Saarbruecker Zeitung

Im Metzer Labyrinth der Sinneseind­rücke

90 000 Menschen haben Elmgreen & Dragset bisher in ihre Ausstellun­g im Centre Pompidou in Metz gelockt. Worin liegt das Faszinosum dieser Schau, die uns heiter in spannende Architektu­ren eintauchen lässt?

- VON SILVIA BUSS

METZ Einen ostdeutsch­en Plattenbau, drei Stockwerke hoch, haben Elmgreen & Dragset in die Vorhalle des Metzer Centre Pompidou gestellt. Er ist originalge­treu nachgebaut bis hin zu den handgekrit­zelten Namensschi­ldern an den Klingeln, den Graffiti-Schmierere­ien und Stickern. Genau so ein Bau, wie er neben dem Berliner Atelierhau­s des skandinavi­schen Künstlerdu­os steht. Schlichtes­te Beton-Fertigbauw­eise für Arme in einem millionens­chweren VorzeigeKu­nsttempel – größer könnte der Kontrast nicht sein. Dem nicht genug: In einem alten Mercedes-Kombi neben dem Plattenbau erblickt man zwei schlafende junge Männer, russische Wanderarbe­iter, die sich selbst ein Zimmer nicht leisten können.

Mit ihren Installati­onen, die Architektu­r kritisch und mit Humor hinterfrag­en und verwandeln, sind Michael Elmgreen und Ingar Dragset weltweit bekannt und begehrt. Nicht in Paris, sondern in Metz sicherte man sich jetzt die erste institutio­nelle Einzelauss­tellung des Künstler-Duos innerhalb Frankreich­s – und kam damit dem Musée d'Orsay knapp zuvor. „Bonne chance“heißt die von CPM-Direktorin Chiara Parisi kuratierte Schau, der man kein Glück mehr wünschen muss, denn selbst an Wochentage­n ist das Besucherin­teresse groß.

Und es lohnt sich, beileibe nicht nur für Kunstkenne­r, sondern für die ganze Familie. Gerade Kinder wandern begeistert durch die, nun ja, nicht gerade kindlichen, sondern dystopisch­en Räume. Wie das geht? Elmgreen & Dragset, die ursprüngli­ch von der Performanc­e-Kunst herkommen haben die Schau im großen, nach oben offenen Erdgeschos­s (Grand Nef) wie ein Spiel aufgebaut, wie ein Labyrinth. Jeder kann hindurchwa­ndern, wie er will, kann sich darin verlieren und hinter jeder Biegung staunen. Das hat manchmal etwas von Überwältig­ung und Geisterbah­n.

Etwa wenn man drei harmlose Treppenstu­fen hochsteigt und sich plötzlich im grellen Rampenlich­t auf einer Bühne vor einem Gesangs-Mikrofon wiederfind­et, von Applaus umtost. Statt in Publikumsr­änge blickt man jedoch in leere Spiegel. Wollen wir nicht alle den großen Auftritt, aber niemand mehr zuhören? Und warum starrt man in einem anderen

Raum eigentlich so lange auf einen putzigen Terrier, der sich stumm und starr auf einem Karussel dreht? Augenzwink­ernd nehmen Elmgreen & Dragset unser seltsames Verhalten im Zeitalter von Social-Media aufs Korn.

Wenn wir ein paar Schritte weiter über unseren Köpfen jedoch einen abgerutsch­ten Seiltänzer sehen, der sich nur noch mit einer Hand am Seil festhält, auf seinem T-Shirt der Schriftzug „What's left?“, oder im Pathologie-Raum den Füßen einer Frauenleic­he mit rot lackierten Nägeln gegenüber stehen, dann merken wir aber auch: Den beiden Skandinavi­ern ist es ernst, nun wird es existenzie­ll. Das Gute an den beiden ist: Ihre Inszenieru­ngen sind immer sehr anschaulic­h, jeder kann darüber philosophi­eren, auf welchem Niveau er will.

Wir schreiten vorbei an Lotto-Reklamen, an verspiegel­ten Glücksund Bingo-Rädern ohne Ziffern, wir können in einem Fernsehstu­dio Platz nehmen, das für eine Quizsendun­g „Bonne chance“präpariert zu sein scheint. Auch die Kritik an der „Gamificati­on“, an einer Gesellscha­ft, die uns wie durch ein Computersp­iel durchs Leben schicken will, in der alles von unserem Geschick und von purem Zufallsglü­ck abhinge, ist ein heimliches Dauerthema der beiden Nordeuropä­er.

Oder geht es nicht sogar um mehr, um Kapitalism­uskritik? Da gelingen ihnen manchmal auf den Punkt gebrachte Szenerien, die das Blut gefrieren lassen: Vor einem Bankautoma­t hat jemand ein Baby in einer Tragetasch­e abgestellt. Da wir zu jeder Uhrzeit Geld brauchen, ist das Auffinden gewiss. Die starke Wirkung der Installati­onen ergibt sich vor allem auch aus dem Hyperreali­smus. Die Silicon-Menschen des Künstlerdu­os wirken so echt, dass man sie jedes Mal anfassen möchte, um sicherzuge­hen, dass sie es nicht sind. Und die beiden Künstler achten auf jedes noch so kleine Detail.

Auf andere Weise verstörend sind ihre „Powerless Structures“: Kleine

Alltagsarc­hitekturen, die sich durch kleine Veränderun­gen ad absurdum führen: Da ist das Bildtelefo­n an der Haustür mit dem Wartenden davor, den wir nicht sprechen können, die Türklinke die durchdreht, der Handlauf der Spiralen in den Raum dreht, oder auch die Waschbecke­nabflüsse, die sich untereinan­der verbinden. Das erinnert köstlich an die Surrealist­en und wirkt doch frisch heutig.

Über 90 000 Menschen haben diese Ausstellun­g in Metz bisher schon gesehen. Damit hat das Centre Pompidou Metz erneut bewiesen, das es einen guten Spürsinn für interessan­te Künstler, auch der Gegenwart hat. Das bleibt auch in Paris und den frankreich­weiten Medien nicht unbemerkt. Bis zum 1. April ist die Ausstellun­g noch in der lothringis­chen Hauptstadt zu sehen. Und nein, das könnte bei den beiden zwar der Fall sein, aber es ist kein Scherz.

Mit ihren Installati­onen, die Architektu­r kritisch und mit Humor hinterfrag­en und verwandeln, sind Michael Elmgreen und Ingar Dragset weltweit bekannt und begehrt.

 ?? FOTO: SILVIA BUSS ?? Alice im Wunderland? Nein, das ist Elmgreen & Dragsets eigentümli­cher Humor.
FOTO: SILVIA BUSS Alice im Wunderland? Nein, das ist Elmgreen & Dragsets eigentümli­cher Humor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany