„Endlich geht mal jemand auf die Barrikaden!“
Massiv wie kaum jemals jemand zuvor haben saarländische Bauern am Montag ihren Unmut über die Politik der Bundesregierung auf die Straßen Saarbrückens getragen. Teilweise hatte der Protest was von einem Fastnachtsumzug. Stimmen von Bauern, Unterstützern und Zuschauern.
SAARBRÜCKEN Rentner Wolfgang (74) aus St. Johann steht mit seinem Rad auf der Alten Brücke und schaut sich das Spektakel an. Es ist kurz nach halb drei am Nachmittag, schon seit einer guten Stunde ist es richtig laut in der Stadt.
Immer neue Traktoren kommen dauer-hupend oder sogar mit heulenden Sirenen über die Stadtautobahn angefahren. Viele versuchen, bis zur Schlossmauer und zum Landtag zu kommen, irgendwann ist dort aber alles voll. Bei gefühlten minus sieben Grad sind gefühlt alle Traktoren des Saarlandes an diesem Montag in Saarbrücken vor Ort, riesige, kleine, alte, blank geputzte, verdreckte. Sogar vorm Ludwigsparkstadion stehen etliche. Mehr Protest war selten auf den Straßen der Landeshauptstadt, die Bauern machen Rambazamba.
Rentner Wolfgang findet das gut. „Endlich geht mal jemand auf die Barrikaden!“, sagt er. „Das ist höchste Zeit! Wir können uns nicht alles gefallen lassen!“Besäße er einen Traktor, würde er jetzt mitfahren, erklärt der Radfahrer, der vorschriftsmäßig Helm und eine neongrüne Warnjacke trägt.
Jonas besitzt einen Traktor, einen roten IHC 523, der ist klein und alt und hat keine echte Fahrerkabine, weshalb der junge Mann ziemlich durchgefroren ist. „Es ist kalt wie eine Sau“, sagt er und gönnt sich einen Schluck warmen Tee. Um sechs Uhr ist er zu Hause in Oppen in der Gemeinde Beckingen im Landkreis Merzig-Wadern losgefahren, wo seine Familie im Nebenerwerb einen Bauernhof mit Schweinen, Pferden,
Hühnern und Enten betreibt. Heute will Jonas wie Hunderte andere zeigen, dass es so nicht weitergehen kann. Dass die Steuervergünstigung für Agrardiesel fallen soll – es hat ganz offensichtlich das Frust-Fass der Bauern zum Überlaufen gebracht. Jonas ist begeistert von dem, was er in Saarbrücken sieht: „Es ist brutal viel los, und das ist auch gut so.“
Es ist so viel los vorm Landtag, in der gesamten Franz-Josef-Röder-Straße und auf dem Schlossplatz, dass die dort für etwa 15 Uhr vorgesehene Kundgebung mit Reden deutlich nach hinten verschoben werden muss. Um 15 Uhr herrscht dagegen auf dem St. Johanner Markt gähnende Leere, nur wenige Menschen verirren sich in Saarbrückens guter Stube. Und auch die Stadtautobahn ist gegen 16 Uhr zumindest für einige Zeit leer wie selten. Pendler sind begeistert, wie leicht sie nach der Arbeit durch den sonst so quälenden Stadtverkehr kommen. Offenbar war auch die Polizei gehört worden, die „dringend“davor gewarnt hatte, am Montag mit dem Auto nach Saarbrücken zu kommen.
Frank Rosport ist mit dem Traktor aus Wadern gekommen, er bewirtschaftet dort 160 Hektar Ackerfläche und Grünland. Viele Landwirte seien „sehr sauer“, sagt er, weil sie jede Woche 60, 70, 80 Stunden arbeiteten und dennoch kaum Geld verdienten. „Jetzt soll nochmals gekürzt werden, wir können das nicht weitergeben, denn wir sind vom Weltmarkt abhängig.“Die Landwirtschaft sei hochsubventioniert, räumt Rosport ein, aber das sei von der EU und Deutschland gewollt. Wenn die Subventionen nicht fließen, „gehen die Landwirte kaputt“, fürchtet der 51-Jährige. An manchen Stellen hat der Protest etwas von Fastnachtsumzug. Begeistert werden die Bauern empfangen, Menschen am Straßenrand klatschen, jubeln, einige halten ein Bier in den Händen. Wie Philipp, ein junger Mann aus Saarbrücken mit einer Flasche „Bruch“, der seine Mittagspause nutzt, um seine Verbundenheit mit den Bauern zu zeigen: „Wer heute nicht solidarisch ist, der kann es gleich ganz sein lassen.“Ähnlich sieht es Fabian Schwarz aus Bexbach: „Ich habe mir extra Urlaub genommen, weil ich die Bauern un
„Jetzt soll nochmals gekürzt werden, wir können das nicht weitergeben, denn wir sind vom Weltmarkt abhängig.“Frank Rosport Landwirt aus Wadern
terstützen möchte. Ich will zeigen, dass die Bevölkerung hinter ihnen steht.“
Das wollen auch Maria aus Nalbach und ihre Begleiterin, die schon seit 11 Uhr auf der Alten Brücke stehen.
Dick eingemummelt halten sie ihre selbst gemalten Schilder hoch. „Wir lassen uns nicht mehr verampeln. Neuwahl jetzt!“, steht auf einem. „Was die Regierung umsetzen will, ist nicht tragbar“, sagt Maria. Daher hätten sie sich spontan entschieden, sich dem Protest anzuschließen – „als ganz normale Bürger, denen die Sache der Bauern wichtig ist“.
Im Laufe des Nachmittags, als wir die beiden Damen wieder treffen, sind sie beinahe euphorisch: „Super. Wahnsinn. Jetzt ist was los!“