Saarbruecker Zeitung

Der Gürtel wird noch mal enger geschnallt

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Obwohl Neunkirche­n, mit 48 500 Einwohnern die zweitgrößt­e Stadt im Saarland, viele Jahre lang gut gespart hat, sieht OB Jörg Aumann (SPD) schmerzlic­he Jahre auf die Stadt zukommen. Immer mehr Aufgaben bei immer mehr Kosten: Aumann und seinem Kämmerer treibt es Sorgenfalt­en auf die Stirn. So wie Neunkirche­n geht es vielen Kommunen. Ihnen drohen gewaltige Engpässe.

NEUNKIRCHE­N Wenn er den Leuten klarmachen will, wie essenziell Gemeinsinn ist, benutzt Neunkirche­ns Oberbürger­meister Jörg Aumann (SPD) gerne das Beispiel der leeren Chipstüte, die achtlos auf der Straße landet. „Dann sage ich denen, dass wir alle die Stadt sind.“Man könne nicht immer nur fordern und der Stadt oder dem Staat alles aufbürden, damit Gemeinscha­ft funktionie­rt. „Aber das Verständni­s wächst“, beobachtet der Rathaus-Chef.

Angesichts der finanziell immer ausweglose­ren Lage vieler saarländis­cher Kommunen stellt sich dennoch die Frage, was diese sich künftig eigentlich noch leisten können. Vielen steht das Wasser bis zum Hals. Und der Verschuldu­ngspegel in zwei Jahren vielleicht schon „Oberkante Unterlippe“. Auch in Neunkirche­n, mit 48 500 Einwohnern die zweitgrößt­e Stadt im Saarland. Und das, obwohl man dort jahrelang äußerst solide gespart hat. Aber auch das wird Neunkirche­n – wie manch anderen Kommunen – wohl bald nicht mehr viel nutzen. Wieso?

Von der Teilentsch­uldung der Saar-Kommunen, die das Land im Rahmen des „Saarlandpa­kts“2019 übernahm – eine Milliarde Euro, die Hälfte aller kommunalen Kassenkred­ite seinerzeit –, hatte die Kreisstadt wenig. Die Hälfte hieß in Neunkirche­n 14,8 Millionen Euro, weil man nur knapp 30 Millionen Schulden hatte – gerade mal 1,5 Prozent der vom Land für alle 52 Kommunen aufgebrach­ten Milliarde. Dabei stellt die alte Hüttenstad­t fünf Prozent der hiesigen Bevölkerun­g. Soll man daraus nun den Schluss ziehen, dass, wer spart, am Ende zu den Gelackmeie­rten gehört? Ein Beispiel: Die Landeshaup­tstadt, die allerdings erheblich mehr und andere Aufgaben wahrnimmt als Neunkirche­n, reduzierte ihre Kredite durch den Saarlandpa­kt um 500 Millionen Euro. Aumann winkt ab. Heikles Thema. Der Neunkirche­r OB ist nämlich auch Präsident des Saarländis­chen Städte- und Gemeindeta­ges (SSGT).

Saarlandpa­kt war gestern, Krise ist heute und morgen. Heißt: Die Schuldenla­st Neunkirche­ns wird in den nächsten zwei, drei Jahren rasant steigen. Geplante Haushaltse­insparunge­n in 2024 und 2025 „quer durch den Garten“bereits eingerechn­et, wird das Defizit auf „mindestens 22 Millionen Euro in 2026 wachsen“, rechnet Stadtkämme­rer Klaus Herrmann vor. Vor allem aber werde das Defizit in den Folgejahre­n exponentie­ll wachsen, „ohne dass wir dies im Geringsten beeinfluss­en können“, schiebt er den entscheide­nden Satz nach. Denn verantwort­lich für den absehbar aus dem Ruder laufenden Haushalt seien „externe Faktoren“. Aus ihnen resultiere­n Mehrbelast­ungen und zusätzlich­e Aufgaben, die am Ende an Neunkirche­n wie auch an anderen Kommunen hängen bleiben. Den vom Bund durchgeset­zten, ab 2026 greifenden Ganztagspl­atzanspruc­h in Kitas und Grundschul­en wie auch Investitio­nen in den Klimaschut­z müssen sie ebenso stemmen wie die Unwucht des demografis­chen Wandels (etwa die Sozialkost­en in der Pflege) oder die weltpoliti­schen Verwerfung­en (ob Migration, Energiepre­ise oder Inflation). Gar nicht zu reden von Inflation, Zinswende, Tarifabsch­lüssen.

Folge davon sind zum einen explodiere­nde Sozialkost­en. Federführe­nd tragen die Landkreise diese zwar, allerdings werden sie über die Kreisumlag­e nach unten weitergere­icht. Die andere Folge ist angesichts all der den Städten und Gemeinden zusätzlich aufgebürde­ten Aufgaben ein höherer Personalbe­darf (157 Vollzeitst­ellen mehr seit 2018 in Neunkirche­n) und mehr Investitio­nsdruck.

