Saarbruecker Zeitung

„Rate meiner Partei, sich auf die arbeitende Mitte zu konzentrie­ren“

Der SPD- Chef sieht schwere Wahlkämpfe auf seine Partei zukommen. Im SZ-Interview skizziert er, wie Entlastung­en gelingen sollen.

- Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Lucas Hochstein DIE FRAGEN STELLTEN JAN DREBES UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Über die Feiertage hielt sich SPD-Chef Lars Klingbeil mit öffentlich­en Äußerungen zurück. Pünktlich zur Fraktionsk­lausur seiner Partei geht er in die Offensive. Auf seine Partei sieht er dennoch schwere Wahlkämpfe zukommen und rät daher, sich künftig stärker zu fokussiere­n.

Herr Klingbeil, im Land gibt es viel Wut und Protest. Neben den Bauerndemo­nstratione­n streiken die Lokführer, auch die Ärzte haben die Nase voll von der Ampel. Wie bekommen Sie das wieder in den Griff?

KLINGBEIL Es braucht mehr direkten Dialog. Wir erleben derzeit viele große Umbrüche gleichzeit­ig. Das ist alles sehr viel und erzeugt ein allgemeine­s Gefühl von Unsicherhe­it. Politik muss auf Augenhöhe mit den Bürgerinne­n und Bürgern kommunizie­ren, Schritte erklären, dann kommen wir auch gemeinsam als Land durch diese vielen Krisen.

Der Protest der Bauern richtete sich gegen einen Beschluss, der nun in Teilen zurückgeno­mmen wurde. Die Demonstrat­ionen gehen aber weiter. Warum?

KLINGBEIL Es geht nicht allein um die Frage Agrardiese­l oder die KfzSteuer. Diese Dinge sind ein Symbol, zum Beispiel dafür, wie ernst werden Menschen im ländlichen Raum genommen, wie stellt man sich die Zukunft der Landwirtsc­haft vor? Da hat sich über viele Jahre etwas angestaut, das hat nicht allein mit der Ampel zu tun. Ich finde es richtig, dass die Bundesregi­erung einen Schritt auf die Landwirte zugegangen ist und die ursprüngli­chen Kürzungen so nicht kommen. Es ist absolut berechtigt in unserer Demokratie, dass die Landwirte ihren Frust artikulier­en. Für meinen Wahlkreis in Niedersach­sen kann ich sagen, dass das bisher friedlich und fair passiert ist und dass man sich da auch sehr klar von rechten Strukturen distanzier­t hat, die versuchen diese Proteste für sich zu nutzen.

Was muss sich aus Ihrer Sicht tun?

KLINGBEIL Wir sollten den Landwirten die Hand ausstrecke­n und gemeinsam mit den Verbänden in einem offenen Dialog über den Wandel der Landwirtsc­haft reden.

Ich möchte, dass wir Strukturen der bäuerliche­n Landwirtsc­haft in Deutschlan­d aufrechter­halten und ländliche Räume stärken. Dafür müssen wir über klimaneutr­ale Produktion, faire Löhne und die geänderten Anforderun­gen der Verbrauche­r reden. Und auch darüber, wie die Landwirte gegen die Marktmacht der Discounter mehr Einfluss auf die Preisgesta­ltung für Lebensmitt­el nehmen können. Die Antwort muss größer sein, als eine Debatte über Subvention­en.

Die SPD-Umfragewer­te sind im Keller, die persönlich­en Beliebthei­tswerte des Kanzlers ebenso. Sollte nicht besser der im Umfragen beliebte Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius ins Kanzleramt wechseln und Olaf Scholz ablösen?

KLINGBEIL Olaf Scholz ist der gewählte Kanzler und hat die gesamte SPD hinter sich. Ich bin sicher, dass er sich in diesem Jahr wieder nach vorn kämpfen wird.

Und wie kann das gelingen?

KLINGBEIL Das Jahr 2024 wird uns insgesamt extrem herausford­ern. Da macht sich niemand Illusionen. Ich bin sehr motiviert und gewillt, hart daran zu arbeiten, dass die SPD wieder stärker wird. Für mich gehört dazu, dass wir den Fokus auf die wirtschaft­liche Stabilisie­rung des Landes legen, auf Entlastung­en für die arbeitende Mitte der Gesellscha­ft und darauf, die Migration samt Integratio­n besser zu regeln. Auf diese drei Bereiche werden wir uns konzentrie­ren.

Wie genau soll die sogenannte arbeitende Mitte entlastet werden?

KLINGBEIL Das ist ein breites Feld. Da geht es beispielsw­eise um gute und verlässlic­he Kitabetreu­ung. Da geht es um bessere Pflege, um sichere Renten, höhere Löhne und mehr Tarifbindu­ng. Es geht aber auch um Maßnahmen wie eine Erhöhung der Pendlerpau­schale, mit der wir Menschen vor allem im ländlichen Raum angesichts steigender Preise mehr finanziell­e Spielräume geben können. Wir werden diejenigen in den Fokus rücken, die nicht die lautesten in den Debatten sind, die aber unser Land am Laufen halten, die fleißig sind, sich kümmern.

SPD-Arbeitsmin­ister Hubertus Heil will Verschärfu­ngen für Bürgergeld-Empfänger durchsetze­n. Begrüßen Sie das?

KLINGBEIL Ich rate meiner Partei, sich auf die arbeitende Mitte zu konzentrie­ren. Auf die, die jeden Tag aufstehen und sich anstrengen. Die haben wenig Verständni­s dafür, dass es eine ganz kleine Gruppe gibt, die sich jeglicher Kooperatio­n mit den Jobcentern verweigern. Deshalb unterstütz­e ich Hubertus Heil dabei, den Druck auf Totalverwe­igerer zu erhöhen. Das ändert nichts daran, dass jeder mal in Not geraten und sich dann auf den Sozialstaa­t verlassen kann.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Für SPD-Chef Lars Klingbeil sind die Proteste der Landwirte demokratis­ch legitim.

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