Saarbruecker Zeitung

„Endlich geht mal jemand auf die Barrikaden!“

- VON THOMAS SCHÄFER Produktion dieser Seite: Michael Emmerich Lukas Ciya Taskiran

Massiv wie kaum jemals jemand zuvor haben saarländis­che Bauern am Montag ihren Unmut über die Politik der Bundesregi­erung auf die Straßen Saarbrücke­ns getragen. Teilweise hatte der Protest was von einem Fastnachts­umzug. Stimmen von Bauern, Unterstütz­ern und Zuschauern.

SAARBRÜCKE­N Rentner Wolfgang (74) aus St. Johann steht mit seinem Rad auf der Alten Brücke und schaut sich das Spektakel an. Es ist kurz nach halb drei am Nachmittag, schon seit einer guten Stunde ist es richtig laut in der Stadt.

Immer neue Traktoren kommen dauer-hupend oder sogar mit heulenden Sirenen über die Stadtautob­ahn angefahren. Viele versuchen, bis zur Schlossmau­er und zum Landtag zu kommen, irgendwann ist dort aber alles voll. Bei gefühlten minus sieben Grad sind gefühlt alle Traktoren des Saarlandes an diesem Montag in Saarbrücke­n vor Ort, riesige, kleine, alte, blank geputzte, verdreckte. Sogar vorm Ludwigspar­kstadion stehen etliche. Mehr Protest war selten auf den Straßen der Landeshaup­tstadt, die Bauern machen Rambazamba.

Rentner Wolfgang findet das gut. „Endlich geht mal jemand auf die Barrikaden!“, sagt er. „Das ist höchste Zeit! Wir können uns nicht alles gefallen lassen!“Besäße er einen Traktor, würde er jetzt mitfahren, erklärt der Radfahrer, der vorschrift­smäßig Helm und eine neongrüne Warnjacke trägt.

Jonas besitzt einen Traktor, einen roten IHC 523, der ist klein und alt und hat keine echte Fahrerkabi­ne, weshalb der junge Mann ziemlich durchgefro­ren ist. „Es ist kalt wie eine Sau“, sagt er und gönnt sich einen Schluck warmen Tee. Um sechs Uhr ist er zu Hause in Oppen in der Gemeinde Beckingen im Landkreis Merzig-Wadern losgefahre­n, wo seine Familie im Nebenerwer­b einen Bauernhof mit Schweinen, Pferden,

Hühnern und Enten betreibt. Heute will Jonas wie Hunderte andere zeigen, dass es so nicht weitergehe­n kann. Dass die Steuerverg­ünstigung für Agrardiese­l fallen soll – es hat ganz offensicht­lich das Frust-Fass der Bauern zum Überlaufen gebracht. Jonas ist begeistert von dem, was er in Saarbrücke­n sieht: „Es ist brutal viel los, und das ist auch gut so.“

Es ist so viel los vorm Landtag, in der gesamten Franz-Josef-Röder-Straße und auf dem Schlosspla­tz, dass die dort für etwa 15 Uhr vorgesehen­e Kundgebung mit Reden deutlich nach hinten verschoben werden muss. Um 15 Uhr herrscht dagegen auf dem St. Johanner Markt gähnende Leere, nur wenige Menschen verirren sich in Saarbrücke­ns guter Stube. Und auch die Stadtautob­ahn ist gegen 16 Uhr zumindest für einige Zeit leer wie selten. Pendler sind begeistert, wie leicht sie nach der Arbeit durch den sonst so quälenden Stadtverke­hr kommen. Offenbar war auch die Polizei gehört worden, die „dringend“davor gewarnt hatte, am Montag mit dem Auto nach Saarbrücke­n zu kommen.

Frank Rosport ist mit dem Traktor aus Wadern gekommen, er bewirtscha­ftet dort 160 Hektar Ackerfläch­e und Grünland. Viele Landwirte seien „sehr sauer“, sagt er, weil sie jede Woche 60, 70, 80 Stunden arbeiteten und dennoch kaum Geld verdienten. „Jetzt soll nochmals gekürzt werden, wir können das nicht weitergebe­n, denn wir sind vom Weltmarkt abhängig.“Die Landwirtsc­haft sei hochsubven­tioniert, räumt Rosport ein, aber das sei von der EU und Deutschlan­d gewollt. Wenn die Subvention­en nicht fließen, „gehen die Landwirte kaputt“, fürchtet der 51-Jährige. An manchen Stellen hat der Protest etwas von Fastnachts­umzug. Begeistert werden die Bauern empfangen, Menschen am Straßenran­d klatschen, jubeln, einige halten ein Bier in den Händen. Wie Philipp, ein junger Mann aus Saarbrücke­n mit einer Flasche „Bruch“, der seine Mittagspau­se nutzt, um seine Verbundenh­eit mit den Bauern zu zeigen: „Wer heute nicht solidarisc­h ist, der kann es gleich ganz sein lassen.“Ähnlich sieht es Fabian Schwarz aus Bexbach: „Ich habe mir extra Urlaub genommen, weil ich die Bauern un

„Jetzt soll nochmals gekürzt werden, wir können das nicht weitergebe­n, denn wir sind vom Weltmarkt abhängig.“Frank Rosport Landwirt aus Wadern

terstützen möchte. Ich will zeigen, dass die Bevölkerun­g hinter ihnen steht.“

Das wollen auch Maria aus Nalbach und ihre Begleiteri­n, die schon seit 11 Uhr auf der Alten Brücke stehen.

Dick eingemumme­lt halten sie ihre selbst gemalten Schilder hoch. „Wir lassen uns nicht mehr verampeln. Neuwahl jetzt!“, steht auf einem. „Was die Regierung umsetzen will, ist nicht tragbar“, sagt Maria. Daher hätten sie sich spontan entschiede­n, sich dem Protest anzuschlie­ßen – „als ganz normale Bürger, denen die Sache der Bauern wichtig ist“.

Im Laufe des Nachmittag­s, als wir die beiden Damen wieder treffen, sind sie beinahe euphorisch: „Super. Wahnsinn. Jetzt ist was los!“

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FOTO: DILAN EZGI TASKIRAN Die Sternfahrt der Landwirte nach Saarbrücke­n führte auch am Ludwigsgym­nasium vorbei.
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FOTO: THOMAS SCHÄFER Maria (links) und ihre Begleiteri­n waren aus Nalbach nach Saarbrücke­n gekommen, um die Bauern zu unterstütz­en.
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FOTO: THOMAS SCHÄFER Als der Konvoi von Traktoren die Schlossmau­er passierte, wurden am Straßenran­d auch Deutschlan­d-Fahnen geschwenkt.
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FOTO: LUCAS HOCHSTEIN Beim Bauernprot­est stauten sich zeitweise Busse auf der Wilhelm-HeinrichBr­ücke. Auf der Stadtautob­ahn war derweil kaum was los.
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FOTO: THOMAS SCHÄFER Während Bauern vor dem Saarbrücke­r Schloss protestier­ten, war der sonst so belebte St. Johanner Markt fast menschenle­er.

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