Handballer träumen vom EM-Wintermärchen
Deutsche Spieler gehen 17 Jahre nach dem WM-Titel erneut im eigenen Land auf Medaillen-Jagd. Heute Auftaktspiel gegen die Schweiz.
(sid) Alfred Gislason strahlte. Heim-EM, Turnier-Start, Weltrekord-Kulisse – der Bundestrainer und seine Handballer hätten am liebsten sofort mit ihrer Medaillen-Jagd losgelegt. „Die Stimmung ist gut, die Vorfreude riesig“, sagte Gislason am Dienstag nach dem Abschlusstraining in der FußballArena in Düsseldorf. Seine Augen leuchteten dabei.
„Ich freue mich riesig, das zu erleben, wenn die Ränge morgen voll besetzt sind“, meinte der Isländer. Beim Blick auf die noch leeren Sitzplätze erahnte die DHB-Auswahl, was sie gegen die Schweiz erwartet. „Ich glaube, es wird überwältigend, wenn wir hier einlaufen und die Nationalhymne gespielt wird“, sagte Kapitän Johannes Golla. Die außergewöhnliche Atmosphäre, meinte Gislason, werde „die Mannschaft beflügeln und nach vorn pushen“.
Nicht bloß emotional hat die knifflige Aufgabe an diesem Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF und Dyn) gegen die Schweiz herausragenden Charakter. Gislason und sein Team wollen mit einem Auftaktsieg vor 53 000 Fans in Düsseldorf und Millionen vor den Fernsehern die „Welle“erwischen und eine Handball-Euphorie im Land auslösen. Ähnlich wie 2007, als das goldene Wintermärchen gelang. „Zu Hause ist vieles möglich. Wenn so eine Stimmung und Euphorie aufkommt wie damals, können wir wirklich träumen“, sagte Gislason: „Aber der Weg ist ziemlich steinig.“
Vor der ersten Europameisterschaft auf deutschem Boden werden nicht nur beim DHB-Coach Hoffnungen auf einen erneuten Höhenflug geweckt. „Ich bin der Meinung, dass du groß träumen musst. Du kannst nicht nach den Sternen greifen, wenn du denkst, der Himmel ist die Grenze“, sagte Torhüter Andreas Wolff und fand damit die perfekten Worte für die Sehnsucht einer ganzen Sportart. 17 Jahre nach dem legendären Gold-Triumph von Köln ist es an der Zeit für eine neue Handball-Sternstunde vor heimischem Publikum.
„Zu Hause ist vieles möglich. Wenn so eine Stimmung und Euphorie aufkommt wie damals, können wir wirklich träumen.“Handball-Bundestrainer Alfred Gislason vergleicht die Heim-EM mit der WM 2007
„Mein Ziel ist es ganz klar, dass wir eine fantastische Heim-EM spielen, die optimalerweise im EM-Titel gipfelt“, sagte Wolff, einer von vier verbliebenen 2016-Europameistern im deutsche Team. Und selbst beim bislang so beherrschten Verband war es am Tag vor dem EM-Auftakt mit der Zurückhaltung vorbei. „Das Ziel Halbfinale steht fest, da brauchen wir nicht drumherum reden“, sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann: „Das muss unser Anspruch sein. Bei einer Heim-EM erst recht. Unsere Mannschaft macht einen guten Eindruck, ich freue mich auf ein tolles Handball-Fest.“
Damit die Euphorie nicht schnell Ernüchterung weicht, gilt Gislasons volle Konzentration dem wegweisenden Duell mit der Schweiz. Das Team um die 40 Jahre alte Bundesliga-Ikone Andy Schmid, das mit etlichen Deutschland-Legionären wie Magdeburgs Torhüter Nikola Portner gespickt ist, soll bloß nicht zum Partycrasher werden. Wolff warnte:
„Die Schweiz ist alles andere als ein Selbstläufer.“Und auch Kapitän Johannes Golla warnt vor einem „super Gegner. Die erste Sieben klopft absolut an der Weltspitze an.“Doch bei allem Respekt: Eine HandballGroßmacht ist die Schweiz keineswegs. Die vergangenen beiden Turniere verpassten die Eidgenossen. Hinter den Führungsspielern klafft
qualitativ eine Lücke.
Heiner Brand, Alt-Bundestrainer und Baumeister des Wintermärchens 2007, traut dem DHB-Team den Sprung aufs Treppchen zu. „Das Halbfinale sollte sicherlich drin sein“, sagte er: „Eine Medaille wäre noch besser und würde uns sehr gut tun. Gerade, weil unsere sogenannten Konkurrenzsportarten wie Bas
ketball oder Eishockey zuletzt gut abgeschnitten haben.“Nationalspieler Timo Kastening sieht die deutschen Basketball-Weltmeister als gutes Vorbild für das mit fünf TurnierDebütanten gespickte Team. „Das war absolut genial. Dieser TeamZusammenhalt, diese Lockerheit, diese Geilheit auf Erfolg wollen wir adaptieren“, sagte der Rechtsaußen.