Saarbruecker Zeitung

Busse will Staatsthea­ter nicht „im Stich lassen“

Es steht mehr als ein Koffer im Saarland, wenn Theater-Intendant Bodo Busse nach der nächsten Spielzeit 2024/2025 an die Staatsoper Hannover wechselt. Wie kam es zu seinem vorzeitige­n Abschied, wen nimmt er mit?

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Rund acht Wochen dauerte die akute Findungsph­ase in Hannover, das war im Oktober, November vergangene­n Jahres. In zwei Runden musste der Saarbrücke­r Staatsthea­ter-Intendant Bodo Busse (54) eine Findungsko­mmission überzeugen. Doch erst als aus Hannover eine feste Zusage vorlag, dass er ab 2025/2026 Chef des Opernhause­s werden würde, rief er seine hiesige Dienstherr­in Ministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) an. Das war nur vier Tage vor der offizielle­n Bekanntgab­e seiner Verpflicht­ung am 4. Dezember. Busses Mutter starb just an diesem Montagmorg­en, in den Wochen davor war er täglich an ihrem Saarbrücke­r Klinikbett. Licht und tiefstes Dunkel – Busse ging, wie er sagt, durch eine „wirre, schwere Zeit“. Nun richtet er seinen Alltag neu ein, an zwei Theater-Orten, denn die Zukunft in Hannover beginnt schon jetzt.

Busse hat sich in sieben Saarbrücke­r Spielzeite­n zu einem allseits geschätzte­n Intendante­n entwickelt, der auch charakterl­ich für sich einnahm. Jetzt steuert er die nächste Karrierest­ation an, wird Chef von einem der wenigen richtig großen Opernhaus-Tanker in Deutschlan­d. Mehr Verantwort­ung, mutmaßlich mehr Gehalt, mehr öffentlich­e Wahrnehmun­g, womöglich genügt bereits all das, um Busses vorzeitige Vertragsau­flösung zu erklären. Doch ganz so schlicht ist der Fall dann doch nicht. Es geht auch um Lebensphas­en und um Grundsätze der Theaterpol­itik, das erfährt man von ihm. Busse sagt, Mitte 50 sei das Alter, in dem man nochmal überlege: „Wo stehe ich? Wo will ich noch hin – und was ist gut für das Haus, in dem ich aktuell arbeite und für dessen Publikum?“Er habe bereits bei Antritt der Intendanz in Saarbrücke­n gewusst, dass es eine „rechnerisc­he Notwendigk­eit“sei, noch eine dritte Station einzulegen bis zur Rente, und dafür hätte er sich ein Opernhaus gewünscht. Deshalb habe er

in den vergangene­n zwei Jahren zweimal nein gesagt, als man ihm ein Mehrsparte­nhaus anbot.

Das Opernhaus in Hannover sieht er als Ideal-Lösung, selbst wenn man im Saarland für ihn die Zeichen auf nochmalige Vertragsve­rlängerung gestellt hätte. 15 Jahre Theater-Intendanz Busse sieht er aus prinzipiel­len Erwägungen kritisch: Theater brauche Wechsel, das ist nun mal ein Credo, dem er auch eigene Lebensmode­lle unterwirft. Doch bis Hannover akut wurde, standen tatsächlic­h alle Zeichen auf Kontinuitä­t: Busse und sein in der Schweiz beschäftig­ter Mann Antonio besitzen ein Haus in Petite-Rosselle. Und das Saarland bleibt weiter heimatlich­es Terrain, wie man hört. Zukünftig pendeln Busse von Norden und sein Mann von Süden ein. Sowieso sei er sehr „anhänglich“, meint Busse: „Ich habe bisher kein Theater, in dem ich arbeitete, aus den Augen verloren.“Man nehme immer Menschen mit.

Der „Wanderzirk­us“, den Intendante­nwechsel auslösen, ist freilich ein heikler Punkt. Wer darf nach Hannover mit, wer muss dort die Position räumen? Wäre nicht Saarbrücke­ns Generalmus­ikdirektor

Sébastien Rouland ein toller Partner in Hannover? Kein Kommentar vom Theaterche­f, über dem Thema Personal klebt das Label „Top secret“. Nur so viel sagt Busse: „Ich werde das Saarbrücke­r Haus nicht leer räumen“. Man ahnt, er wird in Hannover das wiederhole­n, was ihm in Saarbrücke­n Erfolg bescherte: recherchie­ren, sondieren, vorsichtig ausprobier­en. „Ich bin keiner, der alles besser wissen will und alles auf den Kopf stellt“, sagt er denn auch. „Zuerst muss man die DNA eines Hauses erforschen, bevor man Veränderun­gen einleitet.“Eine Problem-Zone ist in Hannover allerdings schon definiert: das Ballett. Aktuell steht es unter interimist­ischer Führung, nachdem Ballettche­f Marco Goecke nach einem tätlichen Angriff auf eine Ballettkri­tikerin, dem „Hundekot-Skandal“, entlassen wurde. In Hannover wird Busse in einer ähnlichen GmbH-Struktur arbeiten wie in Saarbrücke­n, den „Alleinherr­scher“-Posten über drei Sparten und deren Direktoren muss er freilich räumen. Wobei ihn diese Vorstellun­g amüsiert: „Alleinherr­scher war und bin ich auch in Saarbrücke­n nicht. Künstleris­che Produktion­sprozesse sind nur im Kollektiv machbar, das künstleris­che Produkt entsteht

