„Rate meiner Partei, sich auf die arbeitende Mitte zu konzentrieren“
Der SPD- Chef sieht schwere Wahlkämpfe auf seine Partei zukommen. Im SZ-Interview skizziert er, wie Entlastungen gelingen sollen.
BERLIN Über die Feiertage hielt sich SPD-Chef Lars Klingbeil mit öffentlichen Äußerungen zurück. Pünktlich zur Fraktionsklausur seiner Partei geht er in die Offensive. Auf seine Partei sieht er dennoch schwere Wahlkämpfe zukommen und rät daher, sich künftig stärker zu fokussieren.
Herr Klingbeil, im Land gibt es viel Wut und Protest. Neben den Bauerndemonstrationen streiken die Lokführer, auch die Ärzte haben die Nase voll von der Ampel. Wie bekommen Sie das wieder in den Griff?
KLINGBEIL Es braucht mehr direkten Dialog. Wir erleben derzeit viele große Umbrüche gleichzeitig. Das ist alles sehr viel und erzeugt ein allgemeines Gefühl von Unsicherheit. Politik muss auf Augenhöhe mit den Bürgerinnen und Bürgern kommunizieren, Schritte erklären, dann kommen wir auch gemeinsam als Land durch diese vielen Krisen.
Der Protest der Bauern richtete sich gegen einen Beschluss, der nun in Teilen zurückgenommen wurde. Die Demonstrationen gehen aber weiter. Warum?
KLINGBEIL Es geht nicht allein um die Frage Agrardiesel oder die KfzSteuer. Diese Dinge sind ein Symbol, zum Beispiel dafür, wie ernst werden Menschen im ländlichen Raum genommen, wie stellt man sich die Zukunft der Landwirtschaft vor? Da hat sich über viele Jahre etwas angestaut, das hat nicht allein mit der Ampel zu tun. Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung einen Schritt auf die Landwirte zugegangen ist und die ursprünglichen Kürzungen so nicht kommen. Es ist absolut berechtigt in unserer Demokratie, dass die Landwirte ihren Frust artikulieren. Für meinen Wahlkreis in Niedersachsen kann ich sagen, dass das bisher friedlich und fair passiert ist und dass man sich da auch sehr klar von rechten Strukturen distanziert hat, die versuchen diese Proteste für sich zu nutzen.
Was muss sich aus Ihrer Sicht tun?
KLINGBEIL Wir sollten den Landwirten die Hand ausstrecken und gemeinsam mit den Verbänden in einem offenen Dialog über den Wandel der Landwirtschaft reden.
Ich möchte, dass wir Strukturen der bäuerlichen Landwirtschaft in Deutschland aufrechterhalten und ländliche Räume stärken. Dafür müssen wir über klimaneutrale Produktion, faire Löhne und die geänderten Anforderungen der Verbraucher reden. Und auch darüber, wie die Landwirte gegen die Marktmacht der Discounter mehr Einfluss auf die Preisgestaltung für Lebensmittel nehmen können. Die Antwort muss größer sein, als eine Debatte über Subventionen.
Die SPD-Umfragewerte sind im Keller, die persönlichen Beliebtheitswerte des Kanzlers ebenso. Sollte nicht besser der im Umfragen beliebte Verteidigungsminister Boris Pistorius ins Kanzleramt wechseln und Olaf Scholz ablösen?
KLINGBEIL Olaf Scholz ist der gewählte Kanzler und hat die gesamte SPD hinter sich. Ich bin sicher, dass er sich in diesem Jahr wieder nach vorn kämpfen wird.
Und wie kann das gelingen?
KLINGBEIL Das Jahr 2024 wird uns insgesamt extrem herausfordern. Da macht sich niemand Illusionen. Ich bin sehr motiviert und gewillt, hart daran zu arbeiten, dass die SPD wieder stärker wird. Für mich gehört dazu, dass wir den Fokus auf die wirtschaftliche Stabilisierung des Landes legen, auf Entlastungen für die arbeitende Mitte der Gesellschaft und darauf, die Migration samt Integration besser zu regeln. Auf diese drei Bereiche werden wir uns konzentrieren.
Wie genau soll die sogenannte arbeitende Mitte entlastet werden?
KLINGBEIL Das ist ein breites Feld. Da geht es beispielsweise um gute und verlässliche Kitabetreuung. Da geht es um bessere Pflege, um sichere Renten, höhere Löhne und mehr Tarifbindung. Es geht aber auch um Maßnahmen wie eine Erhöhung der Pendlerpauschale, mit der wir Menschen vor allem im ländlichen Raum angesichts steigender Preise mehr finanzielle Spielräume geben können. Wir werden diejenigen in den Fokus rücken, die nicht die lautesten in den Debatten sind, die aber unser Land am Laufen halten, die fleißig sind, sich kümmern.
SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil will Verschärfungen für Bürgergeld-Empfänger durchsetzen. Begrüßen Sie das?
KLINGBEIL Ich rate meiner Partei, sich auf die arbeitende Mitte zu konzentrieren. Auf die, die jeden Tag aufstehen und sich anstrengen. Die haben wenig Verständnis dafür, dass es eine ganz kleine Gruppe gibt, die sich jeglicher Kooperation mit den Jobcentern verweigern. Deshalb unterstütze ich Hubertus Heil dabei, den Druck auf Totalverweigerer zu erhöhen. Das ändert nichts daran, dass jeder mal in Not geraten und sich dann auf den Sozialstaat verlassen kann.