Die Grünen wollen raus aus der Spielverderber-Ecke
Die Umfragen sind für die Grünen alles andere als berauschend. Vor den Wahlen in diesem Jahr wollen sie Antworten liefern. Und wieder vorne mitspielen.
Nouripour muss kurz über sich selbst lachen. Ob ihn die nicht so berauschenden Umfragewerte für die Grünen besorgen, wird der Grünen-Vorsitzende auf der Vorstandstagung der Partei zum Jahresauftakt gefragt. Nun, antwortet der Grünen-Politiker, man wolle sich ja nicht berauschen, sondern nüchtern an die Sachen herangehen. Spricht`s und ist dann schnell wieder ernst. Denn vor den Grünen liegt – wie vor allen Ampel-Partnern – ein voraussichtlich schwieriges Wahljahr.
Die Grünen sind dabei zwar von allen drei Ampel-Parteien in den aktuellen Umfragen noch am nächsten an ihrem Ergebnis von der Bundestagswahl 2021 dran, SPD und FDP haben schlechtere Werte. Doch auch die Grünen liegen weit hinter ihren
Ambitionen als Regierungspartei zurück, in der Öko-Partei ist die Stimmung gedrückt bis mies.
Denn im Land ist man auf die Ampel schlecht zu sprechen, die Unzufriedenheit mit der Regierung unter SPD-Kanzler Olaf Scholz ist groß. In Teilen selbst verschuldet, in Teilen aber auch der Weltlage mit diversen Großkrisen geschuldet, so sieht man das in der Grünen-Führung. Und man hat sich für das neue Jahr vieles vorgenommen, was sich in Teilen bemerkenswert von früheren Herangehensweisen unterscheidet. Ricarda Lang und Nouripour, gerade erst wiedergewählt, wollen ihrer Partei einen neuen Kurs verordnen. „Vertrauen zurückgewinnen und Sicherheit geben“, nennt Lang das. Es gehe ihrer Partei darum, „Mut und Zuversicht“nicht als „naive Formulierung“, sondern als Aufbruchssignal zu vermitteln. Sie wirbt dafür, dass sich die demokratischen Parteien angesichts der derzeitigen Stärke der AfD auch nicht in Larmoyanz, also Weinerlichkeit, darüber verlieren sollten, wie schlimm alles sei. Der Auftrag sei vielmehr zu zeigen, „dass wir es besser können“.
Für den Vertrauensverlust macht Lang auch das Regierungsbündnis aus SPD, Grünen und FDP verantwortlich. „Wir haben uns als Ampel in den letzten zwei Jahren zu oft gegenseitig das Bein gestellt“, sagt sie. Gute Kompromisse etwa seien zerredet worden. Und so möchte sie auch an dem gerade gefundenen Haushaltskompromiss und dem schrittweisen Aus etwa für Agrarsubventionen nichts mehr ändern.
Was folgt aus den Überlegungen sonst noch konkret? Lang kündigt an, dass die Grünen eine erneute Gesetzesänderung anstrebten, um den Mindestlohn von derzeit zwölf
Euro „schnellstmöglich“auf etwa 14 Euro anzuheben. Damit würde sich die Regierung erneut über die Mindestlohnkommission aus Gewerkschaften und Arbeitgebern hinwegsetzen, nachdem die Anhebung auf zwölf Euro zum 1. Oktober 2022 bereits von der Ampel-Mehrheit beschlossen worden war. Dabei lässt die Grünen-Chefin allerdings offen, ob sie mit der Zustimmung der FDP rechnet, die jede weitere Einmischung der Politik in die Mindestlohnhöhe für falsch hält.
Über die Arbeitsmarktpolitik sprach die Grünen-Spitze am Dienstag auch mit der IG-Metall-Vorsitzenden Christiane Benner und mit der Präsidentin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles. Dabei ging es unter anderem um Lösungen für das Problem des Fachkräftemangels. Neben der Einwanderung von Fach- und Arbeitskräften sowie einer erleichterten Arbeitsaufnahme für in Deutschland lebende Geflüchtete verweist Lang auch auf Anstrengungen etwa gegen die Arbeitslosigkeit junger Menschen ohne Schulabschluss sowie für eine leichtere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Nouripour wird ebenfalls deutlich, etwa mit Blick auf den Klimaschutz: „Wir wollen nicht raus gehen und sagen ‚wir missionieren Euch`, sondern wir wollen die Menschen mitnehmen“, sagt er. Es gehe nicht darum, Klimaschutz per se einfach nur durchzusetzen, sondern die Menschen vielmehr darauf hinzuweisen, was sie selbst davon – auch wirtschaftlich – haben. „Übers Gendern reden andere, wir widmen uns den großen Themen“, betont der Grünen-Chef außerdem. Nun haben die Grünen bekanntermaßen kein Problem mit dem Gendern.
Aber sie haben das Problem, dass vor allem ihnen gesellschaftliche Veränderungen vorgehalten werden von denen, die sie ablehnen und darauf hoffen, dass möglichst vieles so bleibt, wie es ist. Und das sind in der augenblicklichen Lage gar nicht so wenige. Darauf angesprochen überlegt Lang kurz: Dann sagt sie, sie erlebe auch in ihrem Freundeskreis und der Bevölkerung insgesamt eine „große Krisenmüdigkeit“und darauf aufbauend eine Art „Veränderungsfrust“, der vor allem ihrer Partei angelastet würde. Davon müsse man weg, die Grünen würden ihren Teil dazu beitragen. Nachdenkliche Mienen also zum Jahresauftakt. Doch die Lernkurve, so sagt es einer am Rande der Klausur, die sei deutlich gestiegen. Alle eint die Hoffnung, dass es besser werden möge und die Grünen wieder weit vorne mitspielen.