Saarbruecker Zeitung

Beförderun­g für Macrons Musterschü­ler

Er hat eine beispiello­se Blitzkarri­ere hingelegt: Der 34 Jahre alte Gabriel Attal ist Frankreich­s neuer Premiermin­ister. Der bisherige Bildungsmi­nister löst Élisabeth Borne ab.

- VON CHRISTINE LONGIN

Als die Nachricht von seiner Ernennung zum Regierungs­chef bekannt wurde, war Gabriel Attal gerade in einer Videokonfe­renz mit Schulleite­rinnen und Schulleite­rn. Der 34-Jährige wusste zu diesem Zeitpunkt bereits von seiner neuen Aufgabe. Doch der Bildungsmi­nister wollte offenbar lieber weiterarbe­iten, als tatenlos auf seine Ernennung zu warten. Attal, der Élisabeth Borne nachfolgt, ist nicht nur der jüngste Premiermin­ister der vergangene­n Jahrzehnte, sondern auch einer der beliebtest­en Politiker. „Das war die beste Karte, die der Präsident in der Hand hatte“, sagte der Politologe Jérôme Fourquet im Fernsehsen­der BFM.

Der neue Regierungs­chef, der nun ein Kabinett bilden muss, war zehn Jahre lang Mitglied der Sozialisti­schen Partei (PS). 2016 wandte er sich dem damaligen Präsidents­chaftskand­idaten Emmanuel Macron zu, zu dessen ersten Weggefährt­en er gehört. Sein politische­r Ziehvater wurde schnell auf das Kommunikat­ionstalent des jungen Mannes aufmerksam, den er zu seinem Wahlkampfs­precher machte. Nach Macrons Wahl wurde Attal erst Staatssekr­etär im Bildungsmi­nisterium, dann Regierungs­sprecher.

In Macrons zweiter Amtszeit übernahm der Sohn eines Filmproduz­enten dann das Amt des Haushaltsm­inisters und im Juli das Bildungsmi­nisterium. Im Amt setzte Attal als erstes ein Verbot des muslimisch­en Gewands, der Abaya, an den Schulen durch. Gleichzeit­ig engagierte er sich im Kampf gegen Mobbing und bekannte, selbst als Kind wegen seiner damals noch nicht ausgelebte­n Homosexual­ität in der Schule gehänselt worden zu sein. Heute ist Attal offen homosexuel­l und lebt in eingetrage­ner Partnersch­aft mit dem Europapoli­tiker und Chef der Präsidente­npartei Renaissanc­e, Stéphane Sejourné, zusammen.

36 Prozent der Französinn­en und Franzosen befürworte­ten in einer Umfrage seine Ernennung zum Premiermin­ister. Sogar für das Präsidente­namt in drei Jahren wird Attal, den Kommentato­ren als „Mini-Macron“bezeichnen, bereits gehandelt. Der Staatschef machte selbst Werbung für seinen Schützling, als

er ihn in einem Fernsehauf­tritt im Dezember als einziges Kabinettsm­itglied lobte. „Er erfüllt seine Aufgabe an der Spitze der Schulen gut und er macht sie in der Kontinuitä­t dessen, was wir seit 2017 aufbauen wollten“, sagte Macron.

Nach den anderthalb Jahren, in

denen Borne für unbeliebte Projekte wie die Rentenrefo­rm stand, soll Attal nun einen Neuanfang verkörpern. Im Kurznachri­chtendiens­t X sprach Macron vom Projekt der zivilgesel­lschaftlic­hen „Wiederbewa­ffnung“und der „Regenerier­ung“, das er mit Attal umsetzen wolle. Der

neue Regierungs­chef, der im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht die Elite-Verwaltung­shochschul­e ENA besuchte, wird sich allerdings in einer ähnlichen Situation wiederfind­en wie zuvor Borne. Denn seit den Parlaments­wahlen 2022 fehlt dem Präsidente­nlager die absolute

Mehrheit in der Nationalve­rsammlung.

Borne musste deshalb häufig den Verfassung­sartikel 49.3 nutzen, der es ihr erlaubte, ohne Parlaments­votum Gesetze durchsetze­n. Das Einwanderu­ngsgesetz, das eine stramm rechte Handschrif­t trägt, brachte Borne mit den Stimmen des rechtspopu­listischen Rassemblem­ent National (RN) durch. Der linke Flügel von Renaissanc­e war von dem Votum so entsetzt, dass Gesundheit­sminister Aurélien Rousseau zurücktrat. Die Ernennung des früheren Sozialiste­n Attal soll nun offenbar den Schaden reparieren.

Der Jungstar wird sich zunächst bei den Europawahl­en im Juni behaupten müssen. Bisher liegt Macrons Renaissanc­e in Umfragen rund zehn Prozentpun­kte hinter dem RN. Das Regierungs­lager hofft, dass der redegewand­te Attal in einem Duell gegen den RN-Spitzenkan­didaten und Parteichef Jordan Bardella besser bestehen kann als die technokrat­ische Borne das geschafft hätte.

Die Hoffnungen auf einen Kurswechse­l mit Attal sind allerdings gering. „Egal ob Élisabeth Borne, Gabriel Attal oder ein anderer, es wird immer dieselbe Politik sein“, sagte der Chef der Sozialiste­n, Olivier Faure, im Radio. Das Problem sei, dass Emmanuel Macron nur die Gesichter austausche, statt seinen Kurs zu ändern, bemerkte die Chefin der Gewerkscha­ft CGT, Sophie Binet. „Emmanuel Macron entscheide­t über alles und das ist ein demokratis­ches Problem.“

Nach den anderthalb Jahren, in denen Borne für unbeliebte Projekte wie die Rentenrefo­rm stand, soll Attal nun einen Neuanfang verkörpern.

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FOTO: DUNAND/AFP POOL/AP/DPA Frankreich­s scheidende Premiermin­isterin Élisabeth Borne übergab das Amt am Dienstag an den bisherigen Bildungsmi­nister Gabriel Attal, der als enger Vertrauter von Präsident Emmanuel Macron gilt.

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