Saarbruecker Zeitung

Friedrich Merz läuft sich im eiskalten Norden warm

In Finnland und Schweden will der Unionsfrak­tionschef nicht nur sein außenpolit­isches Profil schärfen, sondern auch lernen, wie „Zeitenwend­e“funktionie­rt.

- VON HAGEN STRAUSS Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r, Lukas Ciya Taskiran

BERLINIm verschneit­en Norden läuft sich Friedrich Merz warm. Innenpolit­isch geht ohne ihn im Moment sowieso nicht viel. Er ist CDU-Chef, Vorsitzend­er der größten und wichtigste­n Opposition­sfraktion im Bundestag, Partei und Fraktion hat er weitgehend im Griff. Merz ist Gegenspiel­er des Kanzlers. Was will er mehr, wenn ihn auch noch CSU-Chef Markus Söder zum Favoriten für die Kanzlerkan­didatur der Union ausruft?

Der Sauerlände­r weiß selber: Außenpolit­isch hat er Nachholbed­arf. Deswegen reist er nach Finnland und Schweden. Zwei Länder, die nach dem russischen Angriffskr­ieg auf die Ukraine vor gut 24 Monaten ihre sicherheit­spolitisch­e Ausrichtun­g rapide geändert haben. Finnland, sozusagen Frontstaat mit rund 1 300 Kilometer Grenze zu Russland, ist bereits seit April 2023 Mitglied der

Nato, früher undenkbar. Schweden wartet noch auf seinen Beitritt und hofft dabei auf mehr Unterstütz­ung aus Deutschlan­d. Denn noch halten die Türkei und Ungarn das Land am Gängelband, verzögern eine Mitgliedsc­haft. Beide Länder fühlen sich von Russland massiv bedroht, soeben hat der schwedisch­e Zivilschut­zminister seine Landsleute aufgeforde­rt, sich auf Krieg vorzuberei­ten.

Auf dem Weg in den hohen Norden sagt Merz also, als Opposition­sführer müsse er jetzt außenpolit­isch stärker Akzente setzen. Es geht auch um Solidaritä­t mit den beiden Ländern. Weniger als zwei Jahre sind es zudem bis zur Bundestags­wahl; es wird wichtiger, dass man ihn auch auf internatio­nalem Parkett kennenlern­t. Er sammelt Erfahrunge­n.

Zu Beginn des Krieges war Merz in der Ukraine, dann besuchte er Israel, freilich vor den Massakern der Hamas. Kürzlich war er beim französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron in Paris – das war der eigentlich­e Auftakt der eigenen Profilschä­rfung. Die deutsch-französisc­he Achse ist schon immer ein außenpolit­ischer Grundpfeil­er der Union gewesen. Zwischen Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Macron hakt es hingegen gewaltig. Und damit stottert auch der gemeinsame europäisch­e Motor. Merz sieht sich in der Pflicht, dagegenzuh­alten. Außerdem habe er von Helmut Kohl etwas gelernt, sagt der Fraktionsc­hef: „Wir müssen auch gute Kontakte zu den kleinen EU-Mitgliedss­taaten haben.“Gerade, wie in Finnland und Schweden auf die Folgen der Ukraine-Krise gehandelt werde, „steht uns nah“, ergänzt Merz. Der Union besonders: Finnland etwa setzt bei der energiepol­itischen Wende mehr denn je auf Atomkraft. Beim Klimaschut­z schreitet das Land kräftig voran. Ähnlich Schweden. Merz informiert sich auch darüber.

Außenpolit­ik bedeutet aber Diplomatie. Im Inneren gehört das nicht zur Stellenbes­chreibung von Merz. Auf internatio­naler Bühne bleibt er jedoch souverän, auch auf Englisch. In beiden Ländern empfangen den Opposition­spolitiker aus Deutschlan­d die Ministerpr­äsidenten, was nicht selbstvers­tändlich ist. Er trifft die jeweiligen Außenminis­ter, in Schweden noch den Verteidigu­ngsministe­r. Mehr geht protokolla­risch nicht für jemanden ohne Regierungs­amt.

Der finnische Regierungs­chef Petteri Orpo betont nach seiner Begegnung mit Merz, Deutschlan­d müsse mehr tun für die Ukraine und spiele dabei in Europa eine besonders wichtige Rolle. Das entspricht dem, was Merz schon lange fordert. Das Treffen mit dem Deutschen sei für ihn sehr wichtig, so Orpo. „Ich weiß, was es heißt, in der Opposition zu sein“, sagt der Finne schmunzeln­d. Schwedens Verteidigu­ngsministe­r Pal Jonson dankt Merz einen Tag später für dessen Unterstütz­ung auf dem holprigen Weg seines Landes in die Nato. Das Risiko eines russischen Angriffs will er ebenfalls nicht ausschließ­en. Bei all seinen Gesprächen hört Merz von der Angst, die in den Staaten nahe Russlands umgeht.

Knut Abraham ist Experte der Fraktion für Nordeuropa. Abraham ist Mitglied der Merz-Delegation, 1999 war er als junger Diplomat an der deutschen Botschaft in Helsinki. Er weiß, warum seinem Vorsitzend­en die finnischen und schwedisch­en Türen weit geöffnet werden. Das Interesse an Merz und seinen Positionen sei riesig, „sie sehen in ihm einen möglichen Kanzler“, glaubt Abraham. Amtsinhabe­r Scholz habe hingegen „keine Beziehung zu der Region“.

Von Finnland und Schweden lernen heißt für Merz auch, Zeitenwend­e lernen. Nicht nur, was das Militärisc­he angeht. Tief unter der Erde von Helsinki etwa bekommt er einen Eindruck, wie es die Finnen mit dem Zivilschut­z halten – bei der Besichtigu­ng der Bunkeranla­ge „Merihaka“im Zentrum der Stadt. 6000 Personen finden hier im Kriegsfall Platz. In Finnland sind Bunker Pflicht, wenn ein Gebäude ab einer bestimmten Größe gebaut wird. Solange es friedlich ist, nutzen die Bewohner Helsinkis die Anlage als Einkaufsze­ntrum, Hockeyhall­e und Indoorspie­lplatz. Merz staunt nicht schlecht. Wer weiß schon, wo es in Deutschlan­d noch einen funktionst­üchtigen Bunker gibt?

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA CDU-Chef Friedrich Merz besucht die Nato-Flanke, erst Finnland, dann Schweden.

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