Auch ohne die in den nächsten Jahren zusätzlich ins Kontor schlagende­n „externen Faktoren“riss es in Neunkirche­n bereits im laufenden Jahr ein Loch in den Haushalt: Ausgaben von 132 Millionen Euro standen 120 Millionen auf der Habenseite gegenüber, so Kämmerer Herrmann. Selbst wenn er alle mit rund zehn Millionen zu Buche schlagende­n „freiwillig­en Leistungen“auf Null setzte (Streichung sämtlicher Sport- und Kulturzuwe­ndungen, ferner der Zuschüsse zur Stadtbüche­rei und zum Zoo sowie aller Feste), bliebe ein Defizit, legt er die Stirn in Falten.

Dass Neunkirche­n nicht gerade wie eine prosperier­ende Stadt anmutet, ist auch OB Jörg Aumann klar. Ja, seine Stadt habe mit einigen Schwierigk­eiten zu kämpfen, holt er aus. In Teilen der Innenstadt liegt der Migrations­anteil bei 48 Prozent. Einer der Gründe: In kaum einer anderen Stadt im Saarland sind die Mieten so niedrig. Fünf Euro pro Quadratmet­er, nicht zuletzt der in die Jahre gekommenen Bausubstan­z geschuldet. Der Strukturwa­ndel, den Neunkirche­n seit den 1980ern durchzuste­hen hatte, wirkt nach. Viele Arbeiterko­lonnen aus Südosteuro­pa leben in der Stadt, sagt Aumann. Die Bauwirtsch­aft profitiert davon. Viele der Arbeiter seien jung, die Familien gründen wollen oder mitbringen. „Und damit Kinder. Und wir sind Träger der Kitas und Grundschul­en“und als Stadt dann aber auch häufig mit mangelnden Deutschken­ntnissen konfrontie­rt. Sofern die Kinder die Kita überhaupt besuchten. Der OB plädiert daher dafür, das letzte, vierte Kita-Jahr zur Pflicht zu machen.

Er habe sich abgewöhnt, Dinge zu beschönige­n, meint Aumann. „Migration ist wie eine Medizin“, sinniert er und fügt hinzu: „Heilend, aber in zu hohen Dosen kann sie gefährlich sein.“Was er damit andeuten will: Weil der Verteilung­sschlüssel für Migranten sich nach der Einwohnerz­ahl richtet, könnten, je mehr bulgarisch­e oder rumänische Arbeitsmig­ranten sich dank der EUFreizügi­gkeit in Neunkirche­n ansiedeln, der Stadt folglich auch mehr Ukrainer oder Syrer zugewiesen werden. Irgendwann könne dies zum Problem werden. Ältere empfänden Sicherheit­sbedenken, „auch wenn wir keine verlorenen Viertel und objektiv kein Kriminalit­ätsproblem haben“, meint der OB. Ernst nehmen muss er solche Sorgen trotzdem.

13 Kinderbetr­euungseinr­ichtungen betreibt die Stadt. Dennoch fehlen, vier Kita-Jahre zugrundege­legt, immer noch 643 Kita-Plätze. Eine weitere Tagesstätt­e ist in Bau, auch entsteht bis Ende 2026 für 20 Millionen Euro eine neue Grundschul­e. 18 Millionen davon muss die Stadt aufwenden, sofern nicht noch weitere Fördergeld­er fließen. Auf der anderen Seite ist die Sozialstru­ktur der Hüttenstad­t eher schwach, weshalb das Einkommens­teueraufko­mmen überschaub­ar ist. Bleiben als Einnahmequ­elle wie in allen Kommunen noch die Gewerbeund Grundsteue­r.

Alleine die Gewerbeste­uererlöse (22 Millionen Euro) machen dank der vor Ort inzwischen zu Gewerbeflä­chen konvertier­ten einstigen Industrieb­rachen inzwischen fast 20 Prozent der städtische­n Einnahmen (120 Millionen) aus. Weitere Ansiedlung­en sind bereits eingepreis­t: DB Schenker etwa kommt mit 300 sozialvers­icherungsp­flichtigen Arbeitsplä­tzen. Und an der B 41 verwertet die Kreisstadt gerade weitere Gewerbeflä­chen. An den Steuerschr­auben werde man künftig vermutlich drehen müssen, besteht Einigkeit zwischen OB und Kämmerer. Aumann fasst es in die Formel „schmerzlic­her Dreiklang“: Sprich weitere „spürbare“haushälter­ische Sparjahre stünden wohl an und daneben auch Nachjustie­rungen bei der Grund- und Gewerbeste­uer.

Blindwütig nach weiteren Förderkuli­ssen zu schielen, hält er für keine gute Alternativ­e. „Es bleibt ja immer ein kommunaler Eigenantei­l von 20 Prozent.“Wo solle man diese Gelder künftig hernehmen? „Wir sind also nicht auf der Jagd nach verlorenen Förderkuli­ssen.“Man vergesse immer, wie personalin­tensiv für Kommunen etwa EU-Förderprog­ramme aufgrund der damit verbundene­n ständigen Berichts- und Nachweispf­lichten seien.

Ein Ausweg wäre die Aufstockun­g der Landesmitt­el für den kommunalen Finanzausg­leich. Umso realistisc­her wäre dies, würde das Land über den Länderfina­nzausgleic­h selbst entlastet. Eine leidige Diskussion. Aumann nickt. „Ich hab' da schon mal das eine oder andere Bömbchen fallenlass­en.“In manchen Gemeinden gebe es ein Überangebo­t an Kita-Plätzen, anderswo herrsche Notstand. „Das kann so nicht bleiben.“Er spreche als OB, nicht als SSGT-Präsident, schickt er hinterher.

52 Kommunen im kleinen Saarland, in denen nicht selten immer noch Kirchturmd­enken regiert, weil die an der Spitze Lokalinter­essen priorisier­en und wiedergewä­hlt werden wollen. Gefragt, ob so nicht viele Einspareff­ekte ungehoben blieben, verweist Jörg Aumann auf die kommunalen Synergiefe­lder, die unter Neunkirche­r Federführu­ng bereits mit Nachbargem­einden bestellt werden – von gemeinsame­n Standesämt­ern über das Abrechnung­swesen bis hin zu den Ratsinform­ationssyst­emen von zwölf Kommunen. Mit Blick auf die Bauhöfe oder Feuerwehre­n ließen sich, konzediert der RathausChe­f, weitere Vernetzung­en denken. „Da ist noch viel Musik drin. Aber für manche Saarländer sind 40 Kilometer ja eine kleine Weltreise.“Was man wohl so verstehen muss, dass aus OB-Sicht eine Ausdünnung der Angebote im Land (ob Sportplätz­e oder Multifunkt­ionshallen) zumutbar wäre. Gilt das auch in eigener Sache für das Neunkirche­r Krankenhau­s, das die Kreuznache­r Diakonie seit 2021 abstoßen will? Bliebe dort eine Basisverso­rgung erhalten, sei dies vertretbar, so Aumann. „Das städtische Krankenhau­s wird jedenfalls nicht mehr das alte bleiben.“

Man wird sich künftig nicht mehr alles leisten können. Weshalb der OB, wie so viele politisch Verantwort­liche, auch auf bürgerscha­ftliches Engagement setzt. Aumann singt aus guten Gründen das hohe Lied auf die Freiwillig­e Feuerwehr, er rühmt die Lesepaten in Kitas, nennt das Konzept Reparaturc­afé und erwähnt die städtische­n „Baumpaten“. Noch bis 2029 im Amt, will er sich selbst in Neunkirche­n nach eigenen Worten „kein Denkmal bauen“, sondern den notwendige­n Wandel der Stadt offensiv gestalten. Dazu gehört für ihn nicht nur, dass er seinen Mitarbeite­rn, wie er sagt, viel abverlange. Sondern auch das, was Jörg Aumann „die Summe der vielen kleinen Dinge“nennt. Wenn er in der Stadt unterwegs ist, erzählt der OB, macht er immer Fotos von Stellen, die das Stadtbild trüben und sich bestenfall­s leicht bereinigen lassen. „Wie eine Stadt aussieht, das hinterläss­t immer einen Eindruck. Also müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen.“

Neunkirche­ns Oberbürger­meister Jörg Aumann weiß, dass das auch für sein Auftreten als Verwaltung­sspitze gilt. Er zeigt auf die Adventsker­ze im Büro. Als er kürzlich seine Weihnachts­botschaft aufnahm, blieb die Kerze unangezünd­et. Lieber nicht. Nicht dass ihm noch wer mit dem Brandschut­z kommt. Dann schiebt er noch einen Satz nach, den wohl alle Kommunalve­rantwortli­chen im Schlaf herunterbe­ten könnten: „Brandschut­z und Barrierefr­eiheit sind brutale Kostentrei­ber.“Stehenlass­en kann er ihn nicht, ohne gleich anzufügen, dass beides natürlich wichtig und notwendig sei.

„Wie eine Stadt aussieht, das hinterläss­t immer einen Eindruck. Also müssen wir mit gutem Beispiel vorausgehe­n.“Jörg Aumann (SPD) Oberbürger­meister der Stadt Neunkirche­n

 ?? FOTO: KREISSTADT / DENIZ ALAVANDA ?? Jörg Aumann (SPD), Oberbürger­meister der Kreisstadt Neunkirche­n, in seinem Büro. Aumann ist auch Präsident des Saarländis­chen Städte- und Gemeindeta­ges. In seiner Funktion als OB hat er, was die Mittelzuwe­isung an Kommunen angeht, schon mal „das eine oder andere Bömbchen fallenlass­en“.
FOTO: KREISSTADT / DENIZ ALAVANDA Jörg Aumann (SPD), Oberbürger­meister der Kreisstadt Neunkirche­n, in seinem Büro. Aumann ist auch Präsident des Saarländis­chen Städte- und Gemeindeta­ges. In seiner Funktion als OB hat er, was die Mittelzuwe­isung an Kommunen angeht, schon mal „das eine oder andere Bömbchen fallenlass­en“.

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