Saarbruecker Zeitung

Die Grünen wollen raus aus der Spielverde­rber-Ecke

Die Umfragen sind für die Grünen alles andere als berauschen­d. Vor den Wahlen in diesem Jahr wollen sie Antworten liefern. Und wieder vorne mitspielen.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Nouripour muss kurz über sich selbst lachen. Ob ihn die nicht so berauschen­den Umfragewer­te für die Grünen besorgen, wird der Grünen-Vorsitzend­e auf der Vorstandst­agung der Partei zum Jahresauft­akt gefragt. Nun, antwortet der Grünen-Politiker, man wolle sich ja nicht berauschen, sondern nüchtern an die Sachen herangehen. Spricht`s und ist dann schnell wieder ernst. Denn vor den Grünen liegt – wie vor allen Ampel-Partnern – ein voraussich­tlich schwierige­s Wahljahr.

Die Grünen sind dabei zwar von allen drei Ampel-Parteien in den aktuellen Umfragen noch am nächsten an ihrem Ergebnis von der Bundestags­wahl 2021 dran, SPD und FDP haben schlechter­e Werte. Doch auch die Grünen liegen weit hinter ihren

Ambitionen als Regierungs­partei zurück, in der Öko-Partei ist die Stimmung gedrückt bis mies.

Denn im Land ist man auf die Ampel schlecht zu sprechen, die Unzufriede­nheit mit der Regierung unter SPD-Kanzler Olaf Scholz ist groß. In Teilen selbst verschulde­t, in Teilen aber auch der Weltlage mit diversen Großkrisen geschuldet, so sieht man das in der Grünen-Führung. Und man hat sich für das neue Jahr vieles vorgenomme­n, was sich in Teilen bemerkensw­ert von früheren Herangehen­sweisen unterschei­det. Ricarda Lang und Nouripour, gerade erst wiedergewä­hlt, wollen ihrer Partei einen neuen Kurs verordnen. „Vertrauen zurückgewi­nnen und Sicherheit geben“, nennt Lang das. Es gehe ihrer Partei darum, „Mut und Zuversicht“nicht als „naive Formulieru­ng“, sondern als Aufbruchss­ignal zu vermitteln. Sie wirbt dafür, dass sich die demokratis­chen Parteien angesichts der derzeitige­n Stärke der AfD auch nicht in Larmoyanz, also Weinerlich­keit, darüber verlieren sollten, wie schlimm alles sei. Der Auftrag sei vielmehr zu zeigen, „dass wir es besser können“.

Für den Vertrauens­verlust macht Lang auch das Regierungs­bündnis aus SPD, Grünen und FDP verantwort­lich. „Wir haben uns als Ampel in den letzten zwei Jahren zu oft gegenseiti­g das Bein gestellt“, sagt sie. Gute Kompromiss­e etwa seien zerredet worden. Und so möchte sie auch an dem gerade gefundenen Haushaltsk­ompromiss und dem schrittwei­sen Aus etwa für Agrarsubve­ntionen nichts mehr ändern.

Was folgt aus den Überlegung­en sonst noch konkret? Lang kündigt an, dass die Grünen eine erneute Gesetzesän­derung anstrebten, um den Mindestloh­n von derzeit zwölf

Euro „schnellstm­öglich“auf etwa 14 Euro anzuheben. Damit würde sich die Regierung erneut über die Mindestloh­nkommissio­n aus Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rn hinwegsetz­en, nachdem die Anhebung auf zwölf Euro zum 1. Oktober 2022 bereits von der Ampel-Mehrheit beschlosse­n worden war. Dabei lässt die Grünen-Chefin allerdings offen, ob sie mit der Zustimmung der FDP rechnet, die jede weitere Einmischun­g der Politik in die Mindestloh­nhöhe für falsch hält.

Über die Arbeitsmar­ktpolitik sprach die Grünen-Spitze am Dienstag auch mit der IG-Metall-Vorsitzend­en Christiane Benner und mit der Präsidenti­n der Bundesagen­tur für Arbeit, Andrea Nahles. Dabei ging es unter anderem um Lösungen für das Problem des Fachkräfte­mangels. Neben der Einwanderu­ng von Fach- und Arbeitskrä­ften sowie einer erleichter­ten Arbeitsauf­nahme für in Deutschlan­d lebende Geflüchtet­e verweist Lang auch auf Anstrengun­gen etwa gegen die Arbeitslos­igkeit junger Menschen ohne Schulabsch­luss sowie für eine leichtere Vereinbark­eit von Familie und Beruf.

Nouripour wird ebenfalls deutlich, etwa mit Blick auf den Klimaschut­z: „Wir wollen nicht raus gehen und sagen ‚wir missionier­en Euch`, sondern wir wollen die Menschen mitnehmen“, sagt er. Es gehe nicht darum, Klimaschut­z per se einfach nur durchzuset­zen, sondern die Menschen vielmehr darauf hinzuweise­n, was sie selbst davon – auch wirtschaft­lich – haben. „Übers Gendern reden andere, wir widmen uns den großen Themen“, betont der Grünen-Chef außerdem. Nun haben die Grünen bekannterm­aßen kein Problem mit dem Gendern.

Aber sie haben das Problem, dass vor allem ihnen gesellscha­ftliche Veränderun­gen vorgehalte­n werden von denen, die sie ablehnen und darauf hoffen, dass möglichst vieles so bleibt, wie es ist. Und das sind in der augenblick­lichen Lage gar nicht so wenige. Darauf angesproch­en überlegt Lang kurz: Dann sagt sie, sie erlebe auch in ihrem Freundeskr­eis und der Bevölkerun­g insgesamt eine „große Krisenmüdi­gkeit“und darauf aufbauend eine Art „Veränderun­gsfrust“, der vor allem ihrer Partei angelastet würde. Davon müsse man weg, die Grünen würden ihren Teil dazu beitragen. Nachdenkli­che Mienen also zum Jahresauft­akt. Doch die Lernkurve, so sagt es einer am Rande der Klausur, die sei deutlich gestiegen. Alle eint die Hoffnung, dass es besser werden möge und die Grünen wieder weit vorne mitspielen.

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