Der Gürtel wird noch mal enger geschnallt
Obwohl Neunkirchen, mit 48 500 Einwohnern die zweitgrößte Stadt im Saarland, viele Jahre lang gut gespart hat, sieht OB Jörg Aumann (SPD) schmerzliche Jahre auf die Stadt zukommen. Immer mehr Aufgaben bei immer mehr Kosten: Aumann und seinem Kämmerer treibt es Sorgenfalten auf die Stirn. So wie Neunkirchen geht es vielen Kommunen. Ihnen drohen gewaltige Engpässe.
NEUNKIRCHEN Wenn er den Leuten klarmachen will, wie essenziell Gemeinsinn ist, benutzt Neunkirchens Oberbürgermeister Jörg Aumann (SPD) gerne das Beispiel der leeren Chipstüte, die achtlos auf der Straße landet. „Dann sage ich denen, dass wir alle die Stadt sind.“Man könne nicht immer nur fordern und der Stadt oder dem Staat alles aufbürden, damit Gemeinschaft funktioniert. „Aber das Verständnis wächst“, beobachtet der Rathaus-Chef.
Angesichts der finanziell immer auswegloseren Lage vieler saarländischer Kommunen stellt sich dennoch die Frage, was diese sich künftig eigentlich noch leisten können. Vielen steht das Wasser bis zum Hals. Und der Verschuldungspegel in zwei Jahren vielleicht schon „Oberkante Unterlippe“. Auch in Neunkirchen, mit 48 500 Einwohnern die zweitgrößte Stadt im Saarland. Und das, obwohl man dort jahrelang äußerst solide gespart hat. Aber auch das wird Neunkirchen – wie manch anderen Kommunen – wohl bald nicht mehr viel nutzen. Wieso?
Von der Teilentschuldung der Saar-Kommunen, die das Land im Rahmen des „Saarlandpakts“2019 übernahm – eine Milliarde Euro, die Hälfte aller kommunalen Kassenkredite seinerzeit –, hatte die Kreisstadt wenig. Die Hälfte hieß in Neunkirchen 14,8 Millionen Euro, weil man nur knapp 30 Millionen Schulden hatte – gerade mal 1,5 Prozent der vom Land für alle 52 Kommunen aufgebrachten Milliarde. Dabei stellt die alte Hüttenstadt fünf Prozent der hiesigen Bevölkerung. Soll man daraus nun den Schluss ziehen, dass, wer spart, am Ende zu den Gelackmeierten gehört? Ein Beispiel: Die Landeshauptstadt, die allerdings erheblich mehr und andere Aufgaben wahrnimmt als Neunkirchen, reduzierte ihre Kredite durch den Saarlandpakt um 500 Millionen Euro. Aumann winkt ab. Heikles Thema. Der Neunkircher OB ist nämlich auch Präsident des Saarländischen Städte- und Gemeindetages (SSGT).
Saarlandpakt war gestern, Krise ist heute und morgen. Heißt: Die Schuldenlast Neunkirchens wird in den nächsten zwei, drei Jahren rasant steigen. Geplante Haushaltseinsparungen in 2024 und 2025 „quer durch den Garten“bereits eingerechnet, wird das Defizit auf „mindestens 22 Millionen Euro in 2026 wachsen“, rechnet Stadtkämmerer Klaus Herrmann vor. Vor allem aber werde das Defizit in den Folgejahren exponentiell wachsen, „ohne dass wir dies im Geringsten beeinflussen können“, schiebt er den entscheidenden Satz nach. Denn verantwortlich für den absehbar aus dem Ruder laufenden Haushalt seien „externe Faktoren“. Aus ihnen resultieren Mehrbelastungen und zusätzliche Aufgaben, die am Ende an Neunkirchen wie auch an anderen Kommunen hängen bleiben. Den vom Bund durchgesetzten, ab 2026 greifenden Ganztagsplatzanspruch in Kitas und Grundschulen wie auch Investitionen in den Klimaschutz müssen sie ebenso stemmen wie die Unwucht des demografischen Wandels (etwa die Sozialkosten in der Pflege) oder die weltpolitischen Verwerfungen (ob Migration, Energiepreise oder Inflation). Gar nicht zu reden von Inflation, Zinswende, Tarifabschlüssen.