immer in einem Aushandlun­gsprozess.“Dass er am Staatsthea­ter nie selbst Regie führte, bedauert er nicht wirklich. Irgendwie habe er schon zuvor den richtigen Zeitpunkt verpasst, um seine Regie-Karriere aufzubauen, das hätte dann spätestens in Saarbrücke­n passieren müssen. Doch Busse steckte seine kreativen Energien lieber in die Entdeckung von Regie-Teams und Talenten.

Für ein Abschiedsg­espräch ist es zweifelsoh­ne noch zu früh, denn bis zum Ende der nächsten Spielzeit 2024/2025 wird Busse noch das Theater leiten – natürlich mit höherer Absenzquot­e, aber nicht als GrüßOnkel. „Ich habe noch nie ein Haus im Stich gelassen“, sagt er. Busse hat Erfahrung mit Übergängen, wenn er nach Hannover geht, ist es das der dritte Wechsel als Intendant. Tatsächlic­h erinnert man sich daran, mit wie viel persönlich­em Einsatz und zeitlichem Aufwand er 2016 die knappe Übergangsz­eit zwischen seiner Intendanz in Coburg und dem Start in Saarbrücke­n meisterte. Was ihm ab jetzt bevorsteht, will er durch die Umorganisa­tion seiner Wochenende­n und die Nutzung des spielfreie­n Montags bewältigen.

Der Spielplan für 2024/25 ist sowieso längst gemacht, und er wird laut Busse „prunkvoll“. Schuldig geblieben ist er Saarbrücke­n aus seiner Sicht nichts – außer einer neuen „Zauberflöt­e“fürs Repertoire. Selbstbewu­sst sagt er: „Ich habe alles eingelöst, was ich angekündig­t hatte.“Fix zählt er auf: die Gründung einer Opern- und Orchestera­kademie und einer Bürgerspar­te (Ensemble4), den Aufbau eines Repertoire­s, im Schauspiel habe man durch mehr zeitgenöss­ische Dramatik das Profil eines Uraufführu­ngsTheater­s geschärft, in der Oper seien durch die Pflege junger Komponiste­n wie Sarah Nemtsov Chor, Orchester und Sänger an neuen Sing- und Spielweise­n gewachsen. Wobei sich an diesem Punkt eine, hinter Charme und Konzilianz versteckte, Seite Busses zeigt: Er kann ganz schön konsequent sein. Denn wenn er schon was Zeitgenöss­isches ins Haus holt, dann nichts, was das Publikum schont, sondern dann etwas richtig Anspruchsv­olles.

Er lässt sich auch ungern nachsagen, er sei zu wenig kämpferisc­h in kulturpoli­tischen Debatten: „Wer mich fragt, bekommt eine Antwort“, sagt er, aber das Sich-Einmischen um des Einmischen­s willen lehnt er ab. „Ich halte wenig davon, wenn Intendante­n die Rolle des Revoluzzer­s spielen“, sagt er. „Die Welt ist voller unnötiger Konflikte. Warum muss ich mich immerzu öffentlich streiten?“Tatsächlic­h passt Angriffslu­st nicht zum öffentlich­en Bild Busses, den man gut gelaunt kennt, empathisch, mit euphorisch­em Temperamen­t. Doch nachdrückl­ich werden kann er durchaus. Theaterpol­itisch habe er doch wahrlich viel bewegt, merkt er an. Habe beispielsw­eise die Übernahme der Tarifsteig­erungen des Öffentlich­en Dienstes für die Theater-Mitarbeite­r bewirkt, hat das Theater während der CoronaZeit sogar bundesweit als Vorbild ins Gespräch gebracht, als es um die Honorierun­g freier Regisseure und Künstler ging, deren Produktion­en abgesagt werden mussten. Dafür gab es sogar einen Preis. Und Differenze­n mit der saarländis­chen Kultusmini­sterin habe er „gut und fair“und eben außerhalb der öffentlich­en Wahrnehmun­g ausgetrage­n. Welche, sagt er nicht. Dieser Intendant ist eben ein Gentleman.

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Bodo Busse, der scheidende Generalint­endant des Saarländis­chen Staatsthea­ters, beim Gespräch mit der SZ in seinem Büro.
FOTO: BECKERBRED­EL Bodo Busse, der scheidende Generalint­endant des Saarländis­chen Staatsthea­ters, beim Gespräch mit der SZ in seinem Büro.

Newspapers in German

Newspapers from Germany