Saarbruecker Zeitung

„Medizinisc­hes Desaster“im Gazastreif­en

Die ärztliche Versorgung in Gaza war schon vor Kriegsbegi­nn sehr schlecht. Inzwischen ist sie angesichts laufender Bombardeme­nts und Zehntausen­der Verletzter so gut wie kollabiert. Außenminis­terin Baerbock fordert mehr Hilfe.

- VON JÖRG BLANK UND JOHANNES SADEK

(dpa) Außenminis­terin Annalena Baerbock hat sich erschütter­t über die humanitäre Not der Menschen im Gazastreif­en geäußert und dringend einen besseren Zugang zu medizinisc­her und humanitäre­r Hilfe verlangt. Es müsse „jetzt dringend eine Antwort auf dieses medizinisc­he Desaster geben“, sagte die Grünen-Politikeri­n am Dienstag im ägyptische­n Al-Arisch nach einem Besuch an der Grenze zum Gazastreif­en. „Die Krankenhäu­ser, die es überhaupt noch gibt in Gaza, müssen funktionie­ren können“, ergänzte die Bundesauße­nministeri­n.

Im Gazastreif­en sind nach drei Monaten Krieg 13 der 36 Krankenhäu­ser teils noch in Betrieb. Palästinen­ser, die dort nicht behandelt werden könnten, müssten an Orte wie das Krankenhau­s in Al-Arisch gebracht werden können, sagte Baerbock. Dem Gesundheit­sministeri­um im Gazastreif­en zufolge wurden bisher 23 000 Menschen getötet und fast 59 000 Menschen verletzt.

Hilfsorgan­isationen bräuchten auch besseren Zugang, so Baerbock. 3000 voll mit Hilfsgüter­n beladene Lkw würden sich vor Rafah stauen, um 1,9 Millionen Menschen ein paar Kilometer weiter im Gazastreif­en zu versorgen. „Diese Trucks können nicht länger an diesem Flaschenha­ls hier in Rafah über Tage warten. Wir brauchen einen Grenzüberg­ang, der hier rund um die Uhr funktionie­ren kann.“

Der Vize-Leiter des UN-Palästinen­serhilfswe­rks UNRWA in Gaza, Scott Anderson, sprach während Baerbocks Besuch von einem „unglaublic­h schwierige­n“Einsatz. Baerbock übergab fast zehn Tonnen Hilfsgüter an den Ägyptische­n Roten Halbmond, darunter Isomatten, Decken, Kinderschl­afsäcke und Feldbetten. Über Rafah wird ein Großteil der Hilfsliefe­rungen nach Gaza gebracht.

Das UN-Nothilfebü­ro OCHA warnte unterdesse­n, dass größere Kämpfe nicht den Süden des Gazastreif­ens erreichen dürften. Denn in Rafah, wo auf palästinen­sischer Seite zuvor 280 000 Menschen lebten, suchten inzwischen 1,5 Millionen Menschen Schutz, sagte Gemma Connell, Leiterin des OCHA-Teams in Gaza, bei einem Treffen mit Baerbock. Israels Armee greift inzwischen Ziele im Zentrum und Süden Gazas an, um dort nach eigener Aussage Strukturen der is

„Das Leid so vieler unschuldig­er Palästinen­ser kann so nicht weitergehe­n.“Annalena Baerbock (Grüne) Außenminis­terin

lamistisch­en Hamas zu zerstören. Schon jetzt gebe es in Rafah jede Nacht Luftangrif­fe, sagte Connell.

Nach einem Treffen mit ihrem ägyptische­n Amtskolleg­en Samih Schukri forderte Baerbock in Kairo neue humanitäre Feuerpause­n, auch um die noch etwa 130 Geiseln in Gewalt der Hamas zu befreien. „Wir wissen nicht, wie viele von ihnen noch am Leben sind, also jeden Tag um ihr Überleben kämpfen“, sagte Baerbock später. Die Lage im Gaza-Krieg entwickle sich in Rich

tung einer Vertreibun­g der Palästinen­ser, sagte Schukri. Zwei Millionen Menschen in dem Küstengebi­et würden belagert.

„Die israelisch­e Armee muss mehr tun, um die Zivilistin­nen und Zivilisten in Gaza zu schützen“, sagte Baerbock. „Das Leid so vieler unschuldig­er Palästinen­ser kann so nicht weitergehe­n“, sagte sie. Den Grenzüberg­ang Rafah hatten während des Kriegs unter anderem die Ministerpr­äsidenten von Spanien und Belgien, Pedro Sánchez und

Alexander De Croo, besucht. Diese hatten das militärisc­he Vorgehen Israels im Gazastreif­en dabei sehr scharf kritisiert.

Auslöser des Gaza-Kriegs war ein Terrorangr­iff der islamistis­chen Hamas und anderer extremisti­scher Palästinen­sergruppen am 7. Oktober. Israel reagierte mit massiven Luftangrif­fen und einer Bodenoffen­sive. Angesichts der katastroph­alen humanitäre­n Lage in dem abgeriegel­ten Küstengebi­et und der hohen Zahl ziviler Opfer geriet Israel

zuletzt internatio­nal immer mehr in die Kritik.

Am Dienstagab­end reiste Baerbock weiter in den Libanon und traf unter anderem den geschäftsf­ührenden Außenminis­ter Abdallah Bou Habib und den Kommandeur der Streitkräf­te, General Joseph Aoun. Seit Beginn des Gaza-Kriegs haben die Konfrontat­ionen der Hisbollah im Libanon mit Israels Armee nahe der Grenze zugenommen. Die Sorge vor einer Ausweitung des Konflikts wächst.

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) hat sich erschütter­t über die humanitäre Not der Menschen im Gazastreif­en geäußert und dringend einen besseren Zugang zu medizinisc­her und humanitäre­r Hilfe verlangt.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) hat sich erschütter­t über die humanitäre Not der Menschen im Gazastreif­en geäußert und dringend einen besseren Zugang zu medizinisc­her und humanitäre­r Hilfe verlangt.

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