„Kunst darf auch Zeit brauchen“
Im Kunstverein Sulzbach versammeln sich Kreative aus der Region. Darunter befindet sich auch eine Künstlerin aus der Gemeinde Perl: Ursula Bauer. Wir stellen sie vor.
Hoffnung, Liebe, Glaube, Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung: Das sind die sieben Tugenden, die im Katechismus der Katholischen Kirche den sieben Todsünden gegenüberstehen. Ursula Bauer hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Tugenden künstlerisch abzubilden. „Das Thema ist sehr aktuell, war immer aktuell und wird es auch immer bleiben“, findet sie. Seit 2002 ist Bauer als freischaffende Künstlerin tätig, lebt in Perl und hat sich im Keller ihres Hauses ein eigenes Atelier eingerichtet.
„Wie wäre die Welt, wenn es mehr Liebe und Tapferkeit gäbe?“, fragt Ursula Bauer und lässt dabei ihren Blick wehmütig durch ihr Atelier schweifen. Als ihre Augen ein bestimmtes Gemälde erreichen, hält sie inne. Darauf zu sehen ist ein ärmlich wirkender Junge, barfuß und mit zerrissener Kleidung. Seine großen Augen wirken müde, die Haare fallen ihm ins Gesicht. Im Hintergrund des Kindes sticht ein Schriftzug ins Auge: „Gerechtigkeit“.
„Das war ein junger Mönch, den wir in Nepal getroffen haben“, erzählt Bauer. Gemeinsam mit ihrem Mann sei sie viel gereist, war unter anderem in Afrika, Syrien oder dem Jemen. „Es ist schwierig, diese abstrakten Begriffe wie Gerechtigkeit oder Weisheit in der Kunst abzubilden“, erklärt sie. Daher stellen Künstler die Tugenden allegorisch und symbolisch dar, häufig als Frauenfiguren mit beigefügten Inschriften oder Attributen.
„Als wir im Jemen waren, sahen wir am Straßenrand eine Mädchengruppe, ich schätze, es war eine Schulklasse“, erzählt Bauer. Besonders einprägsam sei für sie gewesen, dass die jungen Frauen allesamt verhüllt waren, komplett in Schwarz, nur die Augen linsten durch den schmalen Schlitz der
Niqab. Begleitet wurde die Gruppe von einem Mann, „auf mich wirkte er fast schon wie ein Wächter. In der Hand hielt er einen Krummdolch“, beschreibt sie. Sie fragte ihn, ob sie ein Foto von den Mädchen machen dürfe. „Er fing an zu schreien – und mir wurde schnell bewusst, dass er das überhaupt nicht in Ordnung fand“, erzählt Bauer. Sie entfernten sich von der Gruppe. Wenige Minuten später spürte sie jedoch eine Hand auf ihrer Schulter. „Ich entscheide selbst darüber, wer ein Foto von mir macht“, sprach eines der Mädchen in gebrochenem Englisch zu ihr. Bauers Ehemann habe die beiden schließlich Arm in Arm fotografiert – „das war für mich die Tapferkeit in Person“, lächelt die Künstlerin.
In ihrer Bilderserie ist außer dem Nepalesen auch die junge Jemenitin auf einem der Gemälde zu sehen. Im Vordergrund prangt ein Porträt von Friedensnobelpreisträgerin Tawakkol Karman, eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Protestbewegungen im Jemen, dahinter das verschleierte Mädchen und der
Schriftzug „Tapferkeit“. Die Liebe ist dargestellt durch ihre eigene Enkelin, die den Urenkel auf dem Arm hält. „In der Kunstgeschichte wird die Liebe oft durch eine Mutter mit Kind, einen Apfel oder Pelikan dargestellt“, sagt Bauer. Aber nicht jedes Gemälde stelle Menschen aus ihrem persönlichen Umfeld dar – viele Motive entspringen auch ihrer Fantasie. Ihr Bild für Hoffnung zeigt beispielsweise ein Segelschiff, womit sie auf die Flüchtlingsbewegung anspielt.
Ein weiterer Themenschwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit sind die saarländischen Industrielandschaften. Die 72-Jährige verbindet die Schwerindustrie mit ihrer Kindheit, „das spielt auch eine große Rolle, dass ich mich in der Materie wohlfühle“, schildert sie. Ihre Bilder zeigen stillgelegte Hochöfen, aber auch auf den ersten Blick unscheinbare Details wie unterirdische Tunnellandschaften, mit Ruß verkrustete Oberflächenstrukturen oder rostige Eisenwände. Auf diesen Werken dominiert die Farbe Rot, die einerseits die „dicke Rostschicht der Realität“
abbildet und andererseits auch als „Symbolfarbe für Feuer, Gefahr, Hitze und Tod“steht, wie sie erläutert. Die Farbe erinnert an die ursprüngliche Funktion der Hochöfen, in denen Temperaturen von 1500 Grad Celsius herrschten. 1500 Grad ist dabei nicht nur die Schmelztemperatur von Eisen, sondern auch der Name von Bauers Arbeitsserie („‚1500 Grad' – Spurensuche“).
Die Perler Künstlerin arbeitet mit den unterschiedlichsten Techniken, von Acryl über Zeichnung mit Grafit, Tusche und Kreide auf Papier bis zur Radierung, ein grafisches Tiefdruckverfahren, das sich aus der Technik
des Kupferstechens entwickelt hat. In eine Kupfer-Druck-Platte werden bei der Radierung Motive und Zeichnungen geätzt oder geritzt, die Tinte wird auf die vertieften Stellen aufgetragen und das überschüssige Material abgewischt. Die Platte wird anschließend auf das Papier gepresst, um zu drucken. Deutlich wird: Das Tiefdruckverfahren nimmt Zeit in Anspruch, ursprünglich galt die Radierung als ein Mittel der Vervielfältigung. Für Ursula Bauer ist das kein Problem: „Ich mag die Entschleunigung, gerade heute geht alles so schnell – und Kunst darf auch Zeit brauchen.“