Eiskalter Gislason lässt sich vom Druck nicht beeindrucken
Der Isländer geht in sein viertes Turnier als Handball-Bundestrainer. Die Erwartungshaltung in Deutschland ist groß.
DÜSSELDORF (sid) Druck vor dem Auftaktspiel? Da kann Alfred Gislason nur müde lächeln. „In dem Moment, in dem das Spiel angepfiffen wird, hat das Spielfeld die gleiche Größe wie immer“, sagt der Bundestrainer trocken. Die mehr als 50 000 Zuschauer in der riesigen Fußball-Arena? „Mir ist diese Zahl völlig egal.“Das Drumherum, sagt Gislason, „schaltet man aus“.
Der Fokus auf das Wesentliche ist seit jeher eine der großen Stärken Gislasons. Seitdem der schlachtenerprobte Isländer das Bundestrainer-Amt im Frühjahr 2020 übernommen hat, hatte er immer wieder mit besonderen Bedingungen zu kämpfen. Ob mit den Auswirkungen des Coronavirus, mit Absagen prominenter Spieler oder mit Rückschlägen durch Verletzungen – gemeckert hat Gislason selten. Und doch ist dieses, sein fünftes Turnier beim DHB, ein ganz Spezielles. Auch für ihn persönlich. Nach den Plätzen zwölf, sechs (Olympia), sieben und fünf soll es mit dem Heimvorteil im Rücken ein Stück nach oben gehen.
„Ich weiß, dass wir das Halbfinale möglichst erreichen müssen“, sagt Gislason in der sehenswerten ARDDokumentation, die den Namen „Schicksalstage des Bundestrainers“trägt. Die große Erwartungshaltung im Land, endlich wieder in die Nähe des Treppchens zu gelangen, kann ihm nichts anhaben. „Ich liebe diesen Druck“, sagt der 64-Jährige. Man nimmt es ihm ab, dem Mann, der in seiner langen Trainerkarriere schon fast alles erlebt hat.
Gislason bescheinigt der Mannschaft kurz vor Beginn der HeimEM eine „riesige Perspektive für die Zukunft“. Es sei ein sehr junges Team, das die nächsten Jahre so zusammenbleiben könne. Ein Engagement über sein Vertragsende im Sommer hinaus kann Gislason sich gut vorstellen – verweist aber auch auf den Stellenwert der EM. Man müsse „Erfolg haben, jetzt.“
Gislason freut sich auf das HeimTurnier in seiner Wahlheimat. 24 Jahre alt war er, als er 1983 erstmals als Spieler nach Deutschland zu Tusem Essen gewechselt ist. Zur Legende wurde er dann als Trainer. Nach seiner ersten Station beim VfL Hameln führte er den SC Magdeburg zur Meisterschaft und dem ersten deutschen Triumph in der Champions League, seine Erfolge mit dem THW Kiel machten ihn in der Branche einzigartig. „Ich bin extrem stolz, Nationaltrainer Deutschlands zu sein“, sagt Gislason: „Gerade weil ich bald die Hälfte meines Lebens in Deutschland verbracht habe.“Die Arbeit mit den jungen Spielern betrachtet er als „Geschenk“. Klar ist, dass Gislason in den nun auch als Blitzableiter für seine noch recht unerfahrene Mannschaft fungiert. „Er muss Druck von unseren Schultern wegnehmen“, sagt Spielmacher Juri Knorr. Doch mit Druck, das wird in diesen Tagen immer wieder deutlich, hat Gislason kein Problem.