriminalbeamten im Zeugenstand den Angeklagten nennen.
Die Zeit war so knapp, dass die zwei Beamtinnen keine Verstärkung mehr rufen können. Die Mutter packt derweil Modeschmuck in einen Sack, kurz darauf klingelt der Abholer, Dariusz K., ein 59-jähriger Pole aus Stettin, der mit Maske und Mütze ausschaut „wie Heinz Becker“, erinnert sich Brill an das Ende des „Bauernspiels“. Er habe Dariusz K. an der Tür noch gefragt, ob er der „Herr Braun vom Amtsgericht“sei. Das habe dieser bejaht. Die Beamtinnen stürmen aus dem Haus und nehmen ihn fest: Widerstandslos.
Vor Gericht gesteht Dariusz K., er wusste, dass da was nicht sauber sei, er dachte allerdings, es gehe um einen nicht legalen Gold- und Schmuckhandel – und nicht um einen Enkeltrick. Die, die ihn als „Kurier“engagiert hätten, hätten nichts von Schockanrufen erzählt. Darius K. nennt Namen vor Gericht, erhofft sich so Strafmilderung. Die Polizei überprüft die Namen.
Zuvor habe er nur eine Kurierfahrt für die Auftraggeber durchgeführt, sagt Dariusz K.. Die sei erfolgreich gewesen, eine ältere Dame aus Zinsdorf (Bayern) überreichte ihm am 11.
Juli vergangenen Jahres 8000 Euro und wertvollen Schmuck, ließ sich die Übergabe von Dariusz damals sogar quittieren. Eine Schriftprobe überführt ihn. Vor Gericht sagt er, er habe für die erste Fahrt 150 Euro bekommen. Auch will er kein Mitglied einer Bande gewesen sein. Angeklagt hat ihn die Staatsanwaltschaft wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges.
Ein Polizist erklärt im Zeugenstand, dass es sich bei der EnkeltrickMasche um „organisierte Kriminalität in Reinkultur“handele. Meist agierten die Banden aus Polen heraus. Nahezu weltweit suchen sie sich ihre Opfer. Teil der Banden sind Abholer, wie Dariusz K. vielleicht einer ist. Sie bekommen im Schnitt 500 bis 1000 Euro pro erfolgreicher Fahrt, so der Polizist. Bei der Anheuerung zum Job bekämen sie etwa „2000 Euro – und Handys“. Der Prozess wird am 22. Januar fortgesetzt.