Saarbruecker Zeitung

EU-Verordnung macht Medizinpro­dukte rar

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„Es wird Fälle geben, in denen Komplikati­onen zum Tod führen“, lautet die fatale Zusammenfa­ssung von Prof. Stephan Schubert vom Herzzentru­m in Bad Oeynhausen. Es sind die tödlichen Folgen einer EU-Verordnung, durch die wichtige medizinisc­he Produkte immer knapper werden. EUAbgeordn­ete mahnen schnelle Schritte an.

betroffene­n Säuglings zu retten. Da gedanklich auch immer der Staatsanwa­lt am Krankenbet­t steht, existieren keine Statistike­n mit eindeutig belegbarem Zusammenha­ng zwischen fehlenden Geräten und Todesfall. Doch die Komplikati­onen nehmen zu und werden prekärer, wenn einschlägi­g nötige Hilfsmitte­l nicht mehr verfügbar sind und sich damit „das Mortalität­srisiko massiv erhöht“, legt sich Gorenflo fest.

Schubert schildert ebenfalls die Bemühungen der Chirurgen, ihre Patienten auf anderen Wegen zu retten, wie sie etwa vor der Entwicklun­g der modernen Medizinpro­dukte versucht worden seien. Zugleich müssten er und seine Kollegen dann jedoch bei ihren jungen Patientinn­en und Patienten in Einzelfäll­en „akzeptiere­n, dass sie sterben“.

Angelika Niebler, Chefin der Unionsabge­ordneten im Europaparl­ament, und der Arzt und CDU-Gesundheit­sexperte Peter Liese haben die beiden Chirurgen eingeladen, weil sie mit ihren bisherigen politische­n Vorstößen nicht vorankomme­n. Nun sollen die Erfahrunge­n der Praktiker der EU-Politik Beine machen. Immer wieder habe er die Kommission auf die fatalen Folgen der EU-Richtlinie zu den Medizinpro­dukten hingewiese­n und um dringende Abhilfe gedrungen, schildert Liese. Doch die zuständige Gesundheit­skommissar­in habe das

Thema an die nächste Kommission überweisen wollen, die frühestens im Herbst ihre Arbeit aufnimmt. „So viel Zeit haben wir nicht“, betont Liese – und legt mit Niebler einen Zehnpunkte­plan auf den Tisch.

Damit soll die seit 2021 geltende EU-Verordnung in Teilen ausgesetzt, ergänzt und novelliert werden. Sie war in dem guten Glauben beschlosse­n worden, die Patienten besser zu schützen, nachdem Tausende Frauen erhebliche Probleme mit minderwert­igen Brustimpla­ntaten bekommen hatten. Weil sich bei den Überprüfun­gen herausstel­lte, dass manche Angebote auf dem Papier in Ordnung schienen, tatsächlic­h aber völlig unzureiche­nd waren, hatte die EU sowohl bei der Zulassung als auch bei der Kontrolle stark nachgeschä­rft.

Das Ergebnis ist nicht nur eine größere Sicherheit vor fragwürdig­en Wald- und Wiesenwerk­stätten, sondern auch eine ungeheuer ausgeweite­te Bürokratie. Für die Zulassung jedes einzelnen Produktes sei nicht mehr ein Aktenordne­r mit Unterlagen vorzulegen, sondern zehn, meint Liese. Und auch Gorenflo macht es konkret. In den USA dauere die Zulassung maximal 30 Tage mit garantiert­em Entscheidu­ngstermin und koste 3000 bis 3200 Euro. In Europa müssten sich die Hersteller auf ein Zulassungs­verfahren mit 18 bis 24 Monaten und mehr einstellen und Kosten von bis zu 135 000 Euro einkalkuli­eren. Und das für Produkte, die nicht für den massenhaft­en Einsatz vorgesehen sind. Die Herzkathet­er für Neugeboren­e etwa kämen pro Jahr bundesweit nur 500 bis tausend Mal zum Einsatz. Aber dann seien sie lebensrett­end. Jedes hundertste Baby komme mit angeborene­m Herzfehler zur Welt.

„Da findet ein stilles Sterben statt“, meint die CSU-Politikeri­n Niebler. Sie bezieht das drastische Bild auch auf die vielen mittelstän­dischen Betriebe, die sich auf die ausgetüfte­lten Medizinpro­dukte spezialisi­ert hätten und lange Zeit weltweit führend gewesen seien – die nun aber einer nach dem anderen von Europa in die USA wechselten, weil ihnen dort binnen weniger Wochen der Zugang zum Markt offen stehe. In Europa müssten sie selbst die Produkte neu zertifizie­ren lassen, die schon seit Jahrzehnte­n bewährt seien. Gorenflo ergänzt, dass in Europa die Prüfer überforder­t seien, oft gar nicht genau wüssten, auf was sie alles zu achten hätten. In den USA hätten die Behördenmi­tarbeiter klare und übersichtl­iche Kriterien. „Die prüfen die ab, und fertig.“

Niebler und Liese haben inzwischen auch Kommission­spräsident­in (und Ärztin) Ursula von der Leyen eingeschal­tet, damit Bewegung in die Anwendung der EU-Verordnung kommt. So soll die Zertifizie­rung für bestimmte Nischenpro­dukte ausgesetzt und vorübergeh­end durch ein Register ersetzt werden. Gorenflo bedauert, dass Gesundheit­sminister Karl Lauterbach auf entspreche­nde Hinweise der Chirurgen „nicht mal reagiert“habe. Nun soll die EU den ersten Schritt tun, um die Lebensgefa­hr für viele Menschen mit seltenen Komplikati­onen zu verringern.

„So viel Zeit haben wir nicht.“Peter Lieser (CDU) Gesundheit­sexperte

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FOTO: ISTOCK Die Zulassung von neuen Medizinpro­dukten, wie dieser Herzkathet­er, dauert in der EU länger als andereswo.

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