„Mit der europäischen Idee Wahlen gewinnen“
Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl spricht über Projekte in der ablaufenden Legislaturperiode und ihre Vision für Europa.
Fasziniert schaut Katarina Barley (SPD) von ihrem Büro im zwölften Stück des Brüsseler Abgeordnetenhochhauses auf den Abendhimmel. Er ist strahlend rot. Sie nimmt es als gutes Omen für ihre Spitzenkandidatur bei den Europawahlen und erklärt im Interview ihre Schwerpunkte.
Die EU-Gesetzgeber sind auf der Zielgeraden der Wahlperiode. Was müssen sie unbedingt noch leisten? BARLEY Da ist vor allem das Gemeinsame Europäische Asylrecht. Da sind noch viele technische Fragen offen. Aber alle Seiten sind guten Willens, und so finden wir hoffentlich einen gemeinsamen Weg.
Wird es am Wahltag, am 9. Juni, einen zentralen Punkt des Asylpaketes, die Unterbringung von Familien mit geringer Bleibeperspektive in
Aufnahmelagern an der Grenze, bereits geben?
BARLEY Wir werden sehen. Die Einrichtungen müssen ja erst geschaffen werden, und wir werden darauf achten, dass sie humanitären Standards entsprechen.
In vielen Ländern sehen sich sechs
Monate vor der Europawahl Rechtspopulisten im Aufwind. Wie groß ist die Gefahr für das Projekt Europa? BARLEY Die Gefahr ist real. Und sie bezieht sich nicht nur auf das Parlament. Weil sie auch schon Mitglieder nationaler Regierungen sind, ist das Problem auch schon im Rat. Damit einher zieht sie auch in die Kommission. Wir leben in Zeiten von Verunsicherung, die für diese Strömungen einen Nährboden bilden und die diese Verunsicherung auch weiter schüren.
Was ist Ihre Hoffnung?
BARLEY Dass die Leute sehen, was dann passiert. Etwa in Italien, wo Menschen per SMS mitgeteilt bekommen, in wenigen Tagen aus der Sozialhilfe zu fliegen. Oder dass die Wähler diese völlig irre Parlamentsreform sehen, wo eine Partei automatisch 55 Prozent der Sitze bekommen soll, wenn sie nur am stärksten abgeschnitten hat, auch wenn sie zum Beispiel nur 23 Prozent der Wählerstimmen erhalten hat.
Kann die EU aus Polen lernen, wie sich Rechtspopulismus auch wieder zurückdrehen lässt?
BARLEY Wir müssen jeden Mitgliedstaat einzeln betrachten. Es lässt sich nur wenig auf andere Länder übertragen. In Polen ist die Situation stark von Personen geprägt, von Kaczynski, dieser Übermacht in der PiS, der gegen die EU steht und Deutschland hasst. Ihm gegenüber steht Tusk, der der EU nahesteht. Ich habe immer daran geglaubt, dass sich die Polen am Ende für die Freiheit entscheiden werden. Und so ist es jetzt geschehen. Das lässt sich aber nicht auf Ungarn übertragen. In Spanien sind die Rechtsextremisten nicht so stark geworden, wie befürchtet, auch in anderen Ländern spielen sie eine geringere Rolle. Für alle gilt aber: Wir müssen sehr viel deutlicher machen, was auf dem Spiel steht und warum jeder die Europäische Union so sehr braucht.
Sie wollen also wie Tusk mit der europäischen Idee Wahlen gewinnen?
BARLEY Natürlich: Wir müssen mit der europäischen Idee Wahlen gewinnen. Genauso klar ist, dass wir die Menschen unterschiedlich ansprechen. Junge Menschen verstehen sehr schnell, was auf dem Spiel steht, wenn ich darauf hinweise, dass das, was für sie selbstverständlicher Teil ihres Lebens ist, bedroht wird. Dazu reicht schon der Hinweis auf Großbritannien. Hätten sich dort die jungen Leute am Referendum beteiligt, wäre der Brexit nicht passiert. Dann gibt es sehr viele, die proeuropäisch sind und die sich nur entscheiden müssen, welche der proeuropäischen Parteien sie wählen.
Und Ihre Vision von Europa? Wie vermitteln sie die?
BARLEYManchen reicht die EU als Wirtschaftsraum, als Binnenmarkt, als gemeinsame Währung. Ich will verdeutlichen, dass das soziale Europa elementar dazugehört. Durch die EU geht es den Menschen besser. Und ich will das Thema Frieden mehr betonen. Die EU hat den Friedensnobelpreis nicht wegen internationaler Initiativen bekommen, sondern weil es seit ihrem Bestehen innerhalb ihrer Grenzen keinen Krieg mehr gegeben hat. Immer mehr Menschen verstehen allmählich, dass das nicht selbstverständlich ist.