Warum der Staat Kirchen Millionenbeträge zahlt
Als Entschädigung für enteigneten Besitz aus dem Jahr 1803 zahlt der Staat beiden christlichen Kirchen jedes Jahr Geld. 2023 waren es über 600 Millionen Euro.
komisch es klingen mag: An den Kirchen kommt hierzulande auch 2024 niemand vorbei – ganz gleich, ob gläubig oder ungläubig, ob Mitglied oder Außenstehender. Zumindest finanziell. Denn an den sogenannten Staatsleistungen, die neben der Kirchensteuer jedes Jahr an beide christlichen Kirchen gezahlt werden, sind alle steuerpflichtigen Bürger beteiligt. Im vergangenen Jahr waren es 602 Millionen Euro, die auf diesem Wege in die Kassen der katholischen und evangelischen Kirche flossen. Es ist der bisherige Rekordwert. Nicht wenige ärgern sich über diese Sonderzahlungen und fragen zunehmend lauter: wofür eigentlich?
Die kurze Antwort: Die Zahlungen sind ein Ausgleich für die Enteignung von Kirchenbesitz im Jahr 1803. Die etwas längere Erklärung: In den Napoleonischen Kriegen verloren die deutschen Fürsten Gebiete an Frankreich. Auf der Suche nach Entschädigungen fiel der Blick auf die Kirche. Im „Reichsdeputationshauptschluss“wurde die Enteignung kirchlicher Territorien beschlossene Sache. Zum Ausgleich verpflichteten sich die weltlichen Herrscher zu Ersatzzahlungen an die Kirchen.
Über 200 Jahre ist das nun her, und es gibt Sachverständige, die errechnet haben, dass den Kirchen allein in den vergangenen 100 Jahren dadurch das 194-Fache des ursprünglichen Vermögenswertes zukam – bei einer jährlichen Verzinsung von drei Prozent. Das ist auch den Politikern ein Dorn im Auge, nicht erst seit gestern. Bereits in der Weimarer Republik wurde beschlossen, über Schritte einer finanziellen Ablösung dieser „Altlast“nachzudenken. Als Arbeitsaufgabe findet sich das Vorhaben auch im Koalitionsvertrag der Ampel mit neuen Beratungen und behutsamen Fortschritten.
Das hat Gründe. Zum einen ist es die Höhe der abschließenden Einmalzahlung. Soll es das Zehn- oder 15-Fache der jährlichen Staatsleistung sein? Oder gar das 25-Fache? Favorisiert wird immer mal wieder der Ablösungsfaktor 18,6 – und das wären nach jüngstem Stand knapp 11,2 Milliarden Euro. Auf einen, aber dann auch letzten Schlag. Dass sich dazu niemand durchringen mag, hat drei Ursachen. Zum einen ist da das Bund-Länder-Verhältnis. Der Bund würde die Ablösung beschließen, aber die Länder müssten sie bezahlen. Angesichts zunehmend klammer Kassen ist der Widerstand aus den Ländern verständlich. „Dort spielt die Musik der Religionspolitik, nicht in Berlin“, so der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller. Hinzu kommt die unterschiedliche
Finanzlage der Kirchen in Deutschland: Denn während die Staatsleistungen in den NRW-Bistümern nur etwas mehr als zwei Prozent ihrer Haushalte ausmachen, und sie deshalb einer möglichen Ablösung gelassen entgegenschauen, beträgt ihr Anteil in der Mitteldeutschen Evangelischen Landeskirche mehr als 15 Prozent. Schließlich: Kirchen übernehmen bis heute Pflichtaufgaben für den Staat, insofern sind die noch bezahlbaren Staatsleistungen eine klassische Win-win-Situation. „Noch will man die finanzstarken Kirchen in ihrem gesellschaftlich relevanten Engagement nicht missen und ist dafür bereit, trotz Verfassungsauftrag und vielleicht sogar einem Ablösungsgesetz auf Zeit zu spielen“, so Schüller.
Warum also das funktionierende Verhältnis von Staat und Kirche ohne Not aufkündigen? Zumindest eine radikale Trennung mit einer baldigen Ablösung der Staatsleistung wäre auch aus Schüllers Sicht unverantwortlich. Vielmehr plädiert er für einen allmählichen Abbau von kirchlichen Monostrukturen im Gesundheits- und Erziehungswesen. Weniger behutsam argumentiert der Regensburger Dogmatiker Wolfgang Beinert und fragt: Warum soll der Staat eine Religionsgemeinschaft privilegieren, zu deren Mitgliedern bald nur noch 25 Prozent der Bevölkerung zählen und die sich dem demokratischen Gleichheitsprinzip unverdrossen widersetzt bei „fortdauernder Reformallergie“?
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