Folge davon sind zum einen explodierende Sozialkosten. Federführend tragen die Landkreise diese zwar, allerdings werden sie über die Kreisumlage nach unten weitergereicht. Die andere Folge ist angesichts all der den Städten und Gemeinden zusätzlich aufgebürdeten Aufgaben ein höherer Personalbedarf (157 Vollzeitstellen mehr seit 2018 in Neunkirchen) und mehr Investitionsdruck.
Auch ohne die in den nächsten Jahren zusätzlich ins Kontor schlagenden „externen Faktoren“riss es in Neunkirchen bereits im laufenden Jahr ein Loch in den Haushalt: Ausgaben von 132 Millionen Euro standen 120 Millionen auf der Habenseite gegenüber, so Kämmerer Herrmann. Selbst wenn er alle mit rund zehn Millionen zu Buche schlagenden „freiwilligen Leistungen“auf Null setzte (Streichung sämtlicher Sport- und Kulturzuwendungen, ferner der Zuschüsse zur Stadtbücherei und zum Zoo sowie aller Feste), bliebe ein Defizit, legt er die Stirn in Falten.
Dass Neunkirchen nicht gerade wie eine prosperierende Stadt anmutet, ist auch OB Jörg Aumann klar. Ja, seine Stadt habe mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen, holt er aus. In Teilen der Innenstadt liegt der Migrationsanteil bei 48 Prozent. Einer der Gründe: In kaum einer anderen Stadt im Saarland sind die Mieten so niedrig. Fünf Euro pro Quadratmeter, nicht zuletzt der in die Jahre gekommenen Bausubstanz geschuldet. Der Strukturwandel, den Neunkirchen seit den 1980ern durchzustehen hatte, wirkt nach. Viele Arbeiterkolonnen aus Südosteuropa leben in der Stadt, sagt Aumann. Die Bauwirtschaft profitiert davon. Viele der Arbeiter seien jung, die Familien gründen wollen oder mitbringen. „Und damit Kinder. Und wir sind Träger der Kitas und Grundschulen“und als Stadt dann aber auch häufig mit mangelnden Deutschkenntnissen konfrontiert. Sofern die Kinder die Kita überhaupt besuchten. Der OB plädiert daher dafür, das letzte, vierte Kita-Jahr zur Pflicht zu machen.
Er habe sich abgewöhnt, Dinge zu beschönigen, meint Aumann. „Migration ist wie eine Medizin“, sinniert er und fügt hinzu: „Heilend, aber in zu hohen Dosen kann sie gefährlich sein.“Was er damit andeuten will: Weil der Verteilungsschlüssel für Migranten sich nach der Einwohnerzahl richtet, könnten, je mehr bulgarische oder rumänische Arbeitsmigranten sich dank der EUFreizügigkeit in Neunkirchen ansiedeln, der Stadt folglich auch mehr Ukrainer oder Syrer zugewiesen werden. Irgendwann könne dies zum Problem werden. Ältere empfänden Sicherheitsbedenken, „auch wenn wir keine verlorenen Viertel und objektiv kein Kriminalitätsproblem haben“, meint der OB. Ernst nehmen muss er solche Sorgen trotzdem.
13 Kinderbetreuungseinrichtungen betreibt die Stadt. Dennoch fehlen, vier Kita-Jahre zugrundegelegt, immer noch 643 Kita-Plätze. Eine weitere Tagesstätte ist in Bau, auch entsteht bis Ende 2026 für 20 Millionen Euro eine neue Grundschule. 18 Millionen davon muss die Stadt aufwenden, sofern nicht noch weitere Fördergelder fließen. Auf der anderen Seite ist die Sozialstruktur der Hüttenstadt eher schwach, weshalb das Einkommensteueraufkommen überschaubar ist. Bleiben als Einnahmequelle wie in allen Kommunen noch die Gewerbeund Grundsteuer.
Alleine die Gewerbesteuererlöse (22 Millionen Euro) machen dank der vor Ort inzwischen zu Gewerbeflächen konvertierten einstigen Industriebrachen inzwischen fast 20 Prozent der städtischen Einnahmen (120 Millionen) aus. Weitere Ansiedlungen sind bereits eingepreist: DB Schenker etwa kommt mit 300 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Und an der B 41 verwertet die Kreisstadt gerade weitere Gewerbeflächen. An den Steuerschrauben werde man künftig vermutlich drehen müssen, besteht Einigkeit zwischen OB und Kämmerer. Aumann fasst es in die Formel „schmerzlicher Dreiklang“: Sprich weitere „spürbare“haushälterische Sparjahre stünden wohl an und daneben auch Nachjustierungen bei der Grund- und Gewerbesteuer.
Blindwütig nach weiteren Förderkulissen zu schielen, hält er für keine gute Alternative. „Es bleibt ja immer ein kommunaler Eigenanteil von 20 Prozent.“Wo solle man diese Gelder künftig hernehmen? „Wir sind also nicht auf der Jagd nach verlorenen Förderkulissen.“Man vergesse immer, wie personalintensiv für Kommunen etwa EU-Förderprogramme aufgrund der damit verbundenen ständigen Berichts- und Nachweispflichten seien.
Ein Ausweg wäre die Aufstockung der Landesmittel für den kommunalen Finanzausgleich. Umso realistischer wäre dies, würde das Land über den Länderfinanzausgleich selbst entlastet. Eine leidige Diskussion. Aumann nickt. „Ich hab' da schon mal das eine oder andere Bömbchen fallenlassen.“In manchen Gemeinden gebe es ein Überangebot an Kita-Plätzen, anderswo herrsche Notstand. „Das kann so nicht bleiben.“Er spreche als OB, nicht als SSGT-Präsident, schickt er hinterher.
52 Kommunen im kleinen Saarland, in denen nicht selten immer noch Kirchturmdenken regiert, weil die an der Spitze Lokalinteressen priorisieren und wiedergewählt werden wollen. Gefragt, ob so nicht viele Einspareffekte ungehoben blieben, verweist Jörg Aumann auf die kommunalen Synergiefelder, die unter Neunkircher Federführung bereits mit Nachbargemeinden bestellt werden – von gemeinsamen Standesämtern über das Abrechnungswesen bis hin zu den Ratsinformationssystemen von zwölf Kommunen. Mit Blick auf die Bauhöfe oder Feuerwehren ließen sich, konzediert der RathausChef, weitere Vernetzungen denken. „Da ist noch viel Musik drin. Aber für manche Saarländer sind 40 Kilometer ja eine kleine Weltreise.“Was man wohl so verstehen muss, dass aus OB-Sicht eine Ausdünnung der Angebote im Land (ob Sportplätze oder Multifunktionshallen) zumutbar wäre. Gilt das auch in eigener Sache für das Neunkircher Krankenhaus, das die Kreuznacher Diakonie seit 2021 abstoßen will? Bliebe dort eine Basisversorgung erhalten, sei dies vertretbar, so Aumann. „Das städtische Krankenhaus wird jedenfalls nicht mehr das alte bleiben.“
Man wird sich künftig nicht mehr alles leisten können. Weshalb der OB, wie so viele politisch Verantwortliche, auch auf bürgerschaftliches Engagement setzt. Aumann singt aus guten Gründen das hohe Lied auf die Freiwillige Feuerwehr, er rühmt die Lesepaten in Kitas, nennt das Konzept Reparaturcafé und erwähnt die städtischen „Baumpaten“. Noch bis 2029 im Amt, will er sich selbst in Neunkirchen nach eigenen Worten „kein Denkmal bauen“, sondern den notwendigen Wandel der Stadt offensiv gestalten. Dazu gehört für ihn nicht nur, dass er seinen Mitarbeitern, wie er sagt, viel abverlange. Sondern auch das, was Jörg Aumann „die Summe der vielen kleinen Dinge“nennt. Wenn er in der Stadt unterwegs ist, erzählt der OB, macht er immer Fotos von Stellen, die das Stadtbild trüben und sich bestenfalls leicht bereinigen lassen. „Wie eine Stadt aussieht, das hinterlässt immer einen Eindruck. Also müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen.“
Neunkirchens Oberbürgermeister Jörg Aumann weiß, dass das auch für sein Auftreten als Verwaltungsspitze gilt. Er zeigt auf die Adventskerze im Büro. Als er kürzlich seine Weihnachtsbotschaft aufnahm, blieb die Kerze unangezündet. Lieber nicht. Nicht dass ihm noch wer mit dem Brandschutz kommt. Dann schiebt er noch einen Satz nach, den wohl alle Kommunalverantwortlichen im Schlaf herunterbeten könnten: „Brandschutz und Barrierefreiheit sind brutale Kostentreiber.“Stehenlassen kann er ihn nicht, ohne gleich anzufügen, dass beides natürlich wichtig und notwendig sei.
„Wie eine Stadt aussieht, das hinterlässt immer einen Eindruck. Also müssen wir mit gutem Beispiel vorausgehen.“Jörg Aumann (SPD) Oberbürgermeister der Stadt Neunkirchen