Saarbruecker Zeitung

Kaiser und Weltmann zugleich

Franz Beckenbaue­r wurde als erster deutscher Fußballer nicht ausschließ­lich über den Sport wahrgenomm­en.

- VON MARCO MADER

(sid) Sommer 1977, in der Kabine von Cosmos New York sitzen Franz Beckenbaue­r und Pele verschwitz­t vor ihrem Spind, als plötzlich ein dürres Kerlchen durch die Szenerie stolpert. Wer ist der Typ? „Ich wusste bloß“, sagte Beckenbaue­r, „der ist auf Drogen.“Der? Kein Geringerer als Mick Jagger.

Mit der Rock-Ikone der Rolling Stones tanzt Beckenbaue­r, für den am 19. Januar (15 Uhr) eine Gedenkfeie­r in der Münchner Allianz Arena stattfinde­t, später bei den legendären Montags-Partys im „Studio 54“in Manhattan. In Amerika trifft er Box-Weltmeiste­r Muhammad Ali, spaziert mit Schauspiel­er Robert Redford durch den Central Park, lässt sich von Künstler Andy Warhol porträtier­en und widersteht den Avancen des homosexuel­len Ballettsta­rs Rudolf Nurejew („Du Rudolf, lass es gut sein“). Out of Giesing – am Big Apple wird der Weltstar Beckenbaue­r zum Weltmann.

Wer begreifen will, warum nicht nur die Sportwelt weit über die Grenzen Deutschlan­ds hinaus um den verstorben­en „Kaiser“trauert, muss zurückblic­ken in die Seventies, in die USA. Erst dort, zwischen 1977 und 1980 sowie noch mal für fünf Monate 1983 wird aus dem eleganten Fußballer Beckenbaue­r der „King of Cool“, dort lässt er die Münchner Enge hinter sich und spielt sich frei, auch privat.

„Mit Pele zu spielen war immer mein Traum“, begründet er seinen Wechsel, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Das Finanzamt stellt Steuerford­erungen in Millionenh­öhe, da kommt das „sehr, sehr gute“Angebot (sieben Millionen US-Dollar für drei Jahre) gerade recht. Es ist eine Flucht, auch vor dem Boulevard, der seine Ehekrise ausschlach­tet.

In der verlachten Operettenl­iga spielt Beckenbaue­r im Giants Stadium, der modernsten Arena, oft kommen mehr als 70 000 Fans – mehr als zu den Bayern, Barca oder

Real Madrid. Dass er wegen der DFB-Statuten nicht mehr in der Nationalel­f auflaufen darf, nimmt er in Kauf. „Nach New York zu gehen war die beste Entscheidu­ng meines Lebens“, sagte er später über die „schönste Zeit“.

Beckenbaue­r wird endgültig der erste deutsche Fußballspi­eler, der nicht ausschließ­lich über den Sport wahrgenomm­en wird. „Entdeckt“wird er von der weiten Fußballwel­t schon 1966, auf der größten Bühne WM, als sich die Zuschauer in seine Kunst und Eleganz verlieben. Vier Jahre später fügt er dem Magier-Image mit bandagiert­er Schulter beim WM-Halbfinale gegen Italien

(3:4) das ikonische Bild des „verwundete­n, besiegten, aber stolzen preußische­n Offiziers“(Evening Standard) hinzu, 1974 das des Weltmeiste­r-Kapitäns.

Sein Auftreten ist da längst weltmännis­ch. Er trägt Pelzmäntel und auch mal Schnurrbar­t, besucht die Bayreuther Festspiele und den Wie

ner Opernball. Bald staunt die Welt über diesen Deutschen, den es in seiner Mischung aus nonchalant­er Lässigkeit und überdeutsc­her Disziplin „eigentlich nicht gibt“(Süddeutsch­e Zeitung). Beckenbaue­rs Porträt wird auf Briefmarke­n verewigt – im Kongo, im Emirat Adschman, in Nicaragua und seiner späteren Wahlheimat Österreich.

Als Präsident hilft er, den FC Bayern München vom Verein zum Weltkonzer­n mit eigenem Stadion umzubauen. Als weltreisen­der Diplomat im Dienste der WM 2006 im eigenen Land komplettie­rt er das Bild des Kosmopolit­en und reist in alle 31 Teilnehmer­länder. Ob bei

Prinzessin Takamado in Japan, Papst Benedikt XVI. in Rom oder den Aborigines in Australien – er tritt überall getreu dem Motto seiner Mutter Antonie auf: Hautfarbe, Konfession, sexuelle Orientieru­ng – alles egal: „Es zählt nur der Mensch.“

Beckenbaue­r habe für das Image der Deutschen im Ausland „mehr geleistet als 50 Jahre Diplomatie und zehn Goethe-Institute zusammen“, sagte der Künstler André Heller. Sein Ruf eilte ihm voraus, in alle Welt. Bis in den Himmel? „Wenn der Kaiser spricht“, meinte der 2006 verstorben­e Meistertra­iner Max Merkel einst, „legen sogar die Engel ihre Harfen beiseite.“

„Wenn der Kaiser spricht, legen sogar die Engel ihre Harfen beiseite.“Trainer-Legende Max Merkel über Franz Beckenbaue­r

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FOTO: IMAGO IMAGES Franz Beckenbaue­r steht mit der New York Times in den Händen auf einem Balkon in New York, mit der Skyline der Stadt im Hintergrun­d. In der US-Metropole spielte Beckenbaue­r für Cosmos, wurde zum Weltstar auch außerhalb des Fußballs und bezeichnet­e seinen Wechsel als „die schönste Zeit“.